
Pilzkaffee ist im Trend: Das Heissgetränkt schmeckt nur dezent nach Pilzen.
Getty Images/iStockphotoSuperfood oder Marketing-Gag?Pilzkaffee ist der neuste Wellness-Trend
Seine Inhaltsstoffe sollen das Immunsystem stärken, die Konzentration und Energie steigern: Im Pilzkaffee sehen viele ein neues Superfood. Ernährungsexpertinnen sind skeptisch.
In Amerika wird der Mushroom Coffee schon seit längerer Zeit als Superfood gefeiert, nun hält er auch in Europa langsam Einzug. Bei diesem extravagant klingenden Getränk handelt es sich um Kaffeepulver, das mit Extrakten sogenannter Vitalpilze angereichert ist. Online und im Detailhandel findet man den Kaffee bereits portionsweise abgepackt, den man wie Instantkaffee mit heissem Wasser aufgiesst. Aufgrund des geringeren Koffeingehalts und weniger Bitterkeit soll Pilzkaffee für empfindliche Menschen bekömmlicher sein.

Mushroom Coffee Chaga & Lions Mane von Four Sigmatic, Fr. 17.90, über bodysport.ch.
bodysport.chNeu ist die Idee keineswegs: Da Kaffee während des Zweiten Weltkriegs zu den knappen Gütern gehörte, nutzten die Menschen Alternativen – so verarbeitete man in Finnland etwa den dort beheimateten Chaga-Pilz (Schiefer Schillerporling) zu Kaffee. In Gesundheitsmagazinen und -büchern gilt dieser als «König der Vitalpilze».
Die Vermarktung von Vitalpilzen boomt im Internet
Im asiatischen Raum hat die Anwendung von Vitalpilzen eine lange Tradition, die hier gerade (wieder-)entdeckt wird, erklärt Beatrice Liechti, Ernährungsberaterin BSc SVDE und Geschäftsführerin bei Cleveress. Vor allem im Internet boomt die Vermarktung von Heil- und Vitalpilzen.
Häufig handelt es sich dabei um Pilze, die aufgrund ihres Geschmacks nicht als Speisepilze verwendet werden und nicht als Lebensmittel zugelassen sind. Ihnen wird nicht nur oft die Fähigkeit zugesprochen, die Konzentrationsfähigkeit zu steigern, das Immunsystem zu stärken oder bei der Bekämpfung von (chronischen) Krankheiten zu helfen, sondern sogar gegen Diabetes oder Krebs wirksam zu sein.

Der Chaga-Pilz gilt als «König der Vitalpilze» und soll eine vorbeugende und heilende Wirkung gegen Krebs haben, so die Volksmedizin.
Unsplash / Bluebird ProvisionsTatsächlich sollen gewisse Inhaltsstoffe gesundheitlich günstige Wirkungen in Studien gezeigt haben, beispielsweise für das Immun- oder Herz-Kreislaufsystem, so Liechti. Allerdings seien die meisten Studien an Tieren durchgeführt worden und dazu noch mit hochdosiertem Pilzextrakt. Ob die pulverisierten Pilze aufgelöst im heissen Wasser beim Menschen die gleichen Auswirkungen haben, sei demnach fraglich.
Bei fixfertigen Pilz-Kaffeemischungen aus dem Internet oder Ausland sollte man vorsichtig sein im Hinblick auf die Qualität (Wirk- und Schadstoffe) sowie die Dosierung.
Der Vitalpilz ist reines Marketing
Die Schwierigkeit liege vor allem darin, dass Vitalpilze als «Superfood» vermarktet werden, da sind sich Liechti und Christine Brombach, Dozentin am Institut für Lebensmittel- und Getränkeinnovation an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), einig: «Heil- oder Vitalpilze sind Begriffe aus dem Marketing und rechtlich nicht geschützt. Vor allem dürfen diese gar nicht zur Vorbeugung oder Heilung von Krankheiten beworben werden», so Brombach, «Heilsversprechen sind nicht seriös und in der Schweiz wie auch in der EU verboten». Verkaufen lassen sich Produkte mit Vitalpilzen als Superfood angepriesen aber alleweil besser.
Die vermeintlichen Heileffekte der Pilze beruhen auf der Wirkung von sekundären Pflanzenstoffen – eine allgemeingültige Aussage zur tatsächlichen Wirkung sei derzeit aber nicht möglich, bestätigt auch Brombach.
Auch vorsichtig sollte man im Hinblick auf die Produktion sein, denn viele der Pilze sollen nicht unter standardisierten Bedingungen hergestellt werden und können daher mit Schimmelpilzen oder Schwermetallen verunreinigt sein – oder statt des ausgelobten, teuren Pilzes würden die Produkte einen Ersatzpilz enthalten, warnt die Dozentin. «Ausserdem variieren die Inhaltsstoffe vieler Produkte stark.»
Instantkaffee mit Pilzextrakten steht Brombach ebenfalls kritisch gegenüber: «In der asiatischen Volksheilkunde und der TCM werden bestimmte Pilze angewendet und zunehmend auch erforscht», meint sie. «Da werden jedoch für jeden Menschen individuelle Auszüge, Zubereitungen und Dosierungen verwendet – das hat nichts mit Instantkaffee für den täglichen Gebrauch zu tun».
Wohl eher Placebo-Effekt als Superfood
Dass Vitalpilze als Superfood gepriesen werden, könne man vielleicht auch mit dem Placebo-Effekt erklären, meint Liechti. Dieser sei besser untersucht und wissenschaftlich bewiesen: «Wenn ein Superfood oder ein sogenanntes Heilmittel mit einem gewissen Glauben konsumiert wird, kann dieser Effekt tatsächlich auftreten», sagt die Ernährungsberaterin.
Die Aufmerksamkeit für gewisse pflanzliche Inhaltsstoffe der Pilze kann Liechti aber dennoch nachvollziehen, denn hochwertige, kontrollierte Pilzpulver-Extrakte in Nahrungsergänzungsmitteln könnten durchaus wertvolle Inhaltsstoffe enthalten. Dafür wünsche sie sich aber allgemein eine etwas differenziertere Betrachtungsweise: «Die Gesundheit ist nicht von einem Lebensmittel abhängig, sondern von einem ganzheitlichen, gesunden Lebensstil.»
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