Rhodos bangt um sein Image – und schweigt

Aktualisiert

Reportage aus Rhodos, Teil 3Rhodos bangt um sein Image – und schweigt

Obwohl die griechische Insel Rhodos von der Flüchtlingskrise verschont blieb, fürchtet sich die Tourismusbranche vor Negativpresse. Sie kommuniziert kaum.

von
T. Bircher

«Willkommen! Wir sind hier, um all Ihre Fragen zu beantworten.» «Wie sieht die Flüchtlingssituation auf Rhodos aus?» «Dazu gibt es nichts zu sagen.» So beginnt die Medienkonferenz im Rathaus auf Rhodos am dritten Tag der Informationsreise zum Thema Flüchtlinge. Die Vertreter des Tourismus- und Hotelverbands blicken finster in die Runde. Sie hätten auf Rhodos nie ein Flüchtlingsproblem gehabt, weder vor, während, noch nach der Kos-Krise. Ihre Insel sei von der Türkei viel zu weit entfernt, ausserdem sei die See sehr stürmisch – die Flüchtlinge würden diese Überfahrt deswegen gar nicht erst riskieren, fragen zu diesem Thema erübrigten sich.

Nach einer halben Stunde im Wechsel von Fragen und ausweichenden Antworten sagt George Matsigos, Präsident der Hotel-Manager-Vereinigung, schliesslich laut und deutlich ins Mikrofon: «Auf Rhodos gibt es derzeit keine Flüchtlinge, keinen einzigen!» Dann wird die Konferenz abrupt abgebrochen.

«Sie sind am Leben»

Eine Sightseeingtour später kehrt die Gruppe in einem Café ein. Plötzlich kommt Unruhe auf: Prisca Huguenin-dit-Lenoir, Kommunikationsleiterin von Hotelplan Suisse, stellt sich vor die Journalisten, Hände und Stimme zittern: «Der Präsident hat gelogen. Es gibt Flüchtlinge auf Rhodos – 91.» Sie seien nicht wie auf Kos in Hotels untergebracht, sondern in einer Werft, «offenbar befinden sie sich in schlechtem Zustand». Einer ihrer lokalen Reiseleiter habe das eben in Erfahrung gebracht. Die Flüchtlinge würden gerade medizinisch versorgt. Sie seien «am Leben», habe der Reiseleiter gesagt, mehr wisse sie auch nicht.

Die 91 Flüchtlinge halten sich angeblich in einem ehemaligen Schlachthaus am Hafen auf. Der Bus fährt vor das Gebäude. «Hinein könnt ihr aber nicht», sagt eine Reiseleiterin. Das Mauerwerk des gelben Hauses ist durchlöchert, der Verputz blättert ab. Gitterstäbe ragen aus den Wänden, grosse Löcher geben den Blick frei in einen kleinen Raum: Thermoskannen, Körbe mit Keksen, eine Kaffeemaschine und Früchte stehen auf einer improvisierten Theke.

Flüchtlinge oder Ärzte sind keine zu sehen. Von den Anwohnern und Hafenarbeitern will niemand etwas beobachtet haben. Ein Fotograf einer lokalen Zeitung lungert ebenfalls vor dem Gebäude herum. Sagen will er aber nichts.

«Keine Fotos»

An einem grossen, schmiedeeisernen Tor hängen grosse Schilder: «No clothing donations, please» – Kleiderspenden sind nicht erwünscht. Eine Reiseleiterin mischt sich unter die Journalisten. «Seht ihr, die Flüchtlinge sind so kurz hier, dass nicht einmal Kleider gebraucht werden», sagt sie und stellt sich vor das Tor. Rhodos sei ein Transferort. Die Flüchtlinge würden von nahe gelegenen Inseln hierhergebracht, registriert, versorgt und dann nach Piräus gebracht. Von dort aus reisten sie entweder zurück in ihre Heimat oder weiter nach Athen. «Sie sind also nie länger als ein paar Tage hier.»

Auf einem anderen Schild am Tor steht. «Achtung, bitte bringen Sie nur die unten angegeben Dinge zum Flüchtlingszentrum von Rhodos: Plastikteller, Becher, Gabeln und Löffel. Plastiksäcke, Plastikhandschuhe, Reis, Pouletschenkel und -flügel, Gipfeli (keine Kekse), Teebeutel, Zucker, Milch und Wasser.» Daneben hängt ein weiteres grosses Plakat: «Keine Fotos.»

