«Sie sah aus, als sei sie hingelegt worden»

Aktualisiert

Tödlicher Rodel-Unfall«Sie sah aus, als sei sie hingelegt worden»

Für den Betreiber der Sommerrodelbahn bei Interlaken sprechen alle Indizien gegen die Erkenntnisse der Polizei, wie er im Interview sagt.

Ronny Nicolussi
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Ronny Nicolussi
David Tschanz, Geschäftsführer der Heimwehfluhbahn AG

David Tschanz, Geschäftsführer der Heimwehfluhbahn AG

Für die Ermittler ist klar, die pakistanische Touristin, die am vergangenen Montag auf der Heimwehfluh bei Interlaken tödlich verunglückt ist, wurde von ihrem Rodel geschleudert. Laut Polizei öffnete sich während der Fahrt der 26-Jährigen der Sicherheitsgurt. Der Geschäftsführer der Rodelbahn auf der Heimwehfluh, David Tschanz, sieht das nach wie vor anders.

Herr Tschanz, was sagen Sie zu den neusten Erkenntnissen der Polizei?

David Tschanz: Das sind keine neuen Erkenntnisse, das sind nur Behauptungen. Wie soll ein Gurt einfach so von sich aus aufspringen? Haben Sie so was schon mal erlebt – in einem Flugzeug oder in einem Auto?

Nein, aber die Frau könnte den Gurt selber geöffnet haben und dann vom Rodel gefallen sein.

Das wäre theoretisch möglich. Aber alle unsere Hinweise deuten auf einen ganz anderen Ablauf hin.

Was haben Sie denn für Hinweise?

Da ist zum einen der Rucksack der Frau. Dieser wurde neben der Stelle, an der der Rodel gefunden wurde, fein säuberlich deponiert.

Den hätte die Frau bei einem Unfall auch dort verlieren können.

Nicht so! Er lag aufgerichtet am Hang, wie man ihn hinstellen würde, wenn man etwas herausnehmen wollte. Ich spekuliere jetzt ein bisschen: Es sah so aus, als wenn die Frau den Rucksack abgelegt hätte, um einfacher das steile Gelände hinunterzukommen.

Sie gehen also immer noch davon aus, dass die Frau selber ausgestiegen ist?

Ja. Rucksack und Rodel fand man unmittelbar vor einer Rechtskurve. Die Frau wurde in einem Gebüsch rund 20 Meter weiter unten entdeckt.

Das würde die Theorie stützen, dass sie aus dem Rodel geschleudert wurde.

Eben nicht. Ich habe mir das Gelände lange angeschaut und probiert nachzuvollziehen, wie die Frau von der Rodelbahn an den Fundort gelangen konnte. Ich habe nicht wenig Fantasie, aber es gelang mir nicht.

Weshalb?

Die Frau lag ganz dicht hinter zwei Baumstrünken. Wie kann man den Berg herunterrollen und dann talwärts hinter Baumstrünken zum Stillstand kommen? Zwischen der Rodelbahn und dem Fundort gibt es zudem viele andere Bäume, da wäre sie nie vorbeigekommen. Und wenn trotzdem, dann hätte sie ganz verkratze Beine haben müssen.

Hatte sie nicht?

Nein. Der Mann, der sie barg, kann sich noch genau daran erinnern. Seltsam mutet auch an, dass sie nach einem angeblichen Sturz über 20 Meter, vorbei an Bäumen, immer noch ihre Flipflops anhatte. Und man darf auch nicht vergessen, die Frau fuhr die Bahn sehr langsam herunter.

Das mutet schon seltsam an.

Wissen Sie, was auch seltsam ist? Als die Frau gefunden wurde, sah es so aus, wie wenn sie hingelegt worden sei, mit dem Kopf nach oben und den Füssen talwärts. Ich wüsste gerne, was da wirklich passiert ist. Für uns ist das schlimm, wenn die Polizei jetzt sagt, die Frau sei aus der Bahn geschleudert worden, ohne zu erklären, wie sie zu diesem Schluss kommt