Millionen bedrohtSchweizer Agrarexperte warnt vor neuer Hungerkrise
Der Krieg in der Ukraine verschärft die Hungerkrise in etlichen Ländern. Ideen, dieser entgegenzuwirken, gibt es. Diese könnten unterschiedlicher nicht sein.
Darum gehts
Hunger könnte in den nächsten Monaten zu einem grossen Problem werden. Schon im vergangenen Jahr hatten wegen der Pandemie 193 Millionen Menschen in 53 Ländern nicht genug zu essen – fast 40 Millionen mehr gegenüber dem bisherigen Höchststand im Jahr 2020. Das schreiben Fachleute der UNO im Global Report on Food Crises, der am Mittwoch erschienen ist.
In diesem Jahr dürften noch mehr Menschen von Hunger betroffen sein, schreibt die «SonntagsZeitung» gestützt auf Modellrechnungen der FAO. Diese deuten darauf hin, dass die Zahl der unterernährten Menschen in diesem Jahr um acht bis 13 Millionen steigen wird. Besorgniserregend ist die Lage in Äthiopien, im Südsudan, in Madagaskar und im Jemen. In diesen vier Ländern Afrikas seien im vergangenen Jahr 570’000 Menschen sogar vom Tod durch Hunger bedroht gewesen, heisst es im Bericht.
Der Krieg in der Ukraine verschärft das Problem, denn die Ukraine und Russland sind für etliche Entwicklungs- und Schwellenländer die wichtigsten Lieferanten von Weizen, Sonnenblumenöl und Mais. Die sich anbahnende «dritte Hungerkrise innert nur 15 Jahren» zeige, wie instabil das weltweite Ernährungssystem sei, schreibt der Schweizer Landwirtschaftsexperte Hans Rudolf Herren, der 1995 mit dem Welternährungspreis ausgezeichnet worden war, in einem ausführlichen Papier, das er am Freitag zusammen mit weiteren Fachleuten für nachhaltige Agrarwirtschaft veröffentlicht hat. Das International Panel of Experts on Sustainable Food Systems fordert darin «eine dringende Reform der weltweiten Lebensmittelproduktion und des ganzen Ernährungssystems, um zu verhindern, dass nicht immer noch mehr Menschen zu wenig zu essen haben».
«Es gibt genügend Nahrungsmittel auf der Welt»
Experten für nachhaltige Landwirtschaft befürchten jedoch, dass die ökologische Transformation der Landwirtschaft durch den Ukraine-Krieg zurückgeworfen wird. In der «SonntagsZeitung» sagt Herren, wenn nun viele Länder anfangen würden, wieder intensiver und mit mehr Monokulturen zu produzieren, sei das kurzfristig gedacht. Es brauche Jahre, um den dabei entstehenden Schaden an Umwelt und der Gesundheit der Menschen zu reparieren.
«Es gibt genügend Nahrungsmittel auf der Welt.» Wenn nur ein Teil des Getreides, das an Vieh verfüttert oder etwa zu Ethanol verarbeitet wird, für die menschliche Ernährung verwendet würde, gäbe es immer noch mehr als genug für die ganze Weltbevölkerung. Mit Blick auf die Schweiz sagt er, das Land müsse die aktuelle Düngerknappheit als Chance nutzen. «Die Schweiz muss vollständig umstellen auf Bioproduktion. Wir haben genügend Nachweise, dass dies möglich und nötig ist, um auch in Zukunft nachhaltig gesunde Nahrung auf den Tisch zu bringen», sagt Herren.
Anders sieht das Erik Fyrwald, Chef des Agrochemiekonzerns Syngenta im Interview mit der «NZZ am Sonntag». Er fordert darin eine Abkehr von der biologischen Landwirtschaft: «Die Erträge im Biolandbau können je nach Produkt um bis zu 50 Prozent tiefer ausfallen.» Die indirekte Folge sei dann, «dass Menschen in Afrika hungern, weil wir immer mehr Bioprodukte essen».
Beschäftigt dich oder jemanden, den du kennst, der Krieg in der Ukraine?
Hier findest du Hilfe für dich und andere:
Fragen und Antworten zum Krieg in der Ukraine (Staatssekretariat für Migration)
Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer SRK, Tel. 058 400 47 77
Kriegsangst?, Tipps von Pro Juventute
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Anmeldung und Infos für Gastfamilien:
Schweizerische Flüchtlingshilfe, Tel. 058 105 05 55