BildschirmzeitSelbst bei Ufzgi läuft Netflix – Online-Exzess beunruhigt Lehrpersonen
Selbst beim Lernen können viele Jugendliche nicht auf Smartphone und Tablet verzichten. Das bereitet Eltern Sorgen. Ein Medienpädagoge erklärt das Phänomen.
Darum gehts
Ein Vater macht sich Sorgen. «Meine 17-jährige Tochter schaut sogar während der Hausaufgaben manchmal Netflix», sagt er. Allgemein habe die Bildschirmzeit seiner beiden Töchter, die das Gymnasium besuchen, ein besorgniserregendes Ausmass angenommen. Netflix, Instagram, Tiktok, irgendwelche Videos. Regeln durchzusetzen, sei schwierig. Er und seine Frau hätten es versucht, doch es habe längerfristig nicht funktioniert.
Täglich stundenlang am Bildschirm hängen auch zahlreiche andere Jugendliche, wie eine Strassenumfrage von 20 Minuten zeigt. Der 20-jährige BMS-Schüler Pedro kommt auf etwa fünf Stunden Bildschirmzeit – mehr als vor der Pandemie, wie er sagt. Nilanthi, die 17-jährige KV-Schülerin, verbringt rund acht Stunden oder mehr am Bildschirm. Die Befragten berichten oft von denselben Folgen: Ablenkung, Konzentrationsprobleme und Stress mit den Eltern.
Apps liefern Hintergrundgeräusch
Der Bildschirmkonsum beunruhigt Eltern. Joachim Zahn, Medienpädagoge bei der Fachstelle Zischtig.ch, bestätigt, dass Kinder und Jugendliche auch während der Hausaufgaben am Handy oder Tablet sind. Die Mädchen und Jungen nutzten die Apps bei den Hausaufgaben oft als Hintergrundrundgeräusch, sagt Zahn. «Sie schreiben Hausaufgaben, während Netflix oder Musik läuft.» Vielfach diene der Blick auf den Screen aber dazu, schlechte Gefühle zu vertreiben oder runterzukommen. «Wenn sie zum Beispiel die Hausaufgaben aufschieben wollen, müde sind oder ein Konzentrationsloch haben, greifen sie zum Handy und scrollen Tiktok durch.» Das sei ausnahmsweise okay. Doch bereits ein kurzer Besuch auf Tiktok wirke sich negativ auf die Konzentration aus. «Bis man wieder voll im Schulstoff drin ist, dauert es zehn bis 20 Minuten.»
Eltern suchten deswegen vermehrt Hilfe, sagt Zahn. «Es gibt Eltern, die sich fragen, ob es noch in Ordnung ist, wenn ihr Kind pro Woche 70 Stunden am Handy hängt.» Einige machten sich auch Sorgen, weil ihr Kind pro Woche 40 bis 50 Stunden vor dem Bildschirm sitze.
Besorgniserregende Bildschirmzeit: Jugendliche berichten gegenüber 20 Minuten von ihren Gewohnheiten.
«Multitasking kann niemand»
Zahn macht teilweise auch die Eltern für das Verhalten mitverantwortlich. «Es gibt Kinder, die nur noch mit Youtube essen, weil die Eltern ihnen ein Tablet in die Hände drückten, um mal Ruhe zu haben.» In der Pandemie hätten Eltern ihre Kinder häufiger mit Handys und Tablets «ruhiggestellt», um etwa in Ruhe arbeiten, kochen oder telefonieren zu können. Jugendliche hätten derweil von weniger strengen Handyzeiten profitiert.
Laut Zahn hat die Pandemie bei Kindern und Jugendlichen zu einer erhöhten Bildschirmzeit geführt. Das ist auch an Schulen ein Thema. Dass auch während der Hausaufgaben Netflix läuft – könne sie sich gut vorstellen, sagt Franziska Peterhans, Zentralsekretärin des Schweizer Lehrerverbands (LCH). Dies sei natürlich für den Lernerfolg nicht förderlich. «Multitasking kann niemand. Unterbrüche im Gehirn beeinträchtigen die Konzentrationsfähigkeit.» Schülerinnen und Schüler, die ihre Freizeit vor allem vor dem Bildschirm verbringen, seien im Unterricht weniger fit und könnten sich schlechter konzentrieren. In der Pandemie habe sich das noch verschärft, da viele Familien in dieser Zeit ein Netflix-Abo gelöst hätten, sagt sie.
Leistung und Konzentration leiden
Bildungsforscher Stefan Wolter sagt: «Wenn Kinder und Jugendliche während der Hausaufgaben am Handy oder Tablet sind, ist das natürlich nicht gut. Wenn man abgelenkt und unkonzentriert ist, leidet die Leistung in jedem Fall.» Doch es gebe heute Methoden, um dies zu kontrollieren. «Es gibt Lern-Software, mit der Lehrpersonen sehen, wie lange Schülerinnen und Schüler an einer Aufgabe sind. Das gibt ihnen keine Beweise, aber Indizien dafür, ob jemand konzentriert arbeitet oder nicht.
«Wenn während der Hausaufgaben das Handy benutzt wird, wenn die Aufmerksamkeit geteilt wird, wirkt sich das natürlich ungünstig auf den Lernerfolg aus», sagt auch Christian Hugi, Präsident des Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverbands. «Aber das Handy ist auch eine Realität, auch Erwachsene haben es ständig in der Hand. Wir müssen einen guten Umgang finden. Ausserhalb der Schule sind die Eltern primär in der Verantwortung.»
Hast du oder hat jemand, den du kennst, eine Spiel-, Kauf-, Online- oder eine andere Verhaltenssucht?
Hier findest du Hilfe:
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Spielen ohne Sucht, Selbsttest und Information
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