Ukraine: Das sagen Experten zum Säbelrasseln in Belarus

Aktualisiert

Ukraine-KriegSäbelrasseln in Belarus – «Kriegseintritt wäre ein Gamechanger»

Russische Truppen und Waffen werden in Belarus stationiert. Befindet sich die Ukraine bald mit zwei Nachbarn im Krieg? Experten ordnen ein.

Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko besuchte russische Truppen, die nach Belarus verlegt wurden. Im russischen Nachbarland scheint sich die Situation zuzuspitzen.
Ulrich Schmid, Professor für russische Kultur und Gesellschaft an der Universität St. Gallen, sagt: «Anders als in Russland ist der Ukraine-Krieg in Belarus höchst unpopulär, auch in der Armeeführung.»
Marcel Berni von der Militärakademie an der ETH meint, dass es wohl darum gehe, ukrainische Truppen in und um Kiew zu binden und diese so vom Fronteinsatz im Donbass abzuhalten.
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Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko besuchte russische Truppen, die nach Belarus verlegt wurden. Im russischen Nachbarland scheint sich die Situation zuzuspitzen.

via REUTERS

Darum gehts

  • In Belarus scheint sich die Situation zuzuspitzen.

  • Ulrich Schmid, Slawist und Professor für russische Kultur und Gesellschaft an der HSG, sagt: «Der Druck des Kremls auf eine Mobilisierung in Belarus ist extrem gross.»

  • Auch Marcel Berni von der Militärakademie an der ETH sagt, dass Lukaschenko sich dagegen gewehrt habe, stärker in den Krieg hineingezogen zu werden, er nun aber zunehmend unter Druck gerate.

In den vergangenen Wochen hat Russland Truppen und Arsenal nach Belarus verlegt, Mitarbeiter des belarussischen Innenministeriums wurden aufgefordert, ihre Pässe abzugeben, und in einer Buswartehalle wurden wehrfähige Männer dazu aufgerufen, sich bei Rekrutierungszentren zu melden.

Bereitet sich Belarus auf einen möglichen Eintritt in den Ukraine-Krieg vor? Ulrich Schmid, Professor für russische Kultur und Gesellschaft an der HSG, und Marcel Berni von der Militärakademie an der ETH schätzen die Lage ein.

Truppen und Arsenal werden von Russland nach Belarus verlegt. Wie ordnen Sie das ein?

Schmid: Seit den gefälschten Präsidentschaftswahlen 2020 in Belarus ist Alexander Lukaschenko auf Gedeih und Verderb dem Kreml ausgeliefert. Die Massenproteste in Belarus wurden in einer beispiellosen Repressionswelle niedergeschlagen. Seither gibt es einen Abtausch zwischen Lukaschenko und Putin: Lukaschenko darf an der Macht bleiben, auf Zusehen hin und als Präsident von Putins Gnaden. Er muss dafür Stück für Stück Souveränität abgeben.

Berni: Es geht wohl darum, ukrainische Truppen in und um Kiew zu binden und diese so vom Fronteinsatz im Donbass abzuhalten.

Inwiefern ist Lukaschenko von Putin abhängig?

Schmid: Vor allem wirtschaftlich. Russland liefert Energie weit unter dem Marktpreis nach Belarus. Auch sonst kann Putin Lukaschenko wirtschaftlich das Messer an den Hals setzen.

Berni: Lukaschenko ist ein Vasall von Putin. Belarus ist in Sachen Sicherheit auf Moskau angewiesen. Obwohl Lukaschenko sich dagegen gewehrt hat, intensiver in den Krieg hineingezogen zu werden, gerät er zunehmend unter Druck, Moskau Heeresfolge zu leisten.

Ist zu erwarten, dass Belarus in den Krieg eintritt?

Schmid: Was dafür sprechen könnte: Der Druck des Kremls auf eine Mobilisierung in Belarus ist extrem gross. Beobachter hatten einen Einmarsch belarussischer Truppen schon im September erwartet, das ist dann aber nicht eingetreten. Damals wollte Putin mit der Teilmobilmachung 300’000 Mann mobilisieren. Ob das gelungen ist, ist fraglich. Der Kreml ist verzweifelt auf der Suche nach Soldaten. Und Verteidigungsminister Schoigu spricht davon, die Sollstärke der russischen Armee von 1,15 auf 1,5 Millionen zu erhöhen. Manche rechnen deshalb nicht nur mit einer Mobilmachung in Belarus, sondern auch mit einer baldigen Generalmobilmachung in Russland.

Was spricht gegen einen Kriegseintritt?

Schmid: Die Bevölkerung in Belarus wäre mit Sicherheit dagegen und Lukaschenko würde im eigenen Land erneut Massenproteste wie nach den Wahlen 2020 riskieren. Diesmal wäre es nicht so einfach, sie niederzuschlagen. Auch Putin weiss, dass die Stimmung in Belarus im Fall einer Mobilisierung kippen könnte. Und er weiss auch, dass sie in Russland kippen könnte, falls noch mehr Männer in den Krieg müssen.

Berni: Dagegen sprechen die langen Logistiklinien, die negativen russischen Erfahrungen des Frühjahrs 2022 und die mangelhafte militärische Ausrüstung von Belarus.

Wenn nun Belarus wirklich Truppen lossenden würde – was hiesse das für den Kriegsverlauf?

Schmid: Es wäre ein Gamechanger, eine neue Front würde eröffnet. Zudem wäre es ein sehr unpopulärer Kampfeinsatz, ein Spiel mit dem Feuer, das zahlreiche Folgefragen aufwerfen würde. Anders als in Russland ist der Ukraine-Krieg in Belarus höchst unpopulär, auch in der Armeeführung. Putins grosses Dilemma besteht darin, dass er nach der Ukraine nicht auch noch Belarus für sein Projekt der Erneuerung der russischen imperialen Tradition verlieren darf. Sein nächstes Ziel muss darin bestehen, die annektierten Gebiete in der Ukraine auch tatsächlich unter militärische Kontrolle zu bringen – mit belarussischen oder mit russischen Soldaten.

Berni: Es hiesse, dass die Ukraine sich mit zwei ihrer Nachbarn im offenen Krieg befinden würde. Zudem würden belarussische Soldaten höchstwahrscheinlich im Norden von Kiew eine neue Front bilden. Die Ukraine müsste damit zunehmend Truppen zur Verteidigung der Hauptstadt stellen.

Glaubst du, dass Belarus in den Krieg einziehen wird?

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