PIAAC-Kompetenz-Studie«Ich habe immer Angst, wenn ich etwas schreiben muss»
Jede dritte Person in der Schweiz hat Mühe mit Lesen, Rechnen oder Problemlösung. Anita Schobinger lebt seit ihrer Kindheit mit einer Lese- und Schreibschwäche. Obwohl sie im Alltag immer wieder an ihre Grenzen stösst, will sie Betroffenen Mut machen.
Darum gehts
Anita Schobinger lebt mit einer Lese- und Schreibschwäche und kämpft täglich mit Herausforderungen.
In der Schweiz haben rund 1,25 Millionen Menschen Schwierigkeiten mit dem Lesen.
Vielerorts gibt es Kurse für Erwachsene mit einer Lese- und Schreibschwäche – Betroffene getrauen sich jedoch oftmals nicht, diese zu besuchen.
Anita möchte anderen Mut machen und betont die Wichtigkeit von Kursen für Erwachsene.
Beim Arzt, im Strassenverkehr oder beim Bewerbungsschreiben: Anita Schobinger (45) wird täglich mit ihrer Lese- und Schreibschwäche konfrontiert. Sie gehört zu den rund 1,25 Millionen Personen in der Schweiz, die laut der PIAAC-Studie «geringe Kompetenzen» im Bereich Lesen aufweisen. «Ich habe immer Angst, wenn ich etwas schreiben muss. Es ist, als hätte ich einen Klotz am Bein», beschreibt Anita ihre Situation.
«Eine Bewerbung zu schreiben ist für mich eine Tagesaufgabe»
Schon als Kind fiel ihr das Lesen und Schreiben schwer. Damals wurde das jedoch als gewöhnliches Lernproblem abgetan. Erst mit 18 Jahren bemerkte ihr damaliger Chef, dass etwas nicht stimmte. Nach einer Abklärung erhielt sie die Diagnose Legasthenie, also eine Lese- und Rechtschreibstörung. «Ich hätte mir gewünscht, dass man schon in der Schule etwas dagegen unternommen hätte», sagt Anita rückblickend. Trotzdem arbeitete sie bereits ihr ganzes Leben im Büro und hat Freude an der Arbeit.

«Eine Bewerbung zu schreiben ist für mich eine Tagesaufgabe», erzählt Anita Schobinger.
PantherMedia / Oleksandr LatkunDas Schreiben oder Lesen von Texten kostet sie bis heute viel Zeit und noch mehr Energie. «Eine Bewerbung zu schreiben ist für mich eine herausfordernde Tagesaufgabe.» Derzeit sucht Anita eine neue Teilzeitstelle und arbeitet nebenbei bei «SmartTalk», einer Sprach- und Computerschule für Erwachsene. Dort unterstützt sie die Macher unter anderem dabei, Internetseiten einfacher und für Menschen mit Leseproblemen verständlicher zu gestalten.
«Viele Betroffene besuchen die Kurse aus Scham nicht»
«Es ist wichtig, dass es diese Angebote für uns gibt», betont Anita. Formulare beim Arzt oder bei der IV seien durch ihre komplexen Formulierungen für sie zusätzlich anspruchsvoll. Digitale Hilfsmittel wie ChatGPT, Vorlese- und Diktierfunktionen seien ihr im Alltag eine grosse Hilfe – doch auch diese sind nicht überall verfügbar. «Es ist wichtig, dass solche Angebote gefördert und eingesetzt werden», betont Anita.

Vielerorts in der Schweiz gibt es Kurse für Personen mit einer Lese- und Schreibschwäche, «Betroffene besuchen sie jedoch aus Scham nicht», erzählt Anita.
Nicole PhilippIn der Schweiz gibt es vielerorts Kurse für Erwachsene mit einer Lese- und Schreibschwäche. «Viele Betroffene wissen jedoch gar nicht, dass es diese gibt oder sie besuchen sie aus Scham nicht», erzählt Anita. Dass laut der Studie jede dritte Person von Grundkenntnisschwäche betroffen ist, überrascht sie sehr: «Das ist wahnsinnig.»
Findest du, dass Schulen mehr tun sollten, um Lese- und Schreibschwächen frühzeitig zu erkennen?
Trotz ihrer täglichen Herausforderungen möchte Anita anderen Betroffenen Mut machen: «Es ist nicht schlimm, eine Schwäche zu haben. Wir können sie annehmen, daran arbeiten und an der Herausforderung wachsen.» Sie hofft, dass die öffentliche Diskussion viele Menschen erreicht, Betroffene ermutigt, Hilfe in Anspruch zu nehmen und die Gesellschaft sensibilisiert wird, Hilfe anzubieten.
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