Wendler & Co.«Radikale Prominente sind ideologische Superspreader»
Immer mehr Menschen distanzieren sich vom offiziellen Corona-Kurs. Auffallend: Besonders Unterhalter und Comedians schwingen sich zu den Wortführern der Kritiker und Protestler auf. Ungefährlich ist das nicht.
Darum gehts
- Michael Wendler hat sich als Corona-Skeptiker und Verschwörungstheoretiker geoutet.
- Mit seiner Kritik an den Massnahmen der Regierung zur Eindämmung des Virus steht er nicht alleine da: Gleich mehrere Entertainer äussern sich öffentlich.
- Ganz ungefährlich ist das nicht.
- Eine Expertin für Radikalisierung und Verschwörungstheorien erklärt, warum Menschen sich radikalisieren und wie man ihnen begegnen sollte.
Je länger die Pandemie andauert, desto mehr Widerstand regt sich gegen den offiziellen Kurs. Besonders lautstark und öffentlichkeitswirksam melden sich Entertainer zu Wort. Die einen, Komiker Marco Rima etwa, sehen sich angesichts der Massnahmen auf dem Weg zur Diktatur. Andere wie Schlagersänger Michael Wendler mutieren zu Verschwörungstheoretikern. Ungefährlich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist das laut Dana Buchzik*, Expertin für Radikalisierung und Verschwörungstheorien aus Berlin, nicht.
Frau Buchzik, seit dem Auftreten von Sars-CoV-2 machen ausgerechnet immer mehr Entertainer ihrem Ärger über die Massnahmen und die Regierungen Luft. Einige radikalisieren sich richtiggehend. Warum?
Gegenfrage: Warum interessieren wir uns für Radikalisierung vor allem dann, wenn es um Prominente geht? Die Forschung zeigt, dass sich Menschen aller Gesellschaftsschichten radikalisieren. Von arm bis reich, von wenig gebildet bis hochgebildet, von einsam bis sozial voll integriert. Die emotionale Funktion von Radikalisierung aber ist immer gleich: Wer sich radikalisiert, will sich das eigene Leben als Heldengeschichte erzählen. Er will zum strahlenden Retter werden, von dem die Zukunft der Welt abhängt.
Skeptiker wie Marco Rima halten das Virus für deutlich weniger gefährlich, als es die Mediziner und Wissenschaftler tun, und zweifeln die Sinnhaftigkeit der Massnahmen an. Woher rührt das?
Viele Menschen wünschen sich eine klare Linie, gerade in unruhigen Zeiten. Das passt aber nicht immer mit dem wichtigsten Prinzip der Wissenschaft zusammen: Dazulernen. Wir wissen heute sehr viel mehr über Sars-CoV-2, als das noch im Januar der Fall war. Deswegen bleiben die Regeln und Maßnahmen nicht statisch, sondern verändern sich.
Xavier Naidoo und Michael Wendler belassen es nicht bei einer Kritik an den Massnahmen, sondern entpuppen sich als Anhänger von Verschwörungstheorien. Wieso fühlen sie sich davon so angesprochen?
Über die persönlichen Motive von Menschen, mit denen ich nie gesprochen habe, kann und möchte ich nicht spekulieren. Ich kann nur ganz grundsätzlich sagen, dass Verschwörungserzählungen letztlich ein menschliches Bedürfnis erfüllen: Die Suche nach Sinn. Viele von uns wollen nicht an Zufall, sondern an eine tiefere Bedeutung glauben, gerade dann, wenn wir uns in überfordernden Situationen wiederfinden – und natürlich ist eine Pandemie eine überfordernde Situation. Sie ruft Angst oder sogar Zorn hervor. Und wer verängstigt oder zornig ist, sucht nach Schuldigen. Eine finstere Elite, die angeblich die Bevölkerung unterjochen will, taugt sehr viel besser zum Feindbild als ein Virus, das durch Zufall mutiert ist und die Artenbarriere übersprungen hat.
Ist das Auflehnen und Kritisieren eine Light-Version vom Folgen von Verschwörungstheorien?
Kritik ist ein überlebenswichtiger Bestandteil unserer Demokratie. Wir alle haben zu jedem Zeitpunkt ein Recht auf unsere eigene Meinung. Schwierig wird es dann, wenn wir glauben, dass sich die gesamte Gesellschaft nach unseren persönlichen Wünschen ausrichten muss, oder wenn wir mit unserem Verhalten bewusst in Kauf nehmen, dass andere Menschen wegen uns schwer erkranken.
Erst Xavier Naidoo, jetzt der Wendler: Für Beobachter scheinen die Radikalisierungen plötzlich passiert zu sein. Im Fall von letzterem erwähnte sein Manager einen Zeitraum von drei Wochen. Kann das so schnell geschehen?
