E-SchwedePolestar 2 ab 55'900 Franken
Die Elektromarke Polestar macht mit ihrem neuen Auto deutlich, wohin die Mobilitätsreise zukünftig geht.
Die aufstrebende Elektromobilität zwingt alle zum Umdenken: Über Jahrzehnte aufgebaute Gewohnheiten scheinen sich wie der Blitz in elektrisch geladener Luft aufzulösen. Die traditionelle Automobilindustrie läuft derzeit Gefahr, von der technischen Entwicklung überholt zu werden. Während beispielsweise die deutschen Premiumhersteller Audi, BMW und Mercedes-Benz nur langsam auf die Electric Avenue einbiegen, fährt Tesla zumindest bei den Verkäufen von einem Rekord zum andern. Und jetzt rollt Polestar, die in Göteborg stationierte Elektromarke und Volvo-Tochter, mit dem Polestar 2 einen ernstzunehmenden Konkurrenten zum Tesla Modell 3 an den Start.
Umdenken müssen bei der ersten Fahrpräsentation des Polestar 2 auf dem riesigen Volvo-Testgelände Hällered bei Göteborg aber auch die Journalisten: Bisher wurden die Vorzüge neuer Fahrzeugmodelle bei Präsentationen mit aufwändig gestaltetem Hochglanz-Material und Videoshows von einer meist männlichen Armada von Autoingenieuren präsentiert, bevor man das neue Auto endlich fahren durfte. Nicht so bei Polestar – von Showeffekten keine Spur. Im Gegenteil.
Treffen in der Holzbaracke
Auf dem abgesperrten Testgelände mit 50 Kilometer Fahrbahnen unterschiedlichster Beschaffenheit, empfängt uns die 42-jährige Produktmanagerin Beatrice Simonsson in einer schmucklosen Holzbaracke. Als Maschinenbauingenieurin ist sie mit ihrem Team von rund 100 Angestellten dafür verantwortlich, dass der Polestar 2 zum Erfolg wird. «Der Polestar 2 ist nach rund vier Jahren Entwicklungs- und Testzeit mein viertes Baby, und ich schaue dafür, dass es gut gedeiht», verspricht die dreifache Mutter. «Wir sind alles Autoprofis, geniessen aber den Startup-Groove.» Mit Beatrice Simonsson sind eine Handvoll durchwegs junger Ingenieure vor Ort, die es kaum erwarten können, dass wir uns in die zwei vor der Türe stehenden Testautos setzen.
Technische Erklärungen zum Allradantrieb mit an der Vorder- und Hinterachse arbeitenden, permanenterregten Synchronmotoren halten die Verantwortlichen für unnötig. Dass der Polestar 2 in der im ersten Jahr erhältlichen «Launch Edition» mit 408 PS und 660 Newtonmetern vorangetrieben wird und die Momentverteilung im Verhältnis 50:50 auf beide Achsen geschieht, müssen wir später dem per Mail nachgereichten Datenblatt entnehmen. Auch die Tatsache, dass das Lithium-Ionen-Batteriepaket im Unterboden der Stahlkarosserie über eine Ladeleistung von 78 kWh verfügt, mit dem Schnelllader in rund 30 Minuten auf 80 Prozent geladen und damit eine Reichweite im WLTP-Fahrzyklus von rund 470 Kilometern erreicht werden kann, wird nur auf Nachfrage kommuniziert. Überhaupt scheinen technische Details bei dieser Generation von Auto-Ingenieuren nebensächlich. Viel wichtiger ist ihnen, dass man das Fahrzeug erfährt und vor allem seine digitalen Eigenschaften kennenlernt.
Tadellose Performance
Erwartungsgemäss fährt sich der Polestar 2, dessen kompakte Fliessheckoptik an die späten Saab-Modelle erinnert, auf der Rundstrecke tadellos. Joakim Rydholm, Chassis-Verantwortlicher und Chef-Testfahrer von Polestar, sitzt auf dem Beifahrersitz und strahlt übers ganze Gesicht, während man am Steuer staunt, wie agil der über zwei Tonnen schwere Polestar Asphaltstrecken ausfedert und Kurven spurgetreu meistert. «Wir verstehen uns im Hause Volvo als dynamisch-sportive Marke für Individualisten», betont Rydholm. «Wir sind eine zeitgemässe Premium-Elektromarke.» Premium ist auch die Innenausstattung, welche je nach Wunsch als vegane Version oder mit Leder und Holz verfügbar ist. Alles in allem wirkt das Design und die Verarbeitung deutlich hochwertiger als bei Tesla – auch wenn Polestar behauptet, dass es sich bei den Testfahrzeugen um Vorserienmodelle handelt.
Das Highlight des Polestar 2 ist aber nicht die Hardware des Fahrzeuges, sondern seine sichtbare Software. Diese wird von den Ingenieuren nach der Fahrt als erste und einzige Präsentation des Tages ausgiebig demonstriert. Denn bei Polestar vertritt man die Meinung, dass die beiden dominanten 11- und 12-Zoll-Bildschirme im Cockpit zum wichtigen, wenn nicht gar wichtigsten Teil des Markenerlebnisses geworden sind. Hier wird in der folgenden Präsentation eine knappe Stunde Zeit investiert, um das ganze Potenzial der Software aufzuzeigen. So erfährt man, dass im Polestar 2 erstmals bei einem Auto eine Android-Lösung von Google zur Anwendung kommt und das Herzstück des E-Autos bildet. Über die Sprachsteuerung 'Hey Google' lassen sich praktisch alle Funktionen wie Navigation, Radio, Klima oder Fahrmenüs lenken. Wer daheim eine Smartbox mit Google Assistant im Einsatz hat, kann über seinen Polestar sogar die Beleuchtung ein- und ausschalten oder die virtuelle Einkaufsliste per Sprachbefehl ergänzen. Dabei sorgt die im Wagen eingebaute Sim-Karte dafür, dass das System immer auf dem neusten Stand ist. Zudem lernt das intelligente System wie der Nutzer spricht, und nicht umgekehrt.
Am Ende des Tages wird einem klar: Mit dem Polestar 2 und seinem Google-Betriebssystem geht das Umdenken in Sachen Automobilität nochmals einen grossen Schritt weiter. Wer in der Schweiz ab März online und gegen eine Anzahlung von 1000 Franken einen Polestar 2 zum Preis von 55'900 Franken reserviert, hat wohl Ende Jahr ein Fahrzeug in der Garage stehen, das die Elektromobilität nochmals neu definiert. Zeit zum Umdenken bleibt bis dahin genügend.