Kanton ZürichSchwangere Lehrerinnen sollen trotz Corona-Gefahr unterrichten
Schwangere Frauen zählen zur Corona-Risikogruppe. Das Zürcher Volksschulamt empfiehlt ihnen darum eine FFP2-Maske – laut dem BAG ist diese für Schwangere aber ungeeignet.
Darum gehts
- Eine schwangere Lehrerin aus dem Kanton Zürich befürchtet, dass sie sich in der Schule mit dem Coronavirus anstecken könnte.
- Das Volksschulamt des Kantons Zürich empfiehlt schwangeren Lehrerinnen das Tragen von Masken, die einen Fremd- und Eigenschutz leisten.
- Laut dem BAG sind diese Masken für Schwangere aber ungeeignet. Diese könnten die Atmung zusätzlich erschweren.
Die Zürcher Primarlehrerin M. E.* ist schwanger und hat seit dem Start des neuen Schuljahres noch keinen Schritt in ihr Klassenzimmer gesetzt. Zurzeit ist sie krankgeschrieben. «Ich habe Angst, dass ich die Gesundheit von meinem ungeborenen Kind und mir riskiere, indem ich mich mit dem Coronavirus infiziere, während ich unterrichte», sagt die 33-Jährige.
Seit Anfang August stehen schwangere Frauen beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf der Liste der Personen, die durch das Coronavirus besonders gefährdet sind. Der Arbeitgeber ist deshalb verpflichtet, ihre Gesundheit mit entsprechenden Massnahmen besonders zu schützen. Doch M. E. fühlt sich vom Volksschulamt des Kantons Zürich (VSA) im Stich gelassen: «Die Massnahmen in den Schulen des Kantons Zürich schützen schwangere Lehrerinnen nicht.»
Besonders gefährdet
Das US-amerikanische Center for Disease Control and Prevention (CDC) und weitere Studien kommen zum Schluss, dass schwangere Frauen insbesondere in den letzten drei Monaten der Schwangerschaft ein erhöhtes Risiko für einen schweren Covid-19-Krankheitsverlauf und eine Aufnahme in die Intensivstation aufweisen. Auch sei die Gefahr einer Frühgeburt erhöht. Unter Berufung auf neuere Studien stuft auch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) schwangere Frauen als besonders gefährdete Personen ein.
Ungenügenden Schutz
Das VSA hält in seiner aktuellen Weisung fest, dass die Schulleitung im Einzelfall für einen erhöhten Schutz der Lehrperson sorgt. Als Beispiel erwähnt werden Plexiglas für Pulte, Visiere – und Masken, die sowohl einen Fremd- als auch einen Eigenschutz leisten.
Skeptisch wurde E., nachdem sie sich bei ihrer Frauenärztin, bei der Corona-Hotline des BAG und der Hotline des VSA über die Schutzmassnahmen kundig gemacht hatte. «FFP2-Masken, also Masken, die auch einen Eigenschutz bieten, dürfen Schwangere aufgrund der ungenügenden Sauerstoffzufuhr gar nicht über einen längeren Zeitraum tragen. Auch das Plexiglas für Pulte und Visiere schützen offenbar unzureichend», sagt die Lehrerin.
E. schätzt sich aber glücklich, dass ihre Gynäkologin sie vor den ungenügenden Schutzmassnahmen gewarnt hat. «Ich bin sicher nicht die einzige schwangere Lehrerin im Kanton Zürich, die sich vom VSA unzureichend geschützt fühlt.»
«Stark belastete Kreislaufsituation»
Das BAG bestätigt, dass das Amt schwangeren Lehrerinnen keine FFP2-Masken empfiehlt. «Wenn eine schwangere Frau dennoch eine solche Maske tragen möchte, ist es möglich, dass diese schlecht vertragen werden», sagt Yann Hulmann, Mediensprecher beim BAG. Diese Masken erschwerten die Atmung. «Die Kreislaufsituation während einer Schwangerschaft ist bereits stark belastet, und mit zusätzlichen Faktoren wie heissem Wetter oder schlechter Lüftung kann die Atmung in der Schwangerschaft situativ und individuell zusätzlich erschwert sein.»
