Kriegsreporter Ronzheimer«Riesenproblem, dass internationale Journalisten nicht in Gaza sind»
Paul Ronzheimer ist der Kriegsreporter der «Bild», Deutschlands grösster Tageszeitung. Im Interview erzählt er, was er an der Berichterstattung im Gaza-Krieg problematisch findet und was das Verrückteste war, das er seit langem erlebt hat.

Paul Ronzheimer in Gaza: «Jemand behauptet, ich stünde vor einem Greenscreen.»
Paul Ronzheimer/SpringerDarum gehts
Den Namen Paul Ronzheimer kennt in Deutschland fast jeder und jede.
Der 38-Jährige ist Kriegsreporter der «Bild-Zeitung», der grössten deutschen Tageszeitung.
Derzeit berichtet er aus Israel und Gaza, direkt davor aus der Ukraine.
Ein Interview über Anfeindungen, problematische Berichterstattung und nicht existierende Greenscreens.
Eigentlich wollte 20 Minuten Paul Ronzheimer (38) in Kiew treffen. Dann attackierte die Hamas Israel und der Kriegsreporter der deutschen Bild-Zeitung war weg. Wir erreichen ihn in Tel Aviv telefonisch.
Paul, neben Ihrem sehr erfolgreichen Podcast äussern Sie sich auch auf «X» dezidiert über das Weltgeschehen und setzen sich starken Anfeindungen aus. Geht Ihnen das an die Nieren?
Nein, ich bin das über die Jahre ziemlich gewohnt, sei es durch meine Berichterstattung über den Krieg in Israel und der Ukraine oder davor Corona. Man härtet ab. Aber ehrlicherweise muss ich sagen, dass ich gerade in diesen Tagen ziemlich das Verrückteste seit langem erlebe.
Nämlich?
Die Leute werfen mir auf «X» und «Tiktok» vor, dass ich gar nicht in Gaza war. Da hat jemand eine vermeintliche Analyse gemacht und behauptet, ich stünde vor einem Greenscreen. Das wurde Hunderttausende Male aufgerufen, und ich erhalte jetzt Nachrichten auf allen Kanälen, ich sei ein Fake Reporter, der in Wahrheit in Berlin sitzt und jetzt aufgeflogen ist. Das ist zwar keine klassische Drohung – die kriege ich gerade in diesem Krieg natürlich auch und ich denke, ich bin hier in Israel fast sicherer als in Deutschland. Jedenfalls mache ich mir da schon Gedanken über unsere Gesellschaft.
«Ich habe mir noch nie so Sorgen um Deutschland gemacht.»
Was meinen Sie damit?
Ich habe mir noch nie so Sorgen um Deutschland gemacht. Mein Eindruck ist, dass viele zu still sind - gerade die, die zuvor sehr laut waren, etwa während der Flüchtlingskrise 2015/2016. Ich glaube auch, dass wir da erst den Anfang erleben. So haben mich die Bilder aus Essen wirklich schockiert.
Wieso?
Es ist natürlich völlig in Ordnung, wenn Leute auf die Strasse gehen und für Frieden und das palästinensische Volk demonstrieren. In Essen aber sahen wir 3000 Leute mit islamistischen Flaggen – das macht mir grosse Sorgen. Ich frage mich wirklich, wie wir da eine Normalisierung hinkriegen. Wenn man sich die Umfragen anschaut, wird deutlich, wie weit sich die Menschen von der Politik entfernt haben. Auch wenn wir jetzt eine Debatte um verschärfte Abschiebungen haben, wird sich ja nicht viel ändern.
«Bild» ist traditionell Israel-freundlich. Ist eine kritische Berichterstattung überhaupt möglich?
Natürlich. Wir haben bei Bild fünf Leitsätze, einer davon lautet: Wir unterstützen das jüdische Volk und das Existenzrecht Israels. Das ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Doch das heisst nicht, dass man die israelische Politik nicht kritisch sehen kann. Die Anfeindungen, die wir gerade erleben, sehe ich eher als Bestätigung unserer Arbeit. Mich macht es stolz, für Axel Springer arbeiten zu dürfen, gerade in diesen Zeiten.
