Masseneinwanderung«Schweizer Käse ist gut – aber nicht in der Politik»
EU-Kommissarin Viviane Reding macht Druck: Ohne Personenfreizügigkeit verliere die Schweiz den Zugang zum EU-Binnenmarkt, sagt sie. SVP-Politiker Hans Fehr reagiert empört.

EU-Kommissarin Viviane Reding nimmt kein Blatt vor den Mund: Der bilaterale Weg habe ausgedient.
Drei Wochen vor der Abstimmung zur Zuwanderungs-Initiative setzt EU-Kommissarin Viviane Reding auf Powerplay. Im Interview mit der «Schweiz am Sonntag» präsentiert sie kompromisslos die Spielregeln: Der Zugang der Schweiz zum Binnenmarkt sei untrennbar mit der Personenfreizügigkeit verbunden. Wer den Binnenmarkt wolle, müsse die Freizügigkeit für Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen in die Praxis umsetzen, so Reding. «Schweizer Käse ist gut, aber nicht in der Politik», fügt sie an. Bei einem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative würde sie deshalb als Firmen-Chefin aus der Schweiz auswandern.
SVP-Nationalrat Hans Fehr findet es «unglaublich», dass sich die Kommissarin derart offensiv in den Abstimmungskampf einmische. «Aber es enthüllt das wahre Gesicht der EU-Führungsclique.» Die Absage an den bilateralen Weg zeige deutlich, was die EU wolle: einen Beitritt der Schweiz. Doch Fehr frohlockt auch: «Das Interview ist Wasser auf unsere Mühlen.»
«Wasser auf unsere Mühlen»
Politiker der bürgerlichen Mitte sehen das anders. «Redings Aussagen sind Maximalforderungen», sagt CVP-Nationalrat Gerhard Pfister, «doch das ist ganz normal: die Verhandlungen mit der EU beginnen ja erst.» Dass deswegen jemand ein Ja in die Urne legt, glaubt er nicht. Dennoch hält er den Zeitpunkt so kurz vor der Abstimmung für unklug: «Wer wie die EU-Kommissarin ein Interesse daran hat, dass die Initiative abgelehnt wird, sollte sich nicht so äussern.»
Wissen um die Risiken
FDP-Aussenpolitikerin Doris Fiala ist damit nicht ganz einverstanden. Zwar könne sie nachvollziehen, dass man die Aussagen der Kommissarin als Einmischung wahrnehmen könne. «Viel wichtiger ist aber, dass die Schweizer im Wissen um die Risiken als aufgeklärte Stimmbürger abstimmen können.» Daher sei es nur richtig, dass die EU die Fakten auf den Tisch lege - selbst wenn diese der Schweiz nicht gefielen.
SP-Nationalrat Eric Nussbaumer stimmt Fiala zu: «Frau Reding sagt nur deutsch und deutlich, was die Position der EU ist.» Das sei keine Machtpolitik, sondern eine nüchterne Einschätzung.
Besser Wein als Brei
Politologe Michael Hermann kommt zu einem ähnlichen Schluss. Redings Ansagen seien sicher nicht sehr diplomatisch formuliert. «Aber manchmal ist es besser, reinen Wein einzuschenken, als um den heissen Brei zu reden.» Das zeige den Stimmbürgern, wie die Verhandlungspartner die Situation einschätzten.
Laut Hermann nehmen die Schweizer die Drohungen der EU oft erst dann ernst, wenn diese auf den Tisch haut. Er glaubt deshalb, dass die deutliche Sprache eher den Gegnern der Initiative helfen wird: «Hier geht es nicht um Symbolpolitik und Sympathiepunkte, sondern um harte wirtschaftliche Interessen.» Die Abstimmung sei zu wichtig, als dass die Stimmbürger lediglich aufgrund ihrer Empörung über Frau Reding ein Ja einlegen würden.
Schlupflöcher für die Schweiz
Letzten Endes werde der Braten sowieso kaum so heiss gegessen, wie er gekocht wurde, sagt Hermann. Die EU sei mit ihren deutlichen Ansagen nur konsequent. «Das heisst aber nicht, dass die Schweiz gleich parieren muss.» Zudem gebe es Schlupflöcher: «Gerade weil die Schweiz für die EU nicht so bedeutend ist, hat sie es einfacher, die Verträge zu ihren Gunsten auszulegen – ohne dass die EU gleich reagieren würde.»