Schweizer rennen wegen Viagra zur Apotheke

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Rezeptfrei erhältlichSchweizer rennen wegen Viagra zur Apotheke

Kaum ist Viagra rezeptfrei erhältlich, steigt die Nachfrage in Schweizer Apotheken sprunghaft an. Gerade bei jungen Männern sind die Medis beliebt.

Nathan Keusch
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Nathan Keusch

Am Donnerstag hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Liste von Medikamenten erweitert, die Apotheker auch ohne Rezept abgeben dürfen (20 Minuten berichtete). Unter den neu aufgenommenen Arzneimitteln ist auch Sildenafil, der Wirkstoff im Potenzmittel Viagra.

«Wir hatten heute extrem viele Leute, die uns den Laden praktisch einrannten und nach Viagra fragten», sagt die Aargauer Apothekerin Noëlle Blum am Freitag. «Sie hatten die Neuigkeit in den News gelesen und wollten das Medikament kaufen.» So einfach dürften die Apotheken das Medikament allerdings nicht abgeben, sagt Blum. Gemäss Studien korreliere eine

Potenzstörung mit einem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und sollte somit immer zuerst ärztlich abgeklärt werden.

Zudem könne das Medikament, heftige Nebenwirkungen hervorrufen, etwa extremen Blutdruckabfall. «Man kann Viagra nicht einfach ohne Untersuchung, Beratung oder Kontrolle abgeben – das Risiko, etwas zu verpassen, das medizinisch relevant ist, wäre zu gross», sagt die Apothekerin.

Zweifelhafte Qualität bei Import-Potenzmittel

Auch im Internet boomt der Handel mit Potenzmitteln. Da im Ausland die Medikamente um ein Vielfaches billiger sind als in der Schweiz, werden erektionssteigernde Generika massenweise online importiert. «Von den beschlagnahmten Medikamenten, die 2019 illegal importiert wurden, waren über 90 Prozent Erektionsförderer», sagt Swissmedic-Mediensprecher Lukas Jaggi. Zwar sei der Import von einem persönlichem Monatsbedarf an Medikamenten erlaubt, grössere Mengen seien aber illegal, meint Jaggi.

«Die Hälfte der illegal importierten Potenzmittel sind qualitativ mangelhaft», sagt Jaggi und warnt davor, solche Medikamente im Internet zu bestellen. «Von uns analysierte Muster waren verunreinigt, falsch dosiert oder enthielten keine Wirkstoffe», sagt er. Jaggi bezeichnet den Medi-Import aus unbekannten Quellen als «russisches Roulette».

Potenzsteigernde Medikamente als Lifestylemittel

Wie 20 Minuten berichtete, sind Viagra und Co. gerade bei Männern zwischen 18 und 34 Jahren beliebt. Auch ein Leser ist davon überzeugt: «Das Coole ist, man hat einen Betonständer.» Dieser versetze Frauen wirkungsvoll in Ekstase. «Das gibt einem ein richtiges Hengst-Gefühl.»

Das habe auch mit der Pornoindustrie zu tun, sagt Sexualtherapeut Werner Huwiler. «Die Männer in den Filmen haben immer eine Erektion, einen grossen Penis und viele Frauen, die sie befriedigen. Das entspricht überhaupt nicht der Realität.» Für viele junge Männer seien potenzsteigernde Medikamente ein Lifestylemittel, sagt 20 Minuten-Sexologin Andrea Burri: «Obwohl sie es nicht nötig haben, nehmen sie es ein, um sich als noch bessere Hengste zu fühlen.»

Viagra kann zu sexuellen Störungen führen

Die Experten warnen vor einem übermässigen Viagra-Konsum in jungen Jahren. «Im Prinzip spricht nichts gegen das Ausprobieren», sagt Burri. Aber bei einem wiederholten Einnehmen könne das Vertrauen in die eigene Erektionsfähigkeit verloren gehen, meint die Sexologin. Dies könne dann zu einer psychogenen Erektionsproblematik führen. Burri: «Die betroffenen Männer können zwar physisch noch eine Erektion bekommen, haben aber im Hirn eine Blockade und können doch nicht mehr ohne Potenzmittel. Das ist ein Teufelskreis.» Dieser könne so weit führen, dass die Betroffenen in Therapie müssen.

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