Umstrittene SVP-Forderung: Schweiz soll Geflüchtete nach Afghanistan zurückschicken

Aktualisiert

Umstrittene SVP-ForderungSchweiz soll Geflüchtete nach Afghanistan zurückschicken

Weil der Krieg in Afghanistan vorbei sei und die Taliban seit einem Jahr an der Macht sind, will die SVP afghanische Flüchtlinge wieder ausschaffen. Amnesty Schweiz und Politikerinnen sind darüber entsetzt.

Weil die Situation in Afghanistan sich beruhigt habe, sollen Rückführungen abgelehnter afghanischer Flüchtlinge wieder aufgenommen werden, fordert die SVP.
Vor rund einem Jahr erlangten die Taliban nach blutigen Kämpfen die Kontrolle über das Land. 
Die Rückschaffungen sollen gemäss Fraktionschef Thomas Aeschi in einer ersten Phase nur Männer betreffen. «Sie machen einen Grossteil der afghanischen Flüchtlinge in der Schweiz aus und kommen meistens aus rein wirtschaftlichen Gründen in das ‹Paradies Schweiz›.»
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Weil die Situation in Afghanistan sich beruhigt habe, sollen Rückführungen abgelehnter afghanischer Flüchtlinge wieder aufgenommen werden, fordert die SVP.

imago/Michael Trammer

Darum gehts

Vor gut einem Jahr erlangten die Taliban nach Abzug der US-Truppen die Kontrolle über Afghanistan. Wegen der heftigen Kämpfe und der prekären humanitären Lage entschied das Sekretariat für Migration (SEM) zeitgleich, Ausschaffungen von abgewiesenen Flüchtlingen nach Afghanistan bis auf Weiteres zu stoppen. Auch heute gilt dieser Entscheid noch, teilt das SEM auf Anfrage mit. Grund sei die weiterhin prekäre humanitäre und Menschenrechtslage.

Daran nervt sich die SVP mittlerweile. Sie fordert, dass ab sofort wieder Flüchtende zurück nach Afghanistan ausgeschafft werden sollen, wie Fraktionschef Thomas Aeschi auf Anfrage sagt. «Die Lage in Afghanistan hat sich beruhigt, eine Rückführung ist wieder zumutbar.» Die Rückschaffungen sollen gemäss der SVP aber in einer ersten Phase nur Männer betreffen. «Sie machen einen Grossteil der afghanischen Flüchtlinge in der Schweiz aus und kommen meistens aus rein wirtschaftlichen Gründen in das ‹Paradies Schweiz›. Ein Grossteil von ihnen ist dann aber von der Sozialhilfe abhängig.» Ausserdem sei die Kriminalisierung in Gemeinden mit vielen Afghanen ein immer grösser werdendes Problem, sagt Aeschi.

Frauen erst später ausschaffen

Afghanische Frauen hingegen könnten auch mit einem negativen Asylentscheid vorerst in der Schweiz bleiben. «In Afghanistan können sie sich ohne einen Mann nicht frei bewegen, da sie oft keine Reisedokumente besitzen.» Eine Rückführung solle zu einem späteren Zeitpunkt geprüft werden.

Die SVP appelliere nun an Justizministerin Karin Keller-Sutter: «Lassen Sie Ihren Worten auch Taten folgen.» Die ursprünglich versprochene harte Asylpolitik spüre man nur ansatzweise, sagt Aeschi.

Rückführungen wären «unverantwortlich und absurd»

Amnesty Schweiz zeigt sich über die Forderungen der SVP empört. Eine Wiederaufnahme der Rückführungen zum jetzigen Zeitpunkt wäre «unverantwortlich und absurd», sagt Mediensprecher Beat Gerber. «Die Menschenrechtslage in Afghanistan ist katastrophal. Die Taliban schützen die Rechte der Bevölkerung nicht und die Liste der Menschenrechtsverletzungen ist lang.» So hätten sie die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit, das Recht auf faire Gerichtsverfahren und zahlreiche weitere Rechte eingeschränkt. «Zum Beispiel werden Afghaninnen und Afghanen willkürlich inhaftiert, gefoltert oder sogar getötet.» Insbesondere Mädchen und Frauen litten stark unter dem Taliban-Regime, sagt Gerber. «Ihnen wurden fundamentale Rechte entzogen.»

Amnesty International habe die europäischen Regierungen bereits 2017 aufgefordert, wegen der ernsten Sicherheitslage keine «Zwangsrückführungen» nach Afghanistan durchzuführen, sagt Gerber. Wie damals drohe den Rückkehrern auch heute ein «nicht wiedergutzumachender Schaden» sowie Verfolgung. Eine Ausschaffung unter diesen Umständen wäre ein Bruch mit dem zwingenden Völkerrecht, von dem unter keinen Umständen abgewichen werden dürfe. «Und dieser Schutz gilt für Frauen wie Männer gleichermassen.»

Forderung macht GLP-Politikerin sprachlos

GLP-Nationalrätin Corina Gredig macht die Forderung der SVP etwas sprachlos. «Die Lage in Afghanistan ist desaströs. Die Taliban begehen schwerste Menschenrechtsverletzungen wie Folter, willkürliche Inhaftierungen, Hinrichtungen und schränken die Rechte der Frauen und Mädchen brutal ein.» Jetzt eine solche Forderung aufzustellen, könne sie nicht nachvollziehen. «Vielleicht sollte man sich vorher zuerst informieren, was in Afghanistan zurzeit abläuft.»

Dass aber genau die SVP eine solche Forderung aufstelle, verwundere sie nicht. «Bereits einen Monat vor dem Regimewechsel in Afghanistan hat die SVP ihre Augen vor der Realität verschlossen und Rückschaffungen fortsetzen wollen.»

«SVP missbraucht Afghanistan, um Polemik gegen Ausländer zu machen»

Ebenfalls wenig von der Forderung der SVP hält SP-Nationalrätin Sarah Wyss. «Einschätzungen von der Situation in Afghanistan sollen nicht von innenpolitisch motivierten Parteimeinungen gemacht werden, sondern von den Organisationen vor Ort.» Sie vertraue auf die Einschätzungen des EDA. Eine Wiederaufnahme der Ausschaffungen nach Afghanistan wäre deshalb fatal, sagt Wyss. Dass die SVP die Situation in Afghanistan missbrauche, um Polemik gegen Afghaninnen und Afghanen zu machen, sei äusserst fragwürdig.

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