StrassenblockadenAutobahn-Blockaden und SUV-Attacken – Klimabewegung immer radikaler
Verschiedene Klimaaktivismus-Gruppierungen kämpfen mit immer radikaleren Mitteln für griffige Massnahmen. Experten von Avenir Suisse und Greenpeace Schweiz rechnen mit einer Häufung von Klimaprotesten.
Darum gehts
Vor wenigen Wochen besetzten Klimaaktivistinnen und -aktivisten nahe Brugg AG den Holcim-Steinbruch. Am Montag blockierte die Gruppierung «Renovate Switzerland» die Autobahn A9, am Donnerstag die Fahrbahn der Mont-Blanc-Brücke in Genf. Zudem kündigten sie bereits weitere Aktionen an. Aktiv sind auch die lüftelnden «Tyre Extinguishers» und «Extinction Rebellion», die bereits im Herbst Zürich mit Sitzstreiks lahmlegen wollten. Verschiedene Klimaaktivismus-Gruppen kämpfen mit immer radikaleren Mitteln für mehr Klimaschutzmassnahmen.
Die letzten 30 Jahre Klimaaktivismus hätten gezeigt, dass es nicht reiche, in «normalen» Demos mitzumarschieren, sagt die Sprecherin von «Renovate Switzerland», Cécile Bessire. Deshalb lasse man die Situation jetzt – gewaltfrei – eskalieren, deshalb wolle man weiter wichtige Verkehrsknotenpunkte blockieren. Die Gruppe will so lange weitermachen, bis der Bundesrat ihre Forderungen realisiert.
Genau das sei jedoch kontraproduktiv, sagt Patrick Dümmler, Wissenschaftler und Forschungsleiter bei der Denkfabrik Avenir Suisse. «Wenn kleine, radikalisierte Gruppen mit solchen Störaktionen den sofortigen Übergang zu einem ‹grünen Sozialismus› fordern, um die Welt vor dem ‹kurz bevorstehenden› Untergang zu retten, dann erzeugt das beim überwiegenden Teil der Bevölkerung zunehmend Kopfschütteln.»
Wenig Verständnis für radikale Aktionen
Solche Aktionen trügen inhaltlich nichts zum demokratischen Diskurs bei und schadeten letztlich dem nötigen Klimaschutz, sagt Dümmler. «Der Kampf gegen den Klimawandel braucht griffige Massnahmen, die von breiten Bevölkerungsschichten dauerhaft getragen werden.» Radikale, moralisch aufgeladene Forderungen zur völligen und sofortigen Umkrempelung unseres Lebens erfüllten diese Bedingung nicht.
Das Verständnis für solch radikale Aktionen und Forderungen sei daher in der Bevölkerung nur beschränkt vorhanden. «Dies vor allem, weil die Schweiz genügend demokratische Instrumente bereithält, um sich in den politischen Prozess einzubringen», sagt Dümmler. Das sei mit ein Grund, wieso die Aktionen nicht nachhaltig seien. «Ausser Empörung bleibt meist kaum etwas zurück.»
Pandemie und Ukraine statt Klima
Dass radikale Protestformen in den letzten Wochen und Monaten zugenommen hätten, sei aber kein Zufall, so Dümmler: «Die mittel- und langfristige Herausforderung des Klimawandels wurde in den letzten beiden Jahren immer wieder durch kurzfristigere Themen medial überlagert.» Zunächst sei die Pandemie das dominierende Thema gewesen, nun der Krieg in der Ukraine. «Bei diesen Aktionen geht es vor allem darum, die Medienaufmerksamkeit wieder aufs Klima zu lenken.»
Hinzu komme, dass in der Schweiz letzten Sommer die Revision des CO2-Gesetzes abgelehnt worden sei und die Klimapolitik deshalb neu justiert werde. «Darauf versucht man offenbar Einfluss zu nehmen.» Ob die Proteste jetzt ausgeweitet werden und bald jede Woche eine Strasse oder Autobahn blockiert wird, sei schwierig vorauszusehen. «Aber solange die Proteste medial Beachtung finden, so lange werden sie wohl auch weitergehen.»
«Der Weckruf wird nicht gehört»
Auch Georg Klingler, Klima- und Energieexperte bei Greenpeace Schweiz, rechnet damit, dass es mehr Proteste und Aktionen geben wird. Doch nicht die Blockaden oder Demos sollten Grund für eine Berichterstattung sein, sondern der eigentliche Grund der Proteste an sich: «Der neueste Bericht des Weltklimarats IPCC Ende Februar hat gezeigt, dass wir mitten in der Klimakrise stecken und drauf und dran sind, unsere Lebensgrundlagen zu zerstören.» Trotzdem habe kein Land die Klimaschutzmassnahmen verstärkt.
Auch die Politikerinnen und Politiker in der Schweiz seien auffällig still geblieben, sagt Klingler. «Der Weckruf wird nicht gehört – oder will nicht gehört werden. Man könnte meinen, die Entscheidungsträgerinnen und -träger befinden sich in einem Dornröschenschlaf.»
Verdrängung der Klimaerhitzung
Solange sich nichts bewege, solange sich Politik und Gesellschaft weigerten, der Stabilisierung des Klimas Priorität einzuräumen, so lange gebe es Menschen, die gegen diese Untätigkeit opponierten und ihre Mitmenschen aufrütteln wollen, sagt Klingler. «Viele Menschen verdrängen wohl die Folgen der Klimaerhitzung, da die Folgen noch zu wenig unmittelbar, zu wenig Teil ihrer Lebensrealität sind.»
Doch diese Folgen verschärften sich mit jedem Jahr. «Ich hoffe, dass wir als gesamte Gesellschaft nicht erst aufwachen, wenn das Wasser knapp geworden ist und das Essen auf dem Teller fehlt», so Klingler. «Darum braucht es immer wieder Menschen, die uns aus unserem Alltagstrott herausreissen und uns dazu bringen, über die Klimakrise und unsere Verantwortung darin nachzudenken – darüber zu reden und entsprechend zu handeln.»