Arbeit in der Coronavirus-KriseSchweizer Angestellte fühlen sich überarbeitet und erschöpft
Viele soziale Bindungen am Arbeitsplatz gingen in der Krise verloren. Vor allem junge Angestellte trifft es besonders hart – sie kämpfen auch um ihre psychische Gesundheit. Chefs fühlen sich dagegen grösstenteils wohl.
Darum gehts
In der Krise haben viele Arbeitskräfte mehr geleistet als sonst.
Nun fühlen sie sich überlastet.
Besonders junge Menschen leiden.
Den Chefs geht es hingegen eher gut.
Homeoffice hat für viele Arbeitskräfte einschneidende Job-Veränderungen mit sich gebracht. Eine jährliche Studie von Microsoft Schweiz zeigt nun, dass sich viele Schweizer Arbeitskräfte überlastet fühlen. Besonders junge Menschen trifft es hart. Marc Holitscher, National Technology Officer bei Microsoft Schweiz, erklärt die Hintergründe und sagt, wie es weitergeht:
Angestellte sind erschöpft
59 Prozent der Schweizer Befragten fühlen sich überarbeitet und 41 Prozent fühlen sich erschöpft. 33 Prozent der Schweizer Arbeitnehmenden sagen, dass ihr Unternehmen in dieser Zeit zu viel von ihnen verlangt. Dabei handle es sich nicht nur um subjektive Wahrnehmung, sagt Holitscher zu 20 Minuten: Die weltweite Produktivität sei im vergangenen Jahr messbar gestiegen.
Arbeitnehmende mussten im vergangenen Jahr also mehr leisten. Ein Fünftel der Schweizer Befragten hat dabei den Eindruck, dass sich ihr Arbeitgeber nicht um ihre Work-Life-Balance kümmert. Das muss sich ändern, sagt Holitscher: «Der wichtigste Faktor ist aus unserer Sicht die Kulturveränderung.» So seien etwa klare Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben zu setzen – «die verschwimmen im Homeoffice oft.»
Junge Menschen trifft es am härtesten
Besonders die Generation Z – also bis circa 24-Jährige – kämpfen mit Defiziten beim Wohlbefinden und ihrer psychischen Gesundheit. 70 Prozent der Schweizer Befragten in dieser Altersgruppe sagen, dass sie in der momentanen Lage «bloss ums Überstehen kämpfen». In der Schweiz ist das noch ausgeprägter als weltweit.
Dass es junge Arbeitskräfte stärker trifft, könnte daran liegen, dass diese Menschen oft alleinstehend sind und teils auch alleine wohnen. «Die Isolation ist schon schlimm genug», so Holitscher. Zudem handle es sich oft um Berufseinsteiger – bei der digitalen Einführung von neuen Mitarbeitern sei es schwierig, zwischenmenschliche Kontakte zu knüpfen. Firmen seien nun gefordert, diese Prozesse zu verbessern.
ROGER-Leitfaden
So kannst du mit psychischen Belastungen umgehen
Für den Umgang mit psychischen Belastungen – sei es bei sich selbst oder bei Menschen im eigenen Umfeld – gibt es den sogenannten ROGER-Leitfaden. Er wird von der Ensa – ein Programm der Stiftung Pro Mente Sana, mit initiiert und unterstützt von der Beisheim-Stiftung – in Erste-Hilfe-Kursen gelehrt. Ensa-Leiter Kai Scheffler erklärt die fünf Aspekte:
Reagieren: Sieht man Anzeichen für psychische Belastungen, darf man nicht wegschauen. «Nichtstun ist immer falsch», so Scheffler.
Offen und unvoreingenommen zuhören: Da auf psychischen Krankheiten ein grosses Stigma lastet, müsse man solche Situationen besonders unvoreingenommen und wertfrei angehen – und den Betroffenen erst einmal zuhören.
Gib Informationen: Es gehe nicht darum, eine Person zu diagnostizieren, aber darüber zu sprechen, dass etwa Depression oder Burnout vorkommen und dass es auch Hilfe gibt.
Ermutige zu professioneller Hilfe: «Es lohnt sich, so früh wie möglich Hilfe zu holen», so Scheffler. Bei früher Behandlung von psychischen Problemen seien die Genesungschancen grösser.
Reaktiviere Ressourcen: Aspekte wie das soziale Umfeld, Entspannungstechniken und Musse können zur Verbesserung der Situation beitragen.
Wann Stress zum Problem wird, wie man psychische Belastungen erkennt und was es dann zu beachten gilt, liest du demnächst bei 20 Minuten im Interview mit Kai Scheffler.
Chefs kommen glimpflich davon
Im Gegensatz zu den Angestellten geben 74 Prozent der Schweizer Führungspersonen an, dass es ihnen insgesamt gut geht. Auch sind die Führungskräfte mit den Beziehungen zu den direkten Teams (79 Prozent) und ihren Vorgesetzen (77 Prozent) zufriedener als ihre Angestellten.
Eine mögliche Erklärung für die Kluft beim Wohlbefinden der Führungspersonen und Angestellten ist laut Holitscher, dass Entscheidungsträger meistens sozial besser gestellt seien. Viele seien etwa verheiratet und stünden generell fester im Leben als etwa ein Berufseinsteiger der Generation Z. «Das bringt eine gewisse Krisenresistenz mit sich».
Homeoffice wird nur teilweise geschätzt
Obwohl die Arbeit von Zuhause einer der Gründe für die Probleme ist, wollen 71 Prozent der befragten Schweizer Arbeitnehmenden auch in Zukunft Homeoffice machen. Das soll aber nicht heissen, dass man die ganze Woche von Zuhause aus arbeitet, sondern ein hybrides Modell wird bevorzugt. Denn über 70 Prozent wollen nach der Pandemie mehr Zeit physisch mit ihren Teams verbringen.
Lose soziale Bindungen am Arbeitsplatz seien massiv zurückgegangen, so Holitscher: «Die Beziehungen haben gelitten und man möchte sie wieder aufbauen.» Ein hybrides Arbeitskonzept, bei dem Angestellte teils von zuhause und teils im Büro arbeiten, sei darum in vielen Jobs unausweichlich.
Für die Studie wurden weltweit 30’000 Personen befragt, 1004 davon aus der Schweiz.
Hast du oder hat jemand, den du kennst, eine psychische Erkrankung?
Hier findest du Hilfe:
Pro Mente Sana, Tel. 0848 800 858
Hotline bei Angststörungen und Panik, Tel. 0848 801 109
Kinderseele, Onlineberatung für Kinder psychisch kranker Eltern
Verein Postpartale Depression, Tel. 044 720 25 55
Angehörige.ch, Beratung und Anlaufstellen
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Dargebotene Hand, Tel. 143