«Die Anfeindungen sehe ich eher als Bestätigung unserer Arbeit.»
Was genau macht Sie denn stolz?
Ich glaube, dass wir klar benennen, was am 7. Oktober passiert ist. Dass wir klar zu unseren Werten stehen und wir eine sehr starke Berichterstattung liefern. «Bild», «Die Welt» und andere Springer-Medien haben immer klar gesagt, was ist. Auch bei dem, was ja seit Jahren zu erkennen ist: Dass Migration eine grosse Herausforderung ist und Integration eine noch viel grössere.
Es gibt aktuell diese Diskussion um die Fotografen aus Gaza. Sie sollen sich von der Hamas nicht klar abgegrenzt haben. Was sind Ihre Gedanken dazu?
Man muss das differenziert betrachten. Es ist klar: Der eine Fotograf, der von einem Hamas-Führer geküsst wird und offenbar sogar eine Handgranate bei sich trug, wirkt selbst wie ein Terrorist. Aber da waren auch andere Kollegen, die jetzt über einen Kamm geschert werden, auch von der israelischen Regierung. Das empfinde ich schon als sehr problematisch, wenn man diese Fotografen mit den Terroristen gleichsetzt. Es kann zum Beispiel sein, dass diese Fotografen dorthin gefahren sind, eine halbe Stunde, nachdem das alles losging. Denn das ist ja ihr Job.
«Es ist ein Riesenproblem, dass keine internationalen Journalisten in Gaza sind.»
Internationalen Journalisten ist der freie Zugang nach Gaza derzeit nicht erlaubt, das geht nur mit den israelischen Streitkräften. Wie geht objektive Berichterstattung im «Embedded Journalism»?
Es ist ein Krieg, von dem wir viel zu wenig wissen, denn es sind viel zu wenig Reporter vor Ort. Ich selbst war letzte Wochen zwei Stunden in Beit Hanun in Nord-Gaza. Dort konnte ich nicht mit Zivilisten, sondern nur mit Soldaten sprechen. Es ist ein Riesenproblem, dass keine internationalen Journalisten im Gazastreifen sind, so gefährlich das auch wäre. Wenn ich mir die Kriege der letzten Jahre anschauen, sei es Irak, Syrien, Libyen oder die Ukraine, waren da überall Reporter vor Ort. Gut, auf der russischen Seite gibt es auch keine internationalen Reporter, da Moskau nur russische Propaganda-Medien in das Kampfgebiet lässt. Aber wie gesagt: Ich halte das für hochproblematisch, dass wir so wenige unabhängige internationale Reporter dauerhaft vor Ort haben.
Wäre es nicht auch im Interesse Israels selbst, internationale Medien nach Gaza zu lassen?
Natürlich. Denn sonst dominieren die Bilder, die wir kaum prüfen und noch weniger einschätzen können. Das zeigt sich jetzt auch rund um die Situation des Schifa-Spitals. Alle Welt denkt, dass Israel jetzt sogar Krankenhäuser bombardiert – und niemand kann sich vergewissern, ob sich die Hamas, wie Israel angibt, tatsächlich darunter verschanzt hat. Ein «CNN»-Team, das in diesen Tagen mit der israelischen Armee unterwegs war, konnte das jetzt bestätigen.
Kehren Sie bald auch in die Ukraine zurück?
Ich muss jetzt mal erst eine Pause machen. Ausserdem ist ein Kollege von mir schon länger vor Ort. Aber ich glaube, die Ukraine kommt demnächst in eine entscheidende Phase – weniger militärisch, sondern was die Frage angeht, ob und wie Europa und die USA das Land künftig noch unterstützen werden. Dass Wladimir Putin Ruhe geben wird, selbst wenn er die eroberten Gebiete behalten würde, davon ist leider nicht auszugehen.
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