Floristin (20)«Ich hatte Hände, Unterarme und Gesicht voller Ekzeme»
Eine Floristin in Frankreich verliert ihr Kind an Leukämie, Pestizide an Schnittblumen sollen die Ursache der Tragödie sein. Grenzwerte für die Gifte gibt es auch in der Schweiz keine.
Pestizid: Darum gehts
Während es für viele Pestizide in Lebensmitteln gesetzliche Grenzwerte gibt, ist dies bei Schnittblumen nicht der Fall.
Ein Fall aus Frankreich lässt die Debatte um Pestizide in Blumen aufflammen – braucht es die Grenzwerte auch hier?
Eine Toxikologin ordnet ein, eine Floristin spricht von ihren eigenen Erfahrungen und der Floristenverband relativiert.
817.021.23. Es ist die Nummer der Verordnung des Eidgenössischen Departements des Innern, die die Höchstgehälter für Pestizidrückstände «in oder auf Erzeugnissen pflanzlicher und tierischer Herkunft festlegt». Sie gilt allerdings nicht «für andere Erzeugnisse als Lebensmittel», wie Artikel 1 sogleich abgrenzt. Heisst: Ähnlich wie in der EU gelten die festgelegten Grenzwerte nicht etwa für Schnittblumen.
So weit, so naheliegend: Schnittblumen sind schliesslich nicht für den Verzehr vorgesehen, womit Giftstoffe sofort weniger relevant sind. Oder doch nicht? Eine Floristin in Frankreich hat nach jahrelanger Arbeit mit pestizidbelasteten Schnittblumen eine Entschädigung erhalten, nachdem ihr Kind an Leukämie gestorben ist. Während der Schwangerschaft soll sie bei einem Blumenimporteur täglich Pestiziden ausgesetzt gewesen sein, was gemäss dem Gericht die gesundheitliche Anfälligkeit des Kindes verursacht haben soll.
Zusammenhang ja oder nein?
Hier liegt bereits die Krux: Das Gericht bezieht sich auf ein Gutachten eines Expertengremiums aus Wissenschaftlern und Medizinern, die in diesem Fall einen kausalen Zusammenhang zwischen der Pestizidexposition und der Krankheit hergestellt haben. Nur ist dieser bislang nicht experimentell belegt, wie Umweltepidemiologin Dr. Caroline Linhart gegenüber 20 Minuten erklärt: «So wahrscheinlich es hier einen Zusammenhang gibt, so schwierig ist es, diesen zu beweisen.»
Erstens hänge eine allfällige Erkrankung stark von der Dauer und der Intensität der Exposition ab. Zweitens, so Linhart, wisse man sehr wenig darüber, wie sich die Stoffe endokrin verhalten, also wie sie den Hormonhaushalt genau beeinflussen. Fakt sei jedoch: «Sie beeinflussen den Hormonhaushalt, sie können durch die Haut aufgenommen werden und sind natürlich bei Frauen vor und während der Schwangerschaft umso gefährlicher.» Deshalb sei es höchste Zeit, dass auch abseits von Lebensmitteln gesetzliche Grenzwerte festgelegt werden. Aber: «Das kann noch lange dauern.»
Was denkst du über fehlende Grenzwerte für Pestizide auf Schnittblumen?
«Lieber Schweizer Blumen kaufen»
Auch eine 20-jährige Floristin aus der Ostschweiz, die gerne anonym bleiben möchte, würde gesetzliche Grenzwerte begrüssen. Sie selbst arbeitete seit der Lehre täglich mit Schnittblumen – notabene importiert aus Kenia, Ecuador etc. «Irgendwann hatte ich die kompletten Hände voller Ekzeme», schildert sie, «am Ende waren sie sogar im Gesicht.» Sie selbst geht davon aus, dass dies mit den Pestiziden zu tun hatte. Besser sei es erst geworden, seit sie in den Detailhandel gewechselt ist und nicht mehr täglich an den Blumen arbeiten muss. Sie ist sich sicher: «Handschuhe bringen nicht viel, lieber einfach Schweizer Blumen kaufen.»
Es stellt sich die Frage: Werden die Floristinnen und Floristen der Schweiz zu wenig geschützt? Laut Thomas Meier, Geschäftsleiter von Florist.ch, dem Schweizer Floristenverband, hat der Vorfall in der Branche für Irritation gesorgt. Meier stellt aber klar: «Die betroffene Frau hat zum Zeitpunkt der Kontamination nicht in einem Blumenladen gearbeitet. Sie war bei einem Blumenimporteur und -händler angestellt, wobei unklar ist, in welcher Funktion genau.»
Floristenverband reagiert umgehend
Der Verband versuche nun, das herauszufinden: «Es ist essenziell, zu wissen, in welcher Funktion die Frau gearbeitet hat, um zu wissen, wie und in welchem Mass sie mit Blumen in Kontakt gekommen ist, die mit Pestiziden behandelt worden sind.»
Der Verband habe nach dem Vorfall aber Sofortmassnahmen ergriffen – auch aufgrund von einigen besorgten Anfragen von Floristinnen und Floristen: «Im Rahmen einer kleinen Informationskampagne haben wir die Floristinnen und Floristen an die bereits geltenden Schutzmassnahmen erinnert: regelmässiges Händewaschen nach dem Kontakt mit Schnittblumen, möglichst keinen Kontakt der Blumen mit der Kleidung haben und sich nicht ins Gesicht fassen, wenn man mit Schnittblumen arbeitet.»

Wie gefährlich ist das tägliche Arbeiten mit Schnittblumen?
IMAGO/Westend61«Heute weniger Pestizide im Einsatz»
Weiteren Gesetzen oder Verboten steht der Verband kritisch gegenüber: «Die Kontamination dieser Frau hat vor zwölf Jahren stattgefunden. Seither ist viel passiert und die Industrie hat sich hinsichtlich Pestiziden zu einem Teil selbst reguliert. Heute kommen in der Blumenindustrie deutlich weniger Pestizide zum Einsatz als vor zwölf Jahren.»
Trotzdem nehme der Verband den Vorfall natürlich ernst: «Unser Ziel ist es klar, unsere Floristinnen und Floristen vor möglichen gesundheitsschädigenden Auswirkungen durch Pestizide zu schützen.»
Meier nimmt allerdings auch die Konsumentinnen und Konsumenten in die Verantwortung: «Der Anspruch an Blumen ist heute oft, dass sie perfekt sind, schon fast künstlich schön. Das ist ohne den Einsatz von Pestiziden kaum zu gewährleisten, Bio-Blumen sind ausserdem teurer. Die Frage ist also immer auch: Ist der Konsument bereit, Qualitätseinbussen und höhere Preise in Kauf zu nehmen?»
Hast du oder hat jemand, den du kennst, ein Kind verloren?
Hier findest du Hilfe:
Kindsverlust.ch, Beratung bei Kindstod vor, während und nach Geburt
Himmelskind.ch, für Akuthilfe und Trauerbegleitung
SIDS, nach plötzlichem Kindstod
Verein Regenbogen Schweiz, Hilfe für trauernde Familien
Mein-Sternenkind.ch, für betroffene Väter, Familien, Angehörige
Lifewith.ch, für betroffene Geschwister
Appella, Telefon- und Onlineberatung bei früher Fehlgeburt
Pro Pallium, Trauergespräche und Trauertreffen
Seelsorge.net, Angebot der reformierten und katholischen Kirchen
Muslimische Seelsorge, Tel. 043 205 21 29
Jüdische Fürsorge, info@vsjf.ch
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