Medienhass in Altdorf UR - «Schämen solltet ihr euch, alles, was ihr schreibt, ist gelogen»

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Medienhass in Altdorf UR«Schämen solltet ihr euch, alles, was ihr schreibt, ist gelogen»

In Altdorf UR versammelten sich am Samstag rund 500 Massnahmen-Gegner zur unbewilligten Demonstration. Unsere Journalistin berichtet, wie sie die Demo erlebte.

So lief die unbewilligte Demo in Altdorf ab.

20 Minuten

Darum gehts

  • In Altdorf UR versammelten sich am Samstag Corona-Massnahmen-Gegner zu einer unbewilligten Demo.

  • Journalisten, die vor Ort berichteten, wurden teils verbal und physisch heftig angegangen.

  • Reporter ohne Grenzen Schweiz (RSF) erklärt, dass die Medienfeindlichkeit zugenommen habe.

Die Stimmung unter den Demonstranten in Altdorf ist heiter bis ausgelassen: Für die Demonstration der Corona-Gegner gibt es keine Bewilligung, dies hinderte ein paar hundert Menschen dennoch nicht daran, sich auf dem Rathausplatz beim Wilhelm-Tell-Denkmal zu versammeln.

Mehrmals macht die Kantonspolizei Uri eine Durchsage und fordert die Menschenmenge auf, den Platz sofort zu verlassen. Das Nichtbefolgen der Aufforderung sei eine strafbare Handlung, ertönt es aus dem Megafon. Das Buhen und Gröhlen der Teilnehmenden übertönt die Durchsage. «Schwiizerdütsch! Mir sind do i de Schwiiz!», schreit ein Mann aus der Menge und erhält tosenden Applaus.

«Alles, was ihr schreibt, ist gelogen!»

Wir sind bemüht, im Verlauf des Nachmittags einige Stimmen der Demonstranten einzuholen. Erfolglos: Sobald man unser Mikrofon mit dem 20-Minuten-Logo erblickt, folgen zumeist Beleidigungen und Beschimpfungen. Ein Demonstrant hält mich auf und schreit mich an: «Lügenpresse! Schämen solltet ihr euch! Alles, was ihr schreibt, ist gelogen!» Ein anderer kommt mir zu Hilfe: «Beruhige dich! Lass sie in Ruhe!» Er entschuldigt sich für das «unanständige» Verhalten seines Mitstreiters. Die Leute seien mit den Nerven am Ende wegen der «unsinnigen» Corona-Massnahmen. Ein Interview will mir der Herr nicht geben. Er habe zwar nichts gegen uns, aber: «Trauen tu ich euch trotzdem nicht.»

Reporter ohne Grenzen:«Die Medienfeindlichkeit hat zugenommen»

Der Ton Medien-Vertretern gegenüber wird schärfer. Nachdem bereits an der Corona-Demo in Liestal ein Medienvertreter blutig geschlagen wurde, kam es auch am Samstag in Altdorf UR zu heftigen verbalen und physischen Übergriffen. Eine Studie aus Deutschland zeigt: Nie zuvor sind Journalistinnen und Journalisten dort so häufig gewaltsam angegriffen worden wie im vergangenen Jahr. Die meisten Übergriffe ereigneten sich bei Demonstrationen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Diese Entwicklung bestätigt auch Bettina Büsser von Reporter ohne Grenzen (RSF) Schweiz: «Die Medienfeindlichkeit hat zugenommen.» Der Ton sei rauer geworden. Dies sei eher untypisch für die Schweiz. Durch die Corona-Pandemie habe sich die negative Einstellung gegenüber Medienschaffenden verstärkt, und RSF Schweiz höre häufiger von bedrohlichen Szenen gegenüber Medienschaffenden.

Als eine grosse Anzahl der Polizisten plötzlich den Platz verlässt, obwohl dieser noch voller Demonstranten ist, berichten wir live. Wenige Minuten später kommt ein anderer Demonstrant auf uns zu, hält uns sein Smartphone direkt vors Gesicht und schreit: «Ihr Arschlöcher, was schreibt ihr wieder für eine Scheisse?! Warum lügt ihr? Auf eurer Seite steht, dass die Polizei den Platz räumen würde!» Sie seien anständige Bürger und würden den Platz freiwillig verlassen, sie hätten dies so mit der Polizei vereinbart. «Alles friedliche Leute hier!», schreit der Mann weiter und zeigt uns den Mittelfinger. Vergeblich versuchen wir ihm zu erklären, dass auf unserer Seite ein Newsticker aufgeschaltet sei, und er lediglich einen Zwischentitel des frühen Nachmittags gelesen habe, als die Polizei tatsächlich versuchte, den Platz zu räumen.

