BelgorodRussischer Neonazi mit Link zur Schweiz kämpft in Russland gegen Putin
Die russische Region Belgorod ist Schauplatz von heftigen Gefechten: Die russische Armee kämpft gegen aus der Ukraine eingedrungene russische Kämpfer, darunter auch fragwürdige Freiwillige.
Darum gehts
Die an die Ukraine grenzende russische Region Belgorod ist in der Nacht zum Mittwoch erneut von Angriffen getroffen worden.
Dazu bekannten sich zwei russische, gegen Präsident Wladimir Putin gerichtete Gruppen.
In der Miliz «Freiheit für Russland» etwa kämpfen russische Kriegsgefangene gegen den Kreml.
Das «Russische Freiwilligenkorps» dagegen wird von einem russischen Neonazi kommandiert.
Denis Nikitin will den Sturz des Putin-Regimes, aber auch ein Russland nur für ethnische Russen.
Er liefert der Kreml-Propaganda eine Steilvorlage gegen die Ukraine.
Auch die Nacht auf Mittwoch blieb nicht ruhig im russischen Belgorod. Eine «grosse Zahl» von Drohnen griff die Frontstadt vierzig Kilometer von der ukrainischen Grenze an.
Zuvor erschütterten schwere Gefechte die Region: Von der Ukraine drangen Dutzende russische freiwillige Kämpfer in einem Konvoi gepanzerter Wagen über die Grenze ein. Wie viele, ist unklar.
Die russische Armee wurde derart überrumpelt, dass Dörfer erst evakuiert wurden, als Zivilisten bereits im Kreuzfeuer standen. Die Lage ist seither angespannt. 70 «Vertreter ukrainischer Militärverbände» seien getötet und mehrere Fahrzeuge vernichtet oder erbeutet worden, so russische Behörden.
Wer sind die russischen Kämpfer?
In Kiew will man mit den Angriffen nichts zu tun haben. Immerhin hätten sich Freiwilligenkorps von russischen Staatsbürgern dazu bekannt, hiess es mit süffisantem Unterton.
Es muss für die Ukraine ein Genuss sein: Sie wendet die gleiche Taktik an wie der Kreml 2014 bei der Besetzung der Krim. Damals hatten russische, unmarkierte Spezialeinheiten die Halbinsel besetzt, während Moskau abstritt, darüber im Bild zu sein. Das war damals ebenso durchsichtig wie das Abstreiten von Kiew jetzt: Bei der Aktion in Belgorod hatten die russischen Rebellen westliche Militärfahrzeuge benutzt, was Verbindungen zur ukrainischen Armee nahelegt.
An den Angriffen waren mehrere Gruppierungen beteiligt: Neben der «Freiheit Russlands» und der «Nationalen Republikanischen Armee» auch das «Russische Freiwilligenkorps» (s. Box).
Ein bekannter russischer Neonazi
Das Korps soll schon seit letztem Jahr oberflächlich mit der ukrainischen Armee kooperieren, behauptet sein Kommandant, der russische Neonazi Denis Kapustin aka Denis Nikitin.
2017 war Niktin in die Ukraine ausgewandert. Im Jahr des russischen Angriffs gründete er mit rund einem Dutzend russischer Rechtsradikaler das «Russische Freiwilligenkorps». Im August machte er seinen bewaffneten Kampf gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin an einer Pressekonferenz in Kiew öffentlich.
«Wenn wir jeden Tag einen Einwanderer töten…»
Wie die anderen russischen Kampfverbände in der Ukraine will Nikitins Freiwilligenkorps den Sturz des Putin-Regimes – und ein Russland nur für ethnische Russen. «Wenn Russland für die Russen auf die Grösse Moskaus, der Region oder des europäischen Teils reduziert wird», sagte Nikitin in einem Interview letzten Oktober, «dann passt das für mich als Nationalist».
Nikitin war 2001 mit seiner Familie als Kontingentflüchtling – also als Jude aus der ehemaligen Sowjetunion – nach Deutschland gekommen, wo seine Familie bis heute lebt. In den 2010er-Jahren wurde er mit seinem Label «White Rex» eine der Schlüsselfiguren in der internationalen Hooligan- und Neonaziszene und gab auch Kampfsportseminare für rechtsextreme Parteien wie die PNOS in der Schweiz.
War er in Russland, machte er Jagd auf die LGTBQ-Community und Einwanderende. «Wenn wir jeden Tag einen Einwanderer töten, sind das 365 Einwanderer in einem Jahr», sagte Nikitin dem «Guardian» einst.
Steilvorlage für Kreml-Propaganda
Seit der Europameisterschaft 2016 in Frankreich, kennt man ihn auch in Europa als üblen Schläger. In Marseille durchtrennte seine russische Hooligan-Horde einem England-Fan die Achillessehnen und prügelte zwei weitere ins Koma.
Dafür gab es damals Lob aus Russland und Präsident Wladimir Putin machte sich lustig, dass 200 russische Fans «ein paar Tausend Engländer» in die Flucht schlagen konnten. Jetzt, wo Niktin die Seiten gewechselt hat, dürfte Putin das Lachen vergangen sein.
Gleichwohl liefern Leute wie Nikitin dem Kreml eine Steilvorlage, wenn Neonazis auf russischem Boden gegen russische Soldaten kämpfen. Moskau versucht die Ukraine seit jeher als ultranationalistisch darzustellen, obgleich rechtsextreme Parteien in der Bevölkerung keinen Stand haben. Doch auch der Ukraine dürfte klar sein, dass Nikitin selbst kaum zum Helden taugt, der einen Volksaufstand in Russland anführen könnte.
Legion «Freiheit Russlands»
Russische Kriegsgefangene kämpfen gegen den Kreml
Nach Belgorod sind neben dem rechtsextremen «Russischen Freiwilligenkorps» auch ideologisch weniger problematische Freiwilligen-Einheiten eingedrungen. Etwa die Legion «Freiheit Russlands», die sich den ukrainischen Streitkräften verpflichtet hat.
In ihren Reihen kämpfen nach eigenen Angaben neben Freiwilligen mit russischem Pass auch viele russische Kriegsgefangene, die sich nun auf der Seite der Ukraine gegen Putins Regime stellen. Die Legion nimmt aber auch Männer auf, die sich noch in Russland befinden.
Damit sie aufgenommen werden, müssen sie offenbar die Prüfung durch einen Lügendetektor sowie psychologische und andere Eignungstests bestehen. Daneben gibt es die russischen Partisanen der «Nationalen Republikanischen Armee», die in Russland im Geheimen operiert.
Beide bewaffneten Gruppen werden von Ilya Ponomarev als ihr politischer Koordinator vertreten. Der ehemalige russische Duma-Abgeordnete hatte 2014 als einziger gegen die russische Annektion der Krim gestimmt und lebt mittlerweile in der Ukraine.
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