Propaganda vor Wahlen«Russland sucht Publikum bei Anhängern von Verschwörungstheorien»
Russland-Experte Ulrich Schmid erklärt, warum der Kreml nun wohl auch in der Schweiz Propaganda verbreitet. Er glaubt aber, dass die Schweizer Demokratie stark genug sei, das auszuhalten.
Darum gehts
Der Schweizer Nachrichtendienst geht davon aus, dass das Video eines pinkelnden Ausländers von russischen Kreisen gestreut wird.
Osteuropa-Kenner Ulrich Schmid hält das für plausibel. Russland versuche, Anhänger von Verschwörungstheorien zu erreichen.
Noch aber sei das Phänomen in der Schweiz neu – ganz im Vergleich etwa zu Deutschland.
Herr Schmid, wie schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass solche Videos tatsächlich von Russland aus gesteuert werden?
Es ist schwierig, eine lückenlose Beweiskette zu rekonstruieren. Es ist der erste so gelagerte Fall in der Schweiz, der mir bekannt ist, aber ich halte eine russische Einflussnahme für möglich. In mehreren europäischen Ländern sind Desinformations-Kampagnen dokumentiert, die einen russischen Hintergrund haben. Mit der Annexion der Krim hat das 2014 begonnen. Erstmals deutlich wurden solche Versuche in Kommentarspalten grosser Medien, zuerst beim «Guardian». Dann griffen diese manipulierten Wortmeldungen auf Deutschland über. Oft handelte es sich um Beiträge in gebrochenem Deutsch mit vielen Grammatikfehlern.
Und in der Schweiz? Welche Absichten verfolgt der Kreml mit der Verbreitung solcher Videos?
Russland könnte versuchen, bei den Anhängern von Verschwörungstheorien ein Publikum zu finden. Seit der Pandemie gibt es eine grosse Schnittmenge von Menschen, welche die Corona-Massnahmen ablehnten und nun Sympathien zeigen für russische Propaganda. Es ist auch nicht verwunderlich, dass die russische Propaganda in der Schweiz schwächer ist als in anderen Staaten.
Wieso?
Die russische Propaganda überlegt genau, welche Gesellschaften anfällig sind und welches die politisch und wirtschaftlich wichtigen Partner sind. Gerade im Osten Deutschlands gibt es weit verbreitete Sympathien für Russland. Die Russen versuchen auch, den Anti-Amerikanismus der deutschen Linken zu instrumentalisieren. Ausserdem knüpft man bei der Annexion ukrainischer Gebiete an die jüngste deutsche Geschichte an und spricht von «Wiedervereinigung».
Wer in Russland steuert solche Einflussnahmen?
Vieles stammte lange Zeit aus den Trollfabriken von Jewgeni Prigoschin. Eine finnische Journalistin konnte sich dort einschleichen und dokumentieren, dass diese im Akkord bezahlten Mitarbeitenden falsche Social-Media-Profile bedienten und bewusst russische Propaganda in anderen Staaten verbreiteten.
Wie gross kann der Einfluss von solchen bewusst gestreuten Videos auf Wahlen in europäischen Ländern sein?
Das ist eine schwierige Frage. In einer Demokratie gibt es unendlich viele Stimmen, darunter auch fragwürdige. Die Stärke einer Demokratie bemisst sich danach, wie anfällig sie für manipulierte Narrative ist. Ich halte die Schweizer Demokratie für stark genug, dass sie resilient ist gegenüber solchen Beeinflussungsversuchen. Wir sollten solche Fälle auch nicht zu sehr aufblasen, damit würden wir dem Kreml eine Macht zuschreiben, die er gar nicht besitzt. Das eigentliche Problem ist die Bereitschaft der Stimmbürger, solche Narrative zu glauben.
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