ZuwanderungSchweiz wächst 2022 um fast eine Viertelmillion Menschen
Ukraine-Krieg und Wirtschaftsboom führen zu mehr Migration. Das werde zum Problem, sagt SVP-Nationalrätin Martina Bircher. Mitte-Nationalrätin Marianne Binder ist optimistisch, dass die Schweiz den Zuwachs bewältigt.
Darum gehts
Die Schweiz wächst dieses Jahr so stark wie schon länger nicht mehr. Bis Ende Jahr werden gegen eine Viertelmillion Menschen zugewandert sein, schätzt der Bundesrat. Dies gab er diese Woche im Parlament zur Antwort auf eine Frage von SVP-Nationalrätin Martina Bircher (AG).
Die knappe Viertelmillion, mit denen der Bund rechnet, setzt sich wie folgt zusammen: 80’000 bis 120’000 Personen mit Schutzstatus S, vorwiegend aus der Ukraine, 20’000 Asylgesuche (siehe Box) sowie eine Zunahme der ständigen Wohnbevölkerung um 100’000. Diese 100’000 Personen kommen wegen der Arbeit oder ziehen als Angehörige mit jemandem mit, der in der Schweiz Arbeit gefunden hat. Ebenso sind in dieser Zahl demografische Veränderungen, etwa durch mehr Geburten oder Todesfälle, enthalten.
Aufschwung nach Corona sorgt für Zuwanderung
Ins Gewicht fallen die Personen mit Schutzstatus S, was dem Ukraine-Krieg geschuldet ist, sowie Zuwanderung im Rahmen der Personenfreizügigkeit. Im ersten Halbjahr 2022 kamen rund 75’000 Personen in die Schweiz, die hier eine Arbeit gefunden haben oder als Familienangehörige mitzogen. Das waren 21 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Wenn man die Ausgewanderten wegzählt, waren es netto noch 38’000 Personen, die zwischen Januar und Juni 2022 in die Schweiz kamen. Das ist mehr als in anderen Jahren.
Grund dafür ist der Wirtschaftsboom nach Corona, wie das Staatssekretariat für Migration (SEM) mitteilt. Als die Massnahmen im Frühling aufgehoben wurden, stieg die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen stark an, die Unternehmen benötigten mehr Personal und holten es mitunter im Ausland. So war auch die Arbeitslosenquote im Sommer mit zwei Prozent sehr tief und die Zahl der offenen Stellen war so hoch wie seit 20 Jahren nicht mehr.
Auch die Asylzahlen hätten einen Zusammenhang mit Corona, sagt SEM-Sprecherin Anne Césard: Nach dem Ende der Pandemie habe die Migration nach Europa stark zugenommen, weil Corona in vielen Herkunftsländern die Wirtschaft geschwächt hat.
«Wir bräuchten 400 Windräder zusätzlich»
Der Zuwanderungsdruck dürfte in den nächsten Jahren anhalten, wie Migrationsforscher Benjamin Schraven im Gespräch mit 20 Minuten sagt. Das Bundesamt für Statistik (BFS) rechnet auch langfristig mit einem Zuwachs: Gemäss Szenario des BFS wird die Schweizer Bevölkerung 2040 die Zehn-Millionen-Marke überschreiten, 2050 werden es 10,4 Millionen Personen sein.
SVP-Nationalrätin Martina Bircher bezeichnet die Zuwanderung als Endlos-Spirale: «Wir haben einen sogenannten Fachkräftemangel und holen Menschen, die ihre Familien nachziehen. Damit steigt wiederum der Bedarf an Dienstleistungen, das führt zu noch mehr Zuwanderung.» Die Schweiz werde ein Versorgungsproblem bekommen, sagt Bircher. «Wir müssen die Zuwanderung endlich selbst steuern, wie es auch in der Verfassung steht.» Sie hat ausgerechnet, dass es 400 Windräder bräuchte, um die zusätzliche Viertelmillion Menschen mit Energie zu versorgen. Ein Problem sei auch der knappe Wohnraum und die hohen Mieten.
Auch Grünen-Nationalrat Bastien Girod sagt: «Wir müssen genau hinschauen und den Prozess eng begleiten.» Allerdings sei die Zuwanderung auch Grundlage für das Wirtschaftswachstum und unentbehrlich für die Sozialwerke. Dennoch berge sie Herausforderungen im Bereich Energie und Wohnungsbau. Es brauche mehr gemeinnützigen Wohnraum, bessere Verdichtung und Energie-Effizienz. «Bei der Energie verstärkt die Zuwanderung vor allem auch das Gesamtwachstum, auch pro Kopf.»
Mitte-Nationalrätin Marianne Binder (AG) hingegen ist zuversichtlich: «Bis jetzt konnten wir die Zuwanderung stemmen, dank der föderalen Strukturen, dank der guten Zusammenarbeit von Gemeinden, Bund und Kantonen.» Das werde weiterhin gelingen. «Man muss aufpassen, dass man nicht immer den Teufel an die Wand malt und in Panik verfällt. Wenn die Schweiz diesen Anstieg nicht stemmen kann, wer dann?»
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