Ukraine-KriegRussische Masse gegen westliche Klasse – eine Analyse des Krieges in der Luft
Seit Monaten trifft der Kreml bei Massen-Raketenangriffen nebst kritischer Infrastruktur auch zivile Ziele. Die ukrainische Abwehr geschieht teils mit teuren Systemen – und den Russen gehen die ersten Raketen aus.
Darum gehts
Nach der grösstenteils erfolglosen Invasion auf dem Boden führt Russland den Krieg vor allem mit Luftangriffen weiter.
Billige iranische Einwegdrohnen, aber auch leistungsstarke Langstreckenraketen – die Bandbreite der eingesetzten Angriffswaffen ist gross. Einzelne Bestände dürften schon fast erschöpft sein.
Durch die westliche Hilfe verzeichnet die ukrainische Luftabwehr derweil mehr und mehr Abschüsse von russischen Raketen und Drohnen.
Seit 288 Tagen tobt in der Ukraine der Krieg, und ein rasches Ende ist nicht in Sicht. Zu Beginn des Konflikts gelang es den russischen Truppen, viel Territorium zu erobern und aus dem Norden, Westen und Osten in die Ukraine vorzustossen. Tagelang war die ukrainische Hauptstadt Kiew akut bedroht, nachdem sich eine kilometerlange Kolonne aus Panzern und anderen Militärfahrzeugen vor der Metropole positioniert hatte.
Hälfte der eroberten Gebiete wieder verloren
Seither hat sich viel verändert. Mehrere ukrainische Gegenoffensiven haben die Invasoren zurückgedrängt. Mitte November war es den ukrainischen Streitkräften laut dem Institute for the Study of War gelungen, rund 50 Prozent der Territorien, die seit Kriegsbeginn von Russland eingenommen wurden, wieder unter ihre Kontrolle zu bringen.
Mittlerweile führt Russland seinen Krieg grösstenteils aus der Luft, auch wenn in Gebieten wie Bakhmut und in den Regionen Donezk und Luhansk weiter erbitterte Kämpfe zwischen Bodentruppen beider Nationen toben. So greift Russland seit einigen Monaten nebst zivilen Zielen wie Schulen und Spielplätzen auch immer wieder systemkritische Energie-Infrastruktur an. Dabei setzt der Kreml aus dem Iran importierte Kamikaze-Drohnen, aber auch teure und in ihrer Stückzahl begrenzte Raketen ein, deren Produktion durch die Sanktionen beeinträchtigt ist. Laut dem ukrainischen Verteidigungsminister Oleksi Resnikow geht man davon aus, dass Moskau noch etwa über 13 Prozent (119 Stück) der Iskander-Bestände zu Kriegsbeginn (900 am 23. Februar) verfügt. Seither wurden 829 Raketen benutzt und nur 48 produziert. Bei den Flugabwehrraketen für das S-300-System seien von 8000 Stück bereits 1202 abgefeuert worden – neue Raketen wurden seit Februar demnach nicht mehr produziert.
Kreml nutzt nun auch nuklearfähige Raketen
Ein Indiz für schrumpfende russische Langstreckenraketenbestände könnte beispielsweise sein, dass Russland bei einem Angriff Ende November auch nuklearwaffenfähige Marschflugkörper eingesetzt hat. Wie das ukrainische Militär berichtet, sei die Rakete, deren nuklearer Sprengkopf zuvor entfernt worden war, wahrscheinlich abgefeuert worden, um die ukrainische Luftabwehr zu erschöpfen und es damit anderen, mit herkömmlichen Sprengköpfen ausgerüsteten Raketen zu erlauben, ihre Ziele zu treffen.
Die schwindenden russischen Bestände sind aber nicht der einzige Faktor, der sich im Luftkampf in den letzten Monaten geändert hat. So ist die ukrainische Luftabwehr seit Beginn des Krieges laut westlichen Beobachtern deutlich besser geworden. Dies spiegeln auch Zahlen des ukrainischen Verteidigungsministeriums wider: Bei einem Angriff am 5. Dezember konnten demnach von über 70 abgefeuerten Kreml-Raketen mehr als 60 abgefangen werden, wie der Generalstab bei Twitter schreibt. Nebst Luftabwehr-Raketen wie den US-Systemen Hawk und Nasams verzeichnen auch ältere Flugabwehrkanonen Erfolge. Dies belegt ein kürzlich publiziertes Video, das einen deutschen Gepard-Flugabwehrpanzer beim Abschuss eines russischen Marschflugkörpers zeigt.
Laut dem unabhängigen britischen Forschungsinstitut Rusi, das sich mit Fragen der nationalen und internationalen Sicherheit befasst, ist aber weitere westliche Unterstützung nötig, da derzeit Russland seine Kriegsführung in der Luft ausbaut. So bestehe eine grosse potenzielle Bedrohung durch die russische Luftwaffe, falls die mobilen Boden-Luft-Abwehrsysteme, die seit Kriegsbeginn unzählige russische Maschinen abgeschossen und die Piloten des Kremls damit mehr oder weniger vom ukrainischen Territorium verdrängt haben, nicht mit neuer Munition beliefert werden.
Alte Waffensysteme könnten modernisiert werden
Kiew benötigt laut den Experten darum auf kurze Sicht neue tragbare Luftabwehrsysteme und mittelfristig kosteneffiziente Möglichkeiten, um die iranischen Shahed-Drohnen abzuschiessen. Eine Möglichkeit könnte hier die Kombination von radar- und lasergestützten Zielgeräten mit herkömmlichen Flugabwehrkanonen sein. Ohne Feuerleitgerät wären diese in die Jahre gekommenen Kanonen, die auch von der Schweizer Armee eingesetzt werden, gegen moderne Jets weitestgehend chancenlos, doch verfügen sie noch immer über beachtliche Feuerkraft.
Abschliessend ist laut Rusi eine Ausstattung der ukrainischen Luftwaffe mit modernen westlichen Kampfjets und Raketen notwendig, um die russische Luftwaffe effektiv zu bekämpfen. Die Experten gehen davon aus, dass schon eine kleine Zahl westlicher Jets genug Abschreckung wäre für die Kreml-Piloten, die sich seit Kriegsbeginn eher zurückhaltend verhalten.
Die ukrainische Luftwaffe scheint also auf gutem Weg zu sein, auch den Himmel über ihrem Land wieder sicherer zu machen. Die russische Luftraumsicherung scheint derweil weit durchlässiger zu sein: Vor kurzem ereigneten sich auf zwei Militärflugplätzen tief im Land von Wladimir Putin Explosionen, bei denen insgesamt drei Soldaten ums Leben kamen und strategisch wichtige Langstreckenbomber schwer beschädigt wurden. Während der Kreml vermeldete, dass zwei Drohnen, die die Flughäfen als Ziel hatten, erfolgreich abgeschossen worden seien. Satellitenaufnahmen, die einen beschädigten Bomber und die Spuren einer grösseren Explosion zeigen, zeichnen aber ein anderes Bild.
Beschäftigt dich oder jemanden, den du kennst, der Krieg in der Ukraine?
Hier findest du Hilfe für dich und andere:
Fragen und Antworten zum Krieg in der Ukraine (Staatssekretariat für Migration)
Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer SRK, Tel. 058 400 47 77
Kriegsangst?, Tipps von Pro Juventute
Beratungsangebot (Deutsch, Ukrainisch, Russisch), von Pro Juventute
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Anmeldung und Infos für Gastfamilien:
Schweizerische Flüchtlingshilfe, Tel. 058 105 05 55
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