Radikalisierung ist ein komplexer Prozess, der in mehreren Stadien verläuft. Die frühen Stadien werden meist übersehen oder ignoriert. Ich sehe das in meiner Beratung immer wieder: Erst seit der rassistische Onkel oder die Impfgegnercousine bei der Querfront mitläuft, ist vielen klar geworden, dass es da ein ernsthaftes Problem gibt. Die Pandemie hat nicht auf magischem Wege eine Massenradikalisierung ausgelöst, sondern sie wirkt als Beschleuniger. Sie verstärkt ein Problem, das schon lange vorher vorhanden war.
Wendlers Manager beschreibt seinen Klienten als «naiv» und «ohne grossen Freundeskreis», der medial immer viel abbekommen habe. Nun scheine er von etwas Sektenähnlichem gefangen: «Da ist links und rechts nicht mehr dranzukommen.» Lässt sich eine solche Entwicklung wirklich nicht aufhalten?
Natürlich ist auch in späten Radikalisierungsstadien eine Umkehr möglich. Dafür braucht es aber ein Umfeld, das sich wirklich einbringen möchte und kann. Ein Umfeld also, das die radikalisierte Person nicht als naiv, dumm oder krank abstempelt und sich dann aus dem Staub macht. Die Extremismusforschung zeigt, dass Freunde und Verwandte die mächtigsten Allianzen im Kampf gegen Radikalisierung sind. Sie wissen, was der radikalen Person vor ihrer Radikalisierung wichtig war. Welche persönlichen Ziele sie hatte, was in ihrem Leben Bedeutung hatte, was Trost und Mut gespendet hat. Erst wenn wir das verstanden haben, können wir hilfreiche Gegenangebote machen. Wir können sozusagen eine alternative Heldengeschichte entwerfen.
Wie sollte man reagieren, wenn man merkt, dass jemand so abdriftet? Helfen Argumente?
Argumente sind im Gespräch mit Radikalen sinnlos. Nehmen wir ein Beispiel aus dem Alltag: Wenn Sie einem passionierten Raucher erklären, dass Rauchen nicht gut für die Gesundheit ist, wird er dann sofort die Zigarette wegwerfen und Ihnen mit Tränen in den Augen für diese Information danken? Nein. Das Problem ist nicht, dass die radikale Person bis gerade eben unter einem Stein gelebt hätte und jetzt sehnsüchtig darauf wartet, dass Sie ihr die Welt erklären. Das Problem ist, dass die radikale Ideologie eine Funktion erfüllt. Dass sie Vorteile hat. Es geht darum, zu verstehen, welche Vorteile das sind. Erst dann können wir wirklich helfen.
Was können wir als Einzelne gegen Radikalisierung in der Gesellschaft tun?
Jede radikale Person hat eine Familie. Oft auch Freunde. Drehen wir das Ganze mal um: Wir alle kennen mindestens eine Person, deren Worte uns Bauchschmerzen machen. Der Onkel, der seit Jahren am Kaffeetisch gegen Geflüchtete hetzt. Die Cousine, die ihre Kinder nicht impfen lässt. Der alte Schulfreund, der bei Facebook Verschwörungserzählungen verbreitet. Wir sollten das nicht mehr totschweigen oder uns aus dem Kontakt davon stehlen. Und wir sollten verstehen, dass Hilfe nicht darin besteht, eine radikale Person mit Argumenten zu bombardieren, noch einen Buchtipp drauf zu legen und dann zu erwarten, dass sich das Problem schon von alleine lösen wird. Hilfe besteht darin, sich zu informieren, welcher Umgang mit radikalisierten Menschen wirklich produktiv ist, zum Beispiel bei Beratungsstellen, und dann am Ball zu bleiben. Auch, wenn es anstrengend ist. Wenn wir das nicht können oder wollen, ist das vollkommen nachvollziehbar. Dann sollten wir aber auch ehrlich dazu stehen.
Welche Gefahr geht von radikalisierten Prominenten aus?
Das Problem bei radikalisierten Prominenten ist, dass sie eine grosse Fangemeinde haben und deswegen radikale Ideologien in kurzer Zeit bei sehr vielen Menschen «gesellschaftsfähig» machen können. Sie sind sozusagen ideologische Superspreader. Wir sehen das seit Jahren bei Sekten: Sobald Prominente an Bord sind, werden diese radikalen Gruppen normalisiert. Es gilt dann plötzlich als Lifestyle, Mitglied in einer Sekte zu sein, und die Demokratiefeindlichkeit und die systematische Ausbeutung von Menschen, die in solchen Gruppen stattfindet, geraten in den Hintergrund.
*Dana Buchzik ist in einer demokratiefeindlichen Sekte aufgewachsen. Als junge Erwachsene kehrte sie ihr den Rücken zu. Heute beschäftigt sie sich beruflich mit dem Themengebiet. Die Autorin, Beraterin und Dozentin gilt als Expertin für Radikalisierung und Verschwörungstheorien.
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