«Sorry, dass ich Ihnen den Stinkefinger gezeigt habe»

Wir berichten wieder live über die neueste Entwicklung und erwähnen auch den freiwilligen Abgang der Teilnehmenden. Da kommt derselbe Demonstrant wieder auf mich zu und entschuldigt sich bei mir: «Sorry, dass ich Ihnen den Stinkefinger gezeigt habe. Ich bin kein böser Mensch. Aber ich bin seit einem Jahr in Kurzarbeit, die Alimente für meine zwei Kinder muss ich aber weiterhin voll zahlen. Ich bin am Ende. Wie soll ich das schaffen? Warum berichtet ihr nicht über die schlimmen Folgen dieser Corona-Massnahmen?»Der Herr will mir seinen Unmut nicht vor der Kamera erzählen.

Wir folgen der Menge auf einem Bauernhof ausserhalb des Dorfzentrums. Den Hof betreten dürfen wir aber nicht. Auf einem Plakat am Eingang steht: «Kein Zutritt für Medienschaffende, Politiker und Linksextreme». Geschätzte 200 Menschen halten sich auf dem Hof auf. Ohne Masken oder das Einhalten einer Abstandsregelung. Wieder versuchen wir, die Leute für ein Interview zu gewinnen.

Dafina Eshrefi vor Ort in Altdorf UR

Dafina Eshrefi vor Ort in Altdorf UR

20min

Mehrere Personen umzingeln, beschimpfen und beleidigen uns

Ein Mann will mit uns reden, aber nur, wenn wir nicht «rumschnipseln» am Video, so wie wir es immer täten und dabei Tatsachen verdrehen würden. Nach dem Interview mit ihm möchte gar ein weiterer älterer Herr vor der Kamera sprechen. Wir sollen dafür den Hof betreten. Als wir dabei sind, unser Stativ aufzustellen, kommen gleich mehrere Frauen gleichzeitig auf uns zu: «Sofort raus!» Wir hätten keine Befugnis, uns auf dem Hof aufzuhalten. Der Interviewwillige bemüht sich, uns zu schützen, und die Situation zu deeskalieren. Erfolglos.

Mehrere Personen umzingeln, beschimpfen und beleidigen uns. Eine Frau verlangt den Namen und Ausweis meines Kollegen, um ihn bei der Polizei wegen Hausfriedensbruchs anzuzeigen. Er solle sofort die Kamera anhalten. Mein Kollege versucht vergeblich zu erklären, dass die Kamera aus sei. Daraufhin geht ein Mann auf meinen Kollegen los - dieser weicht mehrmals aus und rennt dann weg. Der wütende Mann schreit «Verpiss dich!» und wirft einen Stein nach ihm. Ich versuche ruhig zu bleiben und erkläre, dass wir lediglich die Leute zu Wort kommen lassen wollten. «Keine Diskussionen! Weg mit euch!», schreit man mich an.

Die Menschen im Hof verfolgen die Szene und fangen zu jubeln und zu klatschen an, als auch ich mich vom Platz entferne. Es umzingeln mich immer noch mehrere Personen. Sie begleiten mich, um sicherzustellen, dass ich tatsächlich gehe. Jemand will meinen Namen wissen. Als ich diesen nenne, fragt die Person weiter: «Bist du Albanerin?» Ich erwidere mit einem Ja. «Schlimm, was im Krieg in Albanien passiert ist, oder?», fragt sie mich weiter. «Meinen Sie den Kosovo-Krieg?», hake ich nach. Sie bejaht und bleibt stehen.
Ich weiss nicht, worauf die Frau hinaus will und laufe weiter. Sie schreit mir nach: «Passt lieber auf, sonst droht euch das Gleiche wie den Albanern im Kosovo-Krieg!»

Hast du oder hat jemand, den du kennst, Mühe mit der Coronazeit?

Hier findest du Hilfe:

BAG-Infoline Coronavirus, Tel. 058 463 00 00

BAG-Infoline Covid-19-Impfung, Tel. 058 377 88 92

Dureschnufe.ch, Plattform für psychische Gesundheit rund um Corona

Branchenhilfe.ch, Ratgeber für betroffene Wirtschaftszweige

Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147

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