Die Journalisten möchten mit einem behandelnden Arzt sprechen, um herauszufinden, was es bedeutet, dass sich die Flüchtlinge «in schlechtem Zustand» befänden. Das sei nicht möglich: Der Arzt benötige dafür eine Bewilligung, lautet die Antwort. Doch allein schon eine solche zu beantragen, daure Tage. Die Gruppe zieht unverrichteter Dinge ab.

«Kurz vor der Küste abgesoffen»

Vera Baumann führt ein Geschäft mitten in der Altstadt von Rhodos. Sie stammt aus Bern, lebt aber schon seit 35 Jahren in Griechenland. «Es gab Flüchtlinge hier, hin und wieder ein paar», sagt sie. Einmal sei ein Boot angekommen mit einer hochschwangeren Frau an Bord, «es ist kurz vor der Küste abgesoffen, die Leute mussten sie aus dem Wasser ziehen».

Gleich am nächsten Tag habe sie ihr Kind im Spital geboren. «Die Einheimischen versorgten sie mit Essen und mit Kleidern für das Baby.» Das Rote Kreuz habe sie in einer Wohnung untergebracht, wo sie die ersten vier Wochen mit ihrem Kind habe bleiben dürfen. Mittlerweile sei die Frau wohl in Athen.

Seit ein paar Monaten habe sie aber keine Boote und auch keine Flüchtlinge mehr auf Rhodos gesehen, sagt Baumann. «Die ganze Krise hat uns nie wirklich erreicht. Aber auf anderen Inseln wie Kos ...» «Wir müssen weiter», unterbricht eine Reiseleiterin und scheucht die Journalisten fort.

Traumkulisse – aber ohne Touristen

Die Busfahrt nach Lindos an der Ostküste von Rhodos dauert eine Stunde. Das Dorf direkt am Meer ist malerisch, mit kleinen, verwinkelten Gässchen und bunten Geschäften. Eine Strasse führt in kleinen Serpentinen an weissen Mauern und Kaffeehäusern vorbei an den Strand. Das Wasser ist türkisfarben, der Sand weiss wie die Liegestühle und die Sonnenschirme. Nur die Touristen fehlen. Die kleine Bucht ist praktisch leer.

Kaum nimmt die Gruppe auf den Stühlen der Taverne Platz, hasten Kellner mit Weisswein, Kaffee, Wasser und Eiskübeln von der Bar zum Tisch und wieder zurück. Erst als die Sonne langsam hinter den Felsen mitten in der blauen See verschwindet, ruft jemand: «Weiter gehts!»

«Es war grauenvoll!»

Das letzte Abendessen der Reise findet in einem Restaurant mit Blick aufs Meer statt. In der gläsernen Terrasse spiegelt sich der Himmel: rot, purpurn, Smaragdgrün, violett, azurblau. Eine junge Reiseleiterin, die normalerweise auf Kos arbeitet, erzählt von den Flüchtlingen: «Eine Gruppe Senioren auf einem Ausflug hat während der Flüchtlingskrise auf Kos ihre Lunchboxen gespendet. Ich sollte diese an die Menschen verteilen und fuhr mit meinem Auto an den Strand. Dort hielt ich die Behälter mit dem Essen aus dem Fenster. Unzählige Hände griffen danach, sie zerrten an meinem Arm und baten um noch mehr. Es war grauenvoll!»

«Solche Szenen gab es auf Rhodos zum Glück nie», sagt eine andere Angestellte des lokalen Tourismusbüros.

Kaffee und Kopfwehtabletten

In leichten Schlangenlinien spaziert die Gruppe schliesslich zurück zum wartenden Bus. Viele fallen wenig später erschöpft ins Bett, müde von der Sonne, dem Salzwasser, dem Wein und dem vielen Essen. Andere verbringen die Nacht zu griechischer Musik tanzend in einem Club in der Altstadt. Die Heimreise am nächsten Tag verläuft grösstenteils schweigend. Wenn geredet wird, dann über Kaffee und Kopfwehtabletten.

Facts and Figures

Rhodos ist die viertgrösste Insel Griechenlands und beherbergt rund 116'000 Einwohner. Das touristische Zentrum bildet die Stadt Rhodos, in der auch die Hälfte der Bevölkerung lebt.

Die Insel liegt im Mittelmeer zwischen der Ägäis und dem Levantischen Meer. Sie ist 78 Kilometer land un 38 Kilometer breit. Die kürzeste Entfernung zwischen Rhodos und der Türkei beträgt rund 17,5 Kilometer.

Neben Kreta gehört Rhodos zu den wichtigsten touristischen Zielen. Das Zentrum des Tourismus liegt auf der Ostseite der Insel

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