Abrüstungsverträge«Putins Signal an die USA ist klar – ihr seid jetzt die Hauptfeinde Russlands»
Kremlchef Wladimir Putin kündigte an, die Atomabrüstungsverträge «New Start» auszusetzen. Der Rest seiner Rede sei die zu erwartende Kriegspropaganda gewesen, analysiert Experte Ulrich Schmid.
Wladimir Putin gab in seiner Rede dem Westen die Schuld am Krieg in der Ukraine.
20minDarum gehts
Wladimir Putin und Joe Biden hielten am Dienstag je eine Rede – insbesondere jene des Kremlchefs war mit Spannung erwartet worden.
Doch ausser der Ankündigung, dass Putin aus dem Atomabrüstungsprogramm «New Start» aussteigen will, kam laut Experte Ulrich Schmid nicht viel Neues.
«Putin wiederholte das übliche Klagelied auf den Westen und versuchte, seine Nation weiter auf den Krieg einzuschwören», sagt Schmid.
Er rechnet mit weiteren Offensiven Russlands und einem andauernden Abnutzungskrieg.
Am Dienstag hielt Kremlchef Wladimir Putin eine mit Spannung erwartete Rede. Putin schob die Schuld am Krieg in der Ukraine dem Westen in die Schuhe, zog über die USA her und kündigte an, das Atomabrüstungsabkommen «New Start» auszusetzen. Kurz darauf versicherte Russland laut «Regierungskreisen», sich trotz Putins Ankündigung an die im Abrüstungsvertrag vereinbarten Obergrenzen für Kernwaffen zu halten. Die Verträge laufen bis 2026. Russland-Experte Ulrich Schmid von der HSG schätzt ein.
Hat Sie Putins Rede überrascht?
Ulrich Schmid: Neu war eigentlich einzig die Ankündigung, aus dem Atomabrüstungsvertrag «New Start» auszusteigen. Ansonsten war die einstündige Rede das übliche Klagelied darauf, dass der Westen und insbesondere die USA Russland in die Knie zwingen wollen. Putin verkehrte Tatsachen, sagte etwa, der Westen habe den Krieg begonnen und Russland führe lediglich eine Rettungsaktion durch. Und er hat erneut die Atomkeule geschwungen.
Stichwort Atomkeule: Ist die Gefahr des Einsatzes nuklearer Waffen mit Putins Drohungen gewachsen?
Es ist ein klares Signal an die USA: «Ihr seid jetzt unser Hauptfeind.» Hier muss man sagen, dass auch die USA unter Donald Trump Abrüstungsverträge gekündigt haben. Militärisch würde ich das aber nicht überbewerten. Einerseits, weil das Atomwaffenarsenal Russlands ja trotz Kündigung dieses Abkommens nicht weiter vergrössert wird. Und andererseits, weil Putin weiss, dass er keine Atomwaffen einsetzen kann. Das würde weder von der russischen Bevölkerung, noch von den letzten verbliebenen Verbündeten Indien und China toleriert.
Zieht dieser Anti-Amerikanismus immer noch?
Ja, gerade in der deutlich grösseren ländlichen Bevölkerung fällt das nach wie vor auf fruchtbaren Boden. Die städtische Intelligenzija kennt und schätzt den Westen.
Was wollte Putin mit der Rede bezwecken?
Diese Rede ist ja verfassungsmässig vorgeschrieben, 2022 hatte Putin sie aber ausgesetzt mit der Begründung, es gebe kaum Neues zu erzählen. Eigentlich wäre das auch dieses Jahr die ehrlichere Option gewesen. Putin wollte die Nation weiter auf diesen Krieg einschwören. Deshalb dankte er auch ausdrücklich einzelnen gesellschaftlichen Gruppen.
Bidens Besuch in Kiew erwähnte Putin nicht. Weshalb?
Es gibt wohl einen praktischen und einen strategischen Grund. Praktisch war Putins Rede wohl längst geschrieben, als Biden in Kiew eintraf. Und strategisch wollte Putin Biden keine Plattform bieten.
Putin sagte, für Russland gehe es um «Leben und Tod», um die «historische Zukunft der Nation». Was lässt sich daraus für den Kriegsverlauf schlussfolgern?
Putin und insbesondere Aussenminister Sergej Lawrow hatten in den letzten Monaten immer wieder Ankündigungen gemacht, dass Russland zu Verhandlungen bereit sei. Doch es ist völlig klar, dass es nach wie vor auf den Deal ‹Land gegen Frieden› herauslaufen würde. Das ist für die Ukraine nicht akzeptabel und würde einen enormen moralischen Schaden darstellen, weil die militärische Aggression mit einem territorialen Gewinn belohnt würde. Es ist also weiterhin mit einem Abnutzungskrieg zu rechnen.
Am 24. Februar jährt sich der Kriegsbeginn. Erwarten Sie eine Grossoffensive?
Nun, Putin wird diesen Tag kaum mit einem Feuerwerk feiern. Wir erinnern uns: Er wollte ursprünglich innerhalb von zehn Tagen eine Marionettenregierung in Kiew installieren. Es ist aber mit weiteren Offensiven zu rechnen in den kommenden Monaten. Das russische Militär weiss, dass es jetzt ein Zeitfenster hat, bis die Ukraine die westlichen Panzer voraussichtlich im Herbst einsetzen kann. In dieser Zeit wird Russland versuchen, die vier Gebiete Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson ganz einzunehmen und unter Kontrolle zu bringen.
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