ArbeitsgesetzParmelin will 15-Stunden-Arbeitstag und mehr Sonntagsarbeit
Wirtschaftsminister Guy Parmelin legt beim Arbeitszeitgesetz einen «Kompromiss» vor. Doch der geht den Gewerkschaften zu weit. Wirtschaftsverbände indes wollen mehr.
Darum gehts
Der Bund überarbeitet derzeit die Verordnung zum Arbeitsgesetz.
Dabei soll es Lockerungen für gewissen Branchen geben.
Während Gewerkschaften Kritik üben, wollen Wirtschaftsvertreter und -vertreterinnen die Lockerungen für weitere Berufe ausweiten.
63 Stunden arbeiten pro Woche – und das völlig legal: Dies will Wirtschaftsminister Guy Parmelin für Steuerberater, Kommunikationsfachleute, Unternehmensberater oder Wirtschaftsprüfer ermöglichen (siehe Box). Das Thema auf die Agenda gebracht hatte der ehemalige Mitte-Ständerat Konrad Graber. Er wollte noch weiter gehen und wollte gar für alle leitenden Arbeitnehmenden die bestehenden Schranken der Höchstarbeitszeit ausnehmen.
Sein Hauptargument: Die aktuelle Arbeitszeitenregelung stamme noch aus der Zeit der Industrialisierung und führe dazu, dass etwa Google Arbeitsplätze aus der Schweiz nach London abgezogen habe. Der Widerstand gegen Grabers Idee und den vom Ständerat ausgearbeiteten Gesetzesentwurf war jedoch so gross, dass der Ständerat das Geschäft auf die lange Bank schob.
Jetzt zeichnet sich aber eine Lösung ab: Die 63-Stunden-Woche soll möglich sein, jedoch nur für ausgewählte Berufe. Sonntagsarbeit nur sechs Mal im Jahr, die maximale Anhäufung von 170 Überstunden pro Jahr bleibt bestehen. Und ein Arbeitstag darf maximal 15 Stunden dauern. Diese Ideen hat das Seco eingebracht, nachdem die Sozialpartner im Januar 2021 an einem Runden Tisch Varianten diskutiert hatten.
Doch auch dieser Kompromissvorschlag sorgt für Unverständnis. Gewerkschaftskreisen geht er viel zu weit, Wirtschaftsverbände hingegen kritisieren, dass er zu eng gefasst sei.
Es werde ein «extrem dereguliertes Arbeitszeit-Regime noch weiter dereguliert, um Personal zu sparen», so der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB). «Es würde zu mehr Erkrankungen, mehr Burnouts, mehr Kosten für die Allgemeinheit und zu unzufriedeneren Arbeitnehmenden führen.»
150’000 Arbeitnehmende betroffen
SGB-Chefökonom Daniel Lampart sagt, man habe bisher glücklicherweise die weitreichendsten Angriffe auf das Arbeitsgesetz abwehren können. Jetzt gehe es darum, auch in der Verordnung die Ausnahmen so eng wie möglich zu fassen. Denn laut SGB wären mit der vorgeschlagenen Regelung 150’000 Arbeitnehmende von 15-Stunden-Tagen und vermehrter Sonntagsarbeit betroffen.
Deshalb fordert Lampart, dass nur bei Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern Ausnahmen gemacht würden. Und auch dort hat er eigentlich Bedenken: «Es bleibt problematisch, dass diese Firmen ihre Leute einfach länger arbeiten lassen, statt mehr Arbeitsplätze zu schaffen und neue Arbeitskräfte auszubilden», sagt Lampart. Übermüdete Wirtschaftsprüfer seien auch ein Risiko für die ganze Wirtschaft, weil sie fehleranfälliger seien.
Keine «echte» Flexibilisierung
Einen ersten Entwurf für die Verordnung hatte die Allianz Denkplatz Schweiz zusammen mit weiteren Angestelltenverbänden ausgearbeitet. In der Allianz Denkplatz Schweiz haben sich Agenturen, Technologie- und Treuhandfirmen zusammengeschlossen. Mit der Lösung des Bundes ist man jetzt aber gar nicht einverstanden. Denn die Dringlichkeit, «echte flexible Jahresarbeitszeit» und freiwillige Sonntagsarbeit zu ermöglichen, habe sich durch die Corona-Pandemie noch verstärkt. In Zeiten von Homeoffice könnten internationale Firmen Stellen rasch ins Ausland verlagern, wo den Arbeitszeiten weniger Grenzen gesetzt seien.
Dominik Bürgy von Denkplatz Schweiz fordert, dass explizit auch Informatik- und Telekommunikationsfachkräfte in Jahresarbeitszeit arbeiten dürfen – und dass die Ruhezeit von täglich neun Stunden freiwillig unterbrochen und die Arbeitszeit am Wochenende selbstbestimmt festgelegt werden darf. Dies sei gerade für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zentral.
Homeoffice am Sonntag, Radtour unter der Woche
Mit konkreten Beispielen rechnet er vor, wie etwa ein «Product Manager» an «einem regnerischen Sonntag drei Stunden im Homeoffice arbeitet, während er am sonnigen Freitagnachmittag mit den Kindern eine ausgiebige Fahrradtour macht». «Arbeitnehmenden, die aus persönlichen oder familiären Gründen lieber einmal an einem Sonntag als an einem Wochentag arbeiten, soll dies ermöglicht werden, ohne dass sie dabei wie heute das Gesetz verletzen.»
Ohne diese Ergänzungen sei die Vorlage eine «Totgeburt», sagt Bürgy. Denn mit der Realität der meisten Wissensberufe habe sie nichts zu tun. Bedenken, dass der Gesundheitsschutz geritzt werde, hat er keine: «Die Arbeitszeiterfassung bleibt weiterhin zwingend.» Und: In der Bundesverwaltung gelte bereits eine viel lockere Regelung mit einer «Vertrauensarbeitszeit» ohne Kontrolle. «Es ist unverständlich, warum dies in der Privatwirtschaft nicht gehen soll.»
Die Details
Laut Verordnungsentwurf gälte das Jahresarbeitszeitmodell für Beschäftigte in der Rechts-, Steuer-, Unternehmens-, Management- oder Kommunikationsberatung, Wirtschaftsprüfung oder Treuhand. Diese müssen eine Vorgesetztenfunktion haben oder als Spezialisten tätig sein. Weitere Voraussetzungen wären entweder ein Bruttojahreseinkommen von mehr als 120’000 Franken, ein höherer Bildungsabschluss oder grosse Autonomie bei der Arbeitszeit. Für sie gälte unter anderem:
– Wöchentliche Arbeitszeit von höchstens 63 Stunden, im Jahresdurchschnitt höchstens 45 Stunden
– Am Ende des Jahres maximal 170 Arbeitsstunden Überzeit
– Die Arbeit an einem Tag darf inklusive Pausen und Überzeit 15 Stunden nicht überschreiten
– Sonntagsarbeit ist für höchstens fünf Stunden und höchstens an sechs Sonntagen im Jahr erlaubt
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