VerschulungSchon Kindergärtler müssen Vorträge halten
Im zweiten Jahr müssen die Kindergärtler der Schule Untereggen SG eine Präsentation abhalten. Eltern und ein Kinderarzt kritisieren die Verschulung.
Kinder im Alter von fünf bis sechs Jahren interessieren sich oft besonders für ein spezielles Tier, einen Beruf oder einen Sport. In der Schule Untereggen müssen Kindergärtler im zweiten Kindergartenjahr entscheiden, was sie besonders spannend finden und dies dann vor versammelter Elternschaft präsentieren, wie die «Ostschweiz am Sonntag» schreibt.
Eine Mutter fand das «herzig, aber etwas künstlich». Kinder hätten Wörter aus Büchern «abgemalt», weil sie deren Buchstaben noch gar nicht gelernt hätten, sagt sie gegenüber der «Ostschweiz am Sonntag». Sie hält es darum für fragwürdig, dass bereits Fünfjährige «ihr Thema» auf einem Plakat oder in einem Heft umsetzen müssen und dies nicht freiwillig sei.
Übertritt zur Schule fällt leichter
Thomas Allmann, Leiter der Schule Untereggen, überrascht die Kritik der Mutter. Die Vorträge seien eine «gescheite Sache, hinter der an unserer Schule alle Lehrpersonen voll stehen können». Ziel dieses Systems sei, Begabungen zu fördern. Dies stehe im Zusammenhang mit dem schulischen Enrichement-Modell (SEM), das Untereggen seit 2003 anwendet.
Beim SEM geht es darum, «anspruchsvolles und lustvolles Lernen und positive Leistungserfahrungen» zu ermöglichen. «Jedes Kind hat Talente, die es zu fördern gilt», sagt Allmann zur «Ostschweiz am Sonntag». Auch Kindergärtler erhielten ab dem zweiten Kindergarten-Jahr zwei Lektionen SEM pro Woche und erarbeiteten dabei Projekte zu frei wählbaren Themen. «Dank den Projekten fällt der Übertritt in die Schule leichter», sagt Allmann.
Daliyah Marie Arana aus Gainesville im US-Staat Georgia ist vier Jahre alt und noch nicht einmal im Kindergarten. Das Mädchen hat aber schon über 1000 Bücher gelesen.
Mehr Schule im Kindergarten zwecks Chancengleichheit
Experten geben dem Schulleiter teilweise recht. Wenn SEM den individuellen Fähigkeiten angepasst und stufengerecht umgesetzt werde, könnten alle Kinder profitieren, sagt Evelyne Wannack, Leiterin der Geschäftsstelle für Forschung und Entwicklung der pädagogischen Hochschule Bern. Dabei sei ein Vortrag nicht gleich ein Vortrag. Kindergärtler etwa müssten ihren Ausdrucksmöglichkeiten entsprechend auch etwas vorzeigen oder vorspielen können.
Bernhard Hauser, Leiter des Masterstudiums Early Childhood Studies an der Pädagogischen Hochschule St. Gallen, hält die Diskussion um die Verschulung des Kindergartens für hochgespielt. Bereits der Kindergarten müsse versuchen, die Unterschiede zwischen bildungsnahen und bildungsfernen Kindern auszugleichen. «Wenn uns die Chancengleichheit wichtig ist, sollten wir sogar noch mehr Mathematik und Sprache im Kindergarten einführen», sagt Hauser zur «Ostschweiz am Sonntag».
Erzähltag statt Vortrag bei Kindergärtlern
Anders sieht dies Kinderarzt Hannes Geiges aus Rüti. Der Lehrplan-21-Kritiker stellt fest, dass im Kindergarten vermehrt schulische Inhalte eingesetzt werden und befürchtet eine Überbewertung des kognitiven Lernens. Es sei zwar nichts Neues, dass Kinder ihre Bäbis, Haustiere oder selbstgebastelten Autos in den Kindergarten mitbringen würden, um sie den anderen Kindern vorzustellen.
Er findet es aber falsch, bei Kindergärtlern von Projektarbeit oder Präsentationskompetenz zu sprechen, wie er gegenüber der «Ostschweiz am Sonntag» sagt. Vielmehr solle es um einen Erzähltag gehen und dies möglichst auf freiwilliger Basis geschehen.