Konkrete Schutzkonzepte für schwangere Frauen am Arbeitsplatz gibt es laut Irène Dingeldein, Vorstandspräsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, nicht. Wichtig sei, dass der Arbeitgeber das Arbeitsumfeld dafür sensibilisiere, schwangeren Mitarbeiterinnen gegenüber besonders vorsichtig zu sein. «Die Schüler sollten über die Schwangerschaft informiert werden und sich bewusst sein, dass sie sich ihrer Lehrerin gegenüber noch vorsichtiger als den anderen Lehrpersonen gegenüber verhalten sollten.»
Der Arbeitgeber ist unter Umständen verpflichtet, eine Risikoanalyse vornehmen zu lassen, wie es beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) heisst. «Der behandelnde Arzt hat im Einzelfall zu entscheiden, ob die notwendigen Massnahmen zum Schutz der Arbeitnehmerin und des ungeborenen Kindes getroffen wurden oder ob er aufgrund der Gefährdung die Weiterbeschäftigung untersagt.»
Masken empfohlen
Auf Anfrage von 20 Minuten nimmt das VSA keinen Bezug auf die in seiner Weisung empfohlenen Masken mit Fremd- und Eigenschutz. Nach aktuellem Stand der Kenntnis könnten schwangere Lehrpersonen arbeiten, wenn die entsprechenden Schutzmassnahmen ergriffen würden, schreibt Myriam Ziegler, Amtschefin des VSA. «Zu diesen Massnahmen gehören primär die Distanz- und Hygieneregeln, das Tragen von Masken und beispielsweise Plexiglasscheiben auf Arbeitstischen.» Für die Einrichtung der Schutzmassnahmen seien die Schulen zuständig.
Gemäss kantonalem Schulärztlichem Dienst in Rücksprache mit Experten für Infektiologie sind die Kinder keine Pandemietreiber, so Ziegler. Die Empfehlungen des Volksschulamtes beruhten auf der fachlichen Expertise der Gesundheitsdirektion, des Kantons- und Schulärztlichen Dienstes sowie weiterer Fachleute. «Sie werden fortlaufend den neuen Erkenntnissen angepasst. Bei Bedarf wird das Volksschulamt die Schutzmassnahmen im Hinblick auf ein Beschäftigungsverbot durch ein arbeitsmedizinisches Gutachten überprüfen.» Ein Beschäftigungsverbot (siehe Box) müsse immer im Einzelfall geprüft werden, generelle Aussagen dazu seien deshalb nicht möglich.
Verantwortung werde in der Regel wahrgenommen
Auch der Schweizer Lehrerverband pocht auf einen besonderen Schutz. «Ich kann hier nicht für alle schwangeren Lehrerinnen sprechen. Fakt ist aber schon, dass Schwangere allgemein zu der Risikogruppe gehören und ihnen deshalb nochmals ein zusätzlicher Schutz zukommen muss», sagt Dagmar Rösler, Präsidentin des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH). Es sei sehr verständlich, dass sie sich und das ungeborene Kind schützen wollten.
«Ob man sich nun gut oder zu wenig geschützt fühlt, kommt sehr auf die Schutzmassnahmen vor Ort an», sagt Rösler. Die Vorgaben und die Umsetzung lägen aber in der Verantwortung der Kantone und der Schule vor Ort. «Diese Verantwortung ist gross und wird in der Regel auch wahrgenommen.»
*Name der Redaktion bekannt
Schutz für Schwangere
Der Arbeitgeber ist basierend auf der Mutterschutzverordnung verpflichtet, schwangere Frauen bestmöglich vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus zu schützen, wie das BAG auf seiner Website festhält. Sofern dies nicht möglich ist, muss der Arbeitgeber Alternativen anbieten. Laut Gynecologie Suisse, die Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, wird, wo es möglich ist, das Arbeiten im Homeoffice empfohlen. Falls eine Weiterführung der Arbeit nicht möglich sei, könne der Frauenarzt oder die Frauenärztin ein Beschäftigungsverbot ausstellen, schreibt das BAG.