SchweizPolizei will Pädophilen mit fiktiven Kinderpornos Falle stellen
Mit künstlich generierten Kinderpornos überführen Ermittler in Deutschland neuerdings Pädophile. In der Schweiz ist dies noch verboten. Doch die Polizeikommandanten wollen das ändern.
Darum gehts
- In der Schweiz ist bisher weder das Erstellen noch das Einsetzen von künstlich generierter Kinderpornografie erlaubt.
- Eine Änderung würde der Polizei verdeckte Ermittlungen im Darknet erlauben.
- Experten weisen auf die moralisch-ethischen Bedenken hin.
Mit Kinderpornografie auf Pädophilen-Fang gehen: Was im ersten Moment etwas absurd klingt, ist seit Mitte März 2020 Ermittlern in Deutschland gestattet. Das dabei verwendete Material ist künstlich hergestellt und soll genutzt werden, damit sich Ermittler etwa in einschlägige Darknet-Foren einschleichen und das Vertrauen der Täter gewinnen können, wie Zeit Online schreibt.
Laut Thomas Goger, Oberstaatsanwalt und führender Kopf bei der Zentralstelle Cybercrime Bayern, wird Kinderpornografie überwiegend im Darknet getauscht. «Das heisst, wir müssen mit unseren Ermittlern auf den einschlägigen Foren und Boards aktiv sein.» Das Problem: Neulinge müssen eine sogenannte Keuschheitsprobe bestehen, also selbst Missbrauchsdarstellungen hochladen, bevor sie Zugang zu den Foren erhalten. «Da müssen sie vielleicht die Tageszeitung mit ins Bild halten, um zu beweisen, dass es aktuelles und neues Material ist», erklärt Goger.
Die Herstellung des Materials ist dank künstlicher Intelligenz problemlos möglich – es braucht aber meist echtes kinderpornografisches Material dafür, das verfremdet wird (siehe Box). Laut Philipp Slusallek vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz kann man «inzwischen Ergebnisse erzielen, die täuschend echt aussehen, zumindest, wenn man nicht ganz genau hinschaut».
In der Schweiz strafbar
In der Schweiz ist bisher weder das Erstellen noch das Einsetzen von künstlich generierter Kinderpornografie erlaubt. Dies teilen die Kantonspolizei Zürich, die Kantonspolizei Bern und das Bundesamt für Polizei (Fedpol) mit. «Es gibt keine rechtliche Grundlage dafür. Das Erstellen und Verbreiten von solchem Material verstösst explizit gegen den geltenden Artikel zu verbotener Pornografie im Strafgesetzbuch», sagt Fedpol-Sprecher Florian Näf.
Laut Stefan Blättler, Präsident der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten (KKPKS) wäre es jedoch wünschenswert, wenn sich dies ändern würde: «Die KKPKS begrüsst Instrumente, mit welchen diese Straftaten verfolgt und weitere verhindert werden können. So sind die Täter in diesem Bereich sehr vorsichtig und es ist schwierig, an sie heranzukommen.» Im Rahmen der laufenden Revision der Strafprozessordnung seien entsprechende Überlegungen eingebracht worden.
In ihrer Stellungnahme schlagen die Polizeikommandanten einen entsprechenden Artikel vor: Wer kein kinderpornografisches Material liefern könne, werde aus einschlägigen Foren umgehend ausgeschlossen, heisst es im Papier. Und weiter: «Zum Zwecke der Ermittlung wäre es sehr dienlich, wenn hier unter strengen Voraussetzungen Ausnahmen möglich wären, beispielsweise das Weiterleiten von pornografischem Material, welches jedoch fiktive und nicht real existierende Personen zeigt.»
Keine Rückschlüsse auf Opfer ermöglichen
Auch für den ehemaligen Kriminalkommissar und Sprecher der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt, Markus Melzl, würden solche computergenerierten Bilder bei der Verfolgung von Pädophilen und Kinderschändern Sinn machen: «Wenn sie helfen, die Täter aus dem Verkehr zu ziehen, begrüsse ich das Vorgehen grundsätzlich.»
Da es ein sehr heikles Thema sei, müssten die Strafverfolgungsbehörden aber garantieren können, dass keinerlei Rückschlüsse auf real existierende Personen möglich sind: «Der Worst Case wäre, wenn die Bilder einer Tat, die für die Herstellung der Computerbilder benötigt werden, nicht ausreichend verändert würden und somit jemand zum zweiten Mal zum Opfer würde.»
Laut Philipp Slusallek vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz kann nicht ausgeschlossen werden, dass echte Opfer auf den computergenerierten Bildern erkennbar sind, er hält es aber für zumindest unwahrscheinlich.
Mit künstlicher Intelligenz zu fiktiver Kinderpornografie
Um täuschend echtes fiktives kinderpornografisches Material herstellen zu können, braucht es laut Philipp Slusallek vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz im Idealfall als Ausgangslage echte Kinderpornografie. «Diese wird von einer künstlichen Intelligenz so lange verändert, bis ein zweites Programm sie für so ähnlich hält, dass sie kaum mehr von realen Bildern zu unterscheiden ist. Das Material werde aber so verfremdet, dass die Menschen auf den Ursprungsbildern nicht mehr erkennt würden.
Um ganz sicherzugehen, könnten die Ermittler die Ursprungsbilder auch am Computer erzeugen und sie dann in die künstliche Intelligenz einspeisen. Laut Slusallek kann nicht ausgeschlossen werden, dass echte Opfer auf den computergenerierten Bildern erkennbar sind, er hält es aber für zumindest unwahrscheinlich.
Umstrittene Methode
Den Behörden müssten – wie das teils heute schon der Fall sei – enge Grenzen gesetzt werden, findet Melzl: «So dürfen sie etwa niemanden zu einem Fehlverhalten provozieren und müssen dem potenziellen Täter aktiv die Möglichkeit geben, die Straftat nicht zu begehen. Etwa, indem sie ihn warnen, dass das, was sie gerade verschicken, illegal ist.»
Stephan Walder, stellvertretender Leitender Staatsanwalt im Kanton Zürich und Cyber-Experte, hält den Einsatz von künstlich generiertem Material in taktischer Hinsicht ebenfalls für zielführend. Er macht jedoch auf die moralisch-ethischen Bedenken aufmerksam: «Es wird kontrovers diskutiert, ob die Verbreitung von Kinderpornografie zu Strafverfolgungszwecken verhältnismässig ist. Wohl könnte man ins Feld führen, die verbreiteten Bilder seien künstlich generiert, also habe keine sexuelle Missbrauchshandlung gegenüber einem Kind bei der Herstellung der Datei stattgefunden. Andererseits befriedigen genau solche Bilder und Filme die Bedürfnisse der Täter gleichwohl, da die Erzeugnisse sehr echt wirken.»
Auch das Fedpol verweist auf kritische Aspekte dieser Methode: «Es stellen sich ethische Fragen. Was lösen solche Bilder aus? Wie werden sie verbreitet? Ist es wirklich zielführend?», sagt Sprecher Florian Näf. Wie in anderen Bereichen entscheide letztlich auch die Politik, welche Methoden den Schweizer Strafbehörden ermöglicht werden sollen.