Schweiz verurteiltSVP findet Urteil «gaga» und will EMRK künden
Die Schweiz verletzte mit ihrer Klimapolitik die Menschenrechte, urteilt das Gericht in Strassburg. Auf linker Seite herrscht Jubel und Aufbruchsstimmung, bei SVP und FDP kann man nur den Kopf schütteln.
Darum gehts
Der Menschenrechtsgerichthof in Strassburg verurteilt die Schweiz wegen ihrer Klimapolitik.
Linke und Grüne jubeln und sehen sich bestätigt. Sie fordern umgehend Massnahmen.
Bei den Bürgerlichen herrscht blankes Entsetzen und Wut nach dem Urteil.
SVP-Energiepolitiker Michael Graber nennt das Ganze «gaga» und will die EMRK künden.
Die von der Umweltorganisation Greenpeace unterstützten Klimaseniorinnen haben in Strassburg vor dem Gerichtshof für Menschenrechte einen Sieg errungen. Die Schweiz tue nämlich zu wenig, um die Gesundheit älterer Menschen zu schützen, sagen die Richter.
Doch was heisst das konkret für die Schweiz? Für die Grünen ist klar: In der Klimapolitik muss sich einiges ändern.
Grüne jubeln und fordern Stopp des Autobahn-Ausbaus
Die Grünen bejubeln das Urteil aus Strassburg erwartungsgemäss. An einer Medienkonferenz am Nachmittag im Bundeshaus sagten die neue Präsidentin Lisa Mazzone und Fraktionschefin Aline Trede, wie ihrer Meinung nach das Urteil jetzt umgesetzt werden müsse.
Die erste Massnahme sei die Einführung einer «Klimaverträglichkeitsprüfung». Diese soll vor allem bei Bauprojekten durchgeführt werden müssen und die heutige Umweltverträglichkeitsprüfung ergänzen. Laut Trede käme man so klar zum Schluss, dass der geplante Sechsspurausbau der Autobahn A1 nicht mit dem Klima verträglich sei und darum nicht bewilligungsfähig sei.
Eine weitere Massnahme sei die Einführung eines «Kohlenstoffbudgets», welche – auch unter Berücksichtigung der grauen Energie von Importen – der Schweiz vorgebe, wie viel CO2 pro Jahr sie ausstossen dürfe. Halte sie das Budget nicht ein, wären auch Massnahmen wie die Reduktion des Fleischkonsums und der Erhöhung des Benzinpreises zu ergreifen, finden die Grünen.
Klar, bei alledem handelt es sich erst einmal um Forderungen. Der Bundesrat müsse nun gemäss den Grünen, binnen sechs Monaten aufzeigen, wie er das Strassburger Urteil konkret umsetzen will. Falls seine Umsetzung zu lasch sei, wollen die Grünen «alle Optionen prüfen».
SP-Meyer: «Ohrfeige für den Bundesrat und seine Untätigkeit im Klimabereich»
«Die Schweiz macht ganz klar zu wenig und das neue CO2-Gesetz ist immer noch viel zu langsam», so Grüne-Nationalrätin Aline Trede. Für die Klimaseniorinnen sei es aber ein grosser Erfolg: «Es zeigt, dass es ein Grundrecht ist, in einem gesunden Klima zu leben.»
Verstehst du das Urteil der Richter in Strassburg?
Dem stimmt auch die SP zu. «Dieses Urteil des höchsten europäischen Gerichts ist eine Ohrfeige für den Bundesrat und seine Untätigkeit im Klimabereich», sagt Mattea Meyer, Co-Präsidentin der SP Schweiz. Weil die Schweiz nicht genug gegen den Klimawandel unternehme, gefährdet sie laut EGMR zahlreiche verletzliche Bevölkerungsgruppen.
«Die Schweiz macht zu wenig, um ihre Bevölkerung vor den Auswirkungen des Klimawandels zu schützen,» sagt auch SP-Nationalrätin Gabriela Suter. Nun müsse die Politik endlich griffige Gesetze zur Bekämpfung des Klimawandels und der Senkung der Treibhausgasemissionen beschliessen, so Suter weiter.

SP-Nationalrätin Gabriela Suter findet das Urteil historisch.
20min/Simon GlauserSVP-Graber: «Das ist einfach gaga, ich kann es nicht anders sagen»
Ganz anders sehen das Bürgerliche. Auf die Frage, ob er einräume, dass die Schweiz ihre Klimapolitik nach den Grünen richten müsse, sagt SVP-Nationalrat Michael Graber: «Ich räume ein, dass die EMRK unter diesen Umständen gekündigt gehört.» Die wichtigsten Rechte stünden bereits in der Bundesverfassung.
Der Walliser Umweltpolitiker sagt zum Urteil: «Das ist doch einfach gaga, ich kann es nicht anders sagen.» Die EMRK sei eine Errungenschaft, wo es um elementarste Rechte gehe. Doch nun sei die Justiz für politische Zwecke missbraucht worden. «Mit solchen Urteilen kann man diese Institution nicht mehr ernst nehmen», sagt er. Es sei schlimm, wie der «radikale Verein Greenpeace» Seniorinnen instrumentalisiert habe für diese Kampagne.
«Unverständlich» ist das Urteil für FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen. Der EGMR «versteht offensichtlich die direkte Demokratie der Schweiz nicht», sagt der Berner. Einerseits setze die Schweiz Massnahmen im CO2-Gesetz bereits seit Jahren erfolgreich um. Andererseits gebe es in der Schweiz die umfassendsten demokratischen Mittel, um politisch Einfluss zu nehmen.
Sauer ist offenbar auch Mitte-Chef Gerhard Pfister. «Der EGMR verurteilt ausgerechnet die Regierung des Landes, die nur das tun kann, was die Bevölkerung will», schreibt er auf X, vormals Twitter. Der Konflikt zwischen direkter Demokratie und Rechtssetzung durch internationale Gerichte sei so nicht lösbar, sagt er auch in Bezug auf die EU-Debatte.
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