Flugverbotszone«Selenskis Forderung ist ganz klar Verhandlungstaktik»
Der ukrainische Präsident bittet inständig um eine Flugverbotszone – obwohl dies für die Nato nicht in Frage kommt. Damit erreiche er dennoch viel, sagen Experten.
Darum gehts
Das Video, das der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski während seiner Rede vor dem US-Kongress einspielte, zeigt dramatische Szenen: kriegsverwundete Kinder, Massengräber, zerstörte Wohnhäuser. Dann der Aufruf: «Close the sky over Ukraine.»
Selenski bekam Standing Ovations, wie zuvor in Kanada und danach in Deutschland. Doch seine Bitte nach einer Flugverbotszone wird nicht erhört. Die Nato will nicht eingreifen, westliche Regierungschefs lehnen eine Flugverbotszone ab.
Es gibt zwar immer wieder Stimmen, die gegenteilige Ansichten äussern. Etwa der Historiker Karl Schlögel in einem Interview mit den Tamedia-Zeitungen: «Als militärischer Laie bin ich für eine Flugverbotszone über der Ukraine. Wenn wir das jetzt nicht durchsetzen, werden wir irgendwann die Rechnung präsentiert bekommen.» Doch Militär-Experten warnen davor: Die Nato müsste bei einer solchen Zone auch Boden-Positionen in Russland und Belarus angreifen, um dort die Luftabwehr auszuschalten (siehe Box). Wladimir Putin hat schon vor Wochen gesagt, dass eine Flugverbotszone als Kriegserklärung an Russland angesehen würde.
Selenski bekommt so «nützlichere Waffen»
Wolodimir Selenski sei sich vollkommen bewusst, dass die Nato-Staaten nicht zur ukrainischen Luftwaffe würden, sagt Alexander Bollfrass vom Center for Security Studies an der ETH Zürich. Dass er dies dennoch unablässig fordert, habe mindestens zwei offensichtliche Beweggründe: Erstens sei es eine einfache maximalistische Forderung, die den Westen dazu bringt, nützlichere Waffen bereitzustellen, insbesondere Luftverteidigungssysteme.
Zweitens würden Flugverbotszonen traditionell zur Verteidigung der Zivilbevölkerung gefordert. «Da passt es gut zu seiner Kommunikationsstrategie: Es geht bei der militärischen Unterstützung der Ukraine nicht darum, in einem Krieg Partei zu ergreifen, sondern darum, Zivilistenleben zu schützen.»
Laut Marcel Berni, stellvertretender Dozent Strategische Studien an der Militärakademie an der ETH Zürich, ist die Forderung Selenskis «ganz klar Verhandlungstaktik». Im Vergleich zur Forderung nach einer Flugverbotszone seien die anderen Bedürfnisse geradezu einfach zu erfüllen. «Und diese werden dann auch erfüllt.»
Berni sieht in Selenski ausserdem einen begnadeten Kommunikator. «Er hat ein gutes Team aus Sprechern, Beratern und Social-Media-Spezialisten um sich, und er hat selber als gelernter Jurist und nach Jahren im Showbusiness das kommunikative Talent, die Menschen zu beeinflussen.» Selenski inszeniere sich sehr gut, unrasiert und im T-Shirt vor dem PC. «Er ist das kommunikative Gegenteil von Putin, dem alten KGB-Agenten, der sich im Kreml verschanzt und die brutale Karte spielt.»
«Ukraine benötigt mehr Kampfjets»
«Aus humanitärer Sicht notwendig und berechtigt»
Tobias Vestner, Leiter Sicherheit und Recht am Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik, lehnt eine Flugverbotszone nicht bedingungslos ab: «Sie ist denkbar, aber auch schwierig und gefährlich. Es braucht eine russische Einwilligung – ohne diese ist das Risiko einer Eskalation des Konflikts sehr hoch.»
Selenski wiederhole seine Forderung deshalb unablässig: «Weil er die Hoffnung nicht aufgeben will und dies auch seinen Bürgerinnen und Bürgern zeigen muss, denn aus humanitärer Sicht wäre eine solche Zone notwendig und berechtigt.» Es sei vor allem wichtig, dass die westlichen Staaten sich nicht von der Ukraine und der Not abwendeten, «der Westen darf die Ukraine nicht aufgeben».
Auch Russland-Experte Alexander Dubowy sagt: «Die Forderung ist sicherlich ein Versuch, den Druck beizubehalten.» In der vierten Woche seit dem Angriff mache sich im Westen langsam eine gewisse Kriegsmüdigkeit breit, das sehe man an den Nachrichten, in denen wieder vermehrt andere Themen aufgegriffen würden. Dem wolle Selenski mit seinen Auftritten entgegenwirken. Auch würden sich so mehr Freiwillige für Kriegseinsätze auf Seiten der Ukraine melden.
«Moralischer Druck wird höher»
Dubowy bezweifelt, dass aktuell mit einer Flugverbotszone das Leid in der Ukraine verringert würde. «Die meisten Angriffe erfolgen von Land aus mit Artillerie und nicht aus der Luft. Eine Flugverbotszone könnte derzeit nur wenig ausrichten.» Das könne sich aber ändern, wenn Russland seine Luft-Angriffe verstärkt, nachdem die bisherige Strategie zu wenig erfolgreich war, sagt Dubowy.
Selenski hoffe zudem, im Hinblick auf den ausserordentlichen Nato-Gipfel vom 24. März, etwas bewirken zu können. Dort wird womöglich auch Polens Vorschlag einer Friedensmission in der Ukraine zur Sprache kommen (siehe Box). Auch ein solcher Einsatz wäre umstritten.