Ozempic & Co.Swissmedic verbietet fast jede Berichterstattung zu Abnehmspritzen
Das Interesse an Abnehmspritzen ist riesig. Doch Swissmedic verhindert laufend journalistische Berichterstattung dazu. Dafür wird die Behörde hart kritisiert.
Darum gehts
Swissmedic verhindert teils die Berichterstattung über Abnehmspritzen wie Ozempic.
Die Behörde sieht in Artikeln von «Blick», «Neue Zürcher Zeitung» und 20 Minuten unzulässige Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente.
Medienhäuser kritisieren das Vorgehen als überzogen und pressefeindlich.
Rechtsanwälte und Medienexperten fordern eine Reform des Arzneimittelwerberechts.
Kann ich mit Abnehmspritzen wie Ozempic gefahrlos Gewicht verlieren? Diese Frage stellen sich seit dem Aufkommen der Präparate auch sehr viele Menschen, die nicht an Diabetes leiden. Auf den sozialen Medien kursieren Tausende Videos, in der Schweiz erreichen Google-Suchanfragen dazu gerade Höchstwerte. Gleichzeitig verhindert die Heilmittelbehörde Swissmedic journalistische Berichterstattung hierzu rigoros. Was ist da los?
Das ist passiert
Die Neue Zürcher Zeitung, Ringier sowie auch 20 Minuten wurden von Swissmedic unter Strafandrohung dazu aufgefordert, Onlineberichte über Ozempic und Co. zu löschen. Der Vorwurf: Bei den Artikeln handle es sich um Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel. Im Fall von 20 Minuten handelt es sich um einen Artikel, in dem ein Arzt die Wirkung, Nebenwirkungen, Kosten und Erhältlichkeit verschiedener Abnehmspritzen vergleicht. Im Brief an 20 Minuten steht unter anderem: «Selbst die blosse Information über Anwendungsmöglichkeiten von Arzneimitteln stellt eine Werbung dar, wenn sie bestimmt und geeignet ist, das Konsumverhalten zu beeinflussen.»
«Selbst die blosse Information über Anwendungsmöglichkeiten stellt eine Werbung dar, wenn sie bestimmt und geeignet ist, das Konsumverhalten zu beeinflussen.»
So argumentiert Swissmedic
Zu laufenden Verfahren äussere sich die Behörde nicht, wie ein Sprecher mitteilt. Arzneimittelwerbung wird laut Verordnung so definiert: «Alle Massnahmen zu Information, Marktbearbeitung und Schaffung von Anreizen, welche zum Ziel haben, die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf, den Verbrauch oder die Anwendung von Arzneimitteln zu fördern.» Dies könne in redaktionellen Beiträgen zu einem «Spannungsfeld zwischen sachgerechter ‹Information› und unzulässiger ‹Anpreisung› führen», die im Einzelfall zu beurteilen sei, so der Swissmedic-Sprecher.
Das ist die Rechtslage
Juristisch gesehen hat Swissmedic womöglich recht: «Verschreibungspflichtige Arzneimittel gehören nicht namentlich in die Medien. Swissmedic unterbindet dies zu Recht», sagt die auf Arzneimittelwerberecht spezialisierte Rechtsanwältin Celine Weber. Aber: «Heute ist im Internet eine Fülle an Arzneimittelinformationen aus dem In- und Ausland für alle zugänglich, insbesondere über Websites aus den USA. Da ist es umso wichtiger, dass Schweizer Medien, begleitet von Fachpersonen, solche Informationen seriös und allgemeinverständlich einordnen.»
«Das Schweizer Arzneimittelwerberecht ist stark reformbedürftig und muss flexibler werden.»
Das Schweizer Arzneimittelwerberecht stamme aus einer Zeit vor dem Internet. «Es ist stark reformbedürftig und muss flexibler werden. Auch in Zukunft sollen Menschen vor falschen Anreizen geschützt werden. Aber in einer offenen Kommunikationsgesellschaft sind die Menschen vielen Fakten filterlos ausgesetzt; da sollten Medien der einordnende Filter sein.»
So reagieren die Medienhäuser
«Aus unserer Sicht legt die Behörde die Werbebestimmungen im Arzneimittelbereich äusserst überzogen aus», sagt Ringier-Sprecher Daniel Riedel. Orientiere man sich an den «strengen Vorgaben» von Swissmedic, stelle «praktisch jegliche Berichterstattung» über ein rezeptpflichtiges Arzneimittel verbotene Werbung dar. «Eine Berichterstattung über Ozempic oder andere publizistisch relevante Medikamente ist so kaum mehr möglich», so Riedel. Von der «NZZ» heisst es: «Swissmedic verlangt von der NZZ die Löschung diverser redaktioneller Artikel wegen angeblicher unerlaubter Werbung für rezeptpflichtige Arzneimittel. Die NZZ geht juristisch gegen diese Verfügungen vor. Zwei Fälle sind vor Bundesverwaltungsgericht pendent.»
Medienexperte: «Alle sollten an sachlicher Information interessiert sein»

Thomas N. Friemel ist Leiter der Abteilung Mediennutzung und Medienwirkung am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich.
Universität ZürichThomas Friemel forscht an der Uni Zürich zu Mediennutzung und Medienwirkung. Er sagt: «Bei dem Thema stellt sich weniger die Frage, ob die Bevölkerung an Informationen interessiert ist, sondern, wo sie diese findet. Insofern sollten alle beteiligten Akteure daran interessiert sein, dass primär fachlich korrekte und neutrale Informationen genutzt werden. Angesichts der fehlenden Regulierung im Bereich sozialer Medien, stellt sich die Frage, ob eine Einschränkung der journalistischen Berichterstattung letztlich zielführend ist.»
SVP-Nationalrat: «Behörde macht Jagd auf Journalisten»
Noch deutlicher wird SVP-Nationalrat Rémy Wyssmann. Zum 20-Minuten-Artikel sagt er: «Das war eine sachliche und informative Berichterstattung. Da wurde niemand zu einem übermässigen, missbräuchlichen oder unzweckmässigen Einsatz von Arzneimitteln im Sinne des Heilmittelgesetzes verleitet. Den Beweis dazu bleibt die Behörde schuldig.» Das Vorgehen von Swissmedic ist für Wyssmann «völlig unverhältnismässig, rechtsmissbräuchlich und ein massiver Eingriff in die Pressefreiheit. Anscheinend hat der hoch bezahlte Rechtsdienst dieser Behörde nichts Besseres zu tun und macht jetzt Jagd auf Journalisten».
Presserat-Geschäftsführerin: «Richtlinien scheinen eingehalten worden zu sein»
Kritisch sieht das auch Presserat-Geschäftsführerin Ursina Wey: «Es besteht ein legitimes Informationsinteresse der Öffentlichkeit in Bezug auf die verschiedenen in der Schweiz zugelassenen Abnehmspritzen und deren Preise. In diesem Zusammenhang ist aus journalistischer Sicht auch ein Preisvergleich zulässig, jedenfalls so lange, als diese Produkte nicht unkritisch oder hochlobend präsentiert werden und die Produktmarken nicht häufiger als nötig genannt werden.»
Die Richtlinien des Presserats scheinen nach einer ersten Durchsicht des Artikels von 20 Minuten eingehalten worden zu sein, sagt Wey. «Aus journalistischer Sicht wirkt das Vorgehen von Swissmedic befremdlich. Allerdings kennen wir die Begründung für die Abmahnungen nicht – gut möglich, dass ihre Argumentation plausibel ist.»
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