«Pille ist Beispiel für die Relativierung rechtsextremer Symbole»

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Rechtsextremismus-Experte«Pille ist Beispiel für die Relativierung rechtsextremer Symbole»

In Europa und auch in der Schweiz werden vermehrt Partydrogen in Pillenform mit Nazi-Symbolen wie dem Reichsadler bedruckt. Das schockiert gar den führenden Schweizer Experten für Rechtsextremismus.

Damir Skenderovic ist Historiker, Experte für Rechtsextremismus und Professor an der Universität Freiburg.
Er sagt: «Dass man solche Symbole nun gar auf Ecstasy-Pillen findet, ist eine unglaubliche Entwicklung.» Skenderovic befürchtet, dass viele Konsumentinnen und Konsumenten nicht wüssten, welches Symbol sie vor sich hätten.
Woher die Pillen stammen, lasse sich kaum bestimmen. «Grundsätzlich ist es aber nicht so wichtig, wer sie hergestellt hat.» Der Effekt bleibe derselbe – nämlich, dass die Nazi-Symbole veralltäglicht würden.
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Damir Skenderovic ist Historiker, Experte für Rechtsextremismus und Professor an der Universität Freiburg.

Universität Freiburg/Peter Pfister

Darum gehts

  • In Europa und in der Schweiz sind Partydrogen in Pillenform im Umlauf, die Nazi-Symbole darstellen.

  • So kursiert etwa eine Pille, die den Reichsadler der Nazis darstellt.

  • Historiker und Experte für Rechtsextremismus Damir Skenderovic besorgt diese Entwicklung.

  • Vielen aus der jungen Generation fehle das Wissen über die Geschichte und den Hintergrund der Nazi-Symbole.

Damir Skenderovic ist Historiker und führender Experte für Rechtsextremismus.

Herr Skenderovic, in Europa und auch in der Schweiz kursieren Drogen mit Reichsadlermotiv.

Das Motiv dieser Pillen ist nicht irgendein Reichsadler, sondern der Nazi-Reichsadler. Das erkennt man klar am darin integrierten Hakenkreuz. Es sind also Nazi-Pillen. Dass man solche Symbole nun gar auf Ecstasy-Pillen findet, ist eine unglaubliche Entwicklung.

Woher stammen diese Pillen? Sind die Hersteller rechtsextremen Kreisen zuzuordnen?

Ihre Herkunft lässt sich kaum bestimmen. Grundsätzlich ist es aber nicht so wichtig, wer sie hergestellt hat. Ob das rechtsextreme Kreise sind, die ihre Ideologie verbreiten wollen, die Pillen für die rechtsextreme Szene hergestellt werden oder sich jemand einen schlechten Jux erlaubt hat – die Pille ist ein Beispiel für die Veralltäglichung und Relativierung rechtsextremer Symbole, inklusive dem, was sie mittransportieren: Menschenverachtung, Rassismus und Antisemitismus.

Ecstasy ist keine typische Droge der rechtsextremen Szene, oder doch?

Mit Rechtsextremen verbindet man oft grölende, alkoholisierte Männer. Heute gibt es aber kaum noch Skinheads in Doc-Martens-Stiefeln und Bomberjacken, sondern viele zeigen sich adrett im Poloshirt. Auch, wie sie ihre Freizeit gestalten, oder eben welche Drogen sie konsumieren, hat sich verändert. Heute unterscheidet sich die rechtsextreme Szene in Ausgehpraktiken nicht mehr so stark von anderen Jugendkulturen – auch sie gehen an Raves und nehmen Partydrogen.

Wer sind die Konsumenten dieser Pillen?

Es ist zu befürchten, dass viele Konsumentinnen und Konsumenten nicht wissen, welches Symbol sie vor sich haben. Ich stelle fest, dass die Unwissenheit der jungen Generation über die Geschichte des Nationalsozialismus steigt.

Auch Musik aus der NS-Zeit scheint bei den Jungen anzukommen – der Song «Erika» wird zum Beispiel derzeit auf Social Media und an Festen gehört.

Ja, das Lied erfreut sich auch in Deutschland derzeit einer gewissen Beliebtheit. Schon in der Vergangenheit ist es immer wieder aufgetaucht und wurde auch in Filmen verwendet – etwa kurz in Steven Spielbergs «Schindlers Liste». Dort war es aber immer klar in den historischen Kontext eingebettet. Dass das Lied nun zu einer Art Partylied wird, ist ein Beispiel für die Veralltäglichung nationalsozialistischer Kulturträger.

Viele sagen aber, es sei mittlerweile ein ganz normales Volkslied?

Im Songtext ist zwar kein direkter Bezug zum Nationalsozialismus zu erkennen. Dennoch: Das Marschlied wurde während der NS-Zeit für die Wehrmacht komponiert und ist eines der meist gesungenen Lieder der Wehrmacht. Es hat also eindeutig eine wichtige Rolle im Nationalsozialismus gespielt. Wenn man heute sagt, dass das Lied mit den Nazis nichts zu tun hat, ist man entweder ignorant oder versteht die Geschichte dahinter nicht.

Woher kommt dieses Unwissen der Jungen?

Ich sehe hier vor allem die Schulen und die Erziehungsberechtigten in der Verantwortung. Das Wissen über die NS-Geschichte muss der jungen Generation weitervermittelt werden. Der Geschichtsunterricht wurde in den vergangenen Jahren aber immer mehr abgebaut. Da muss man sich nicht wundern, wenn solche Nazi-Adler-Pillen einfach so konsumiert werden, ohne nachzudenken.

Geht also die Erinnerung an die Gräueltaten der Nazis verloren?

Ja, immer mehr. Es ist wichtig, dass die Gesellschaft auf diese Entwicklungen reagiert. Und sie muss vom Bild wegkommen, dass das alles nur am Rande der Gesellschaft stattfindet. Das ist nicht hilfreich – man verkennt dabei, dass rechtsextreme Jugendliche in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind.

Weisst du viel über den Zweiten Weltkrieg und den Nationalsozialismus?

Hast du oder hat jemand, den du kennst, ein Problem mit Suchtmitteln?

Hier findest du Hilfe:

Safezone.ch, anonyme Onlineberatung bei Suchtfragen

Feel-ok, Informationen für Jugendliche

Infodrog, Information und Substanzwarnungen

Anonyme Alkoholiker, Tel. 0848 848 885

Narcotics Anonymous, Selbsthilfegruppe für Suchtbetroffene

Stopsmoking.ch, Tel. 0848 000 181

Vergiftungsnotfälle, Tel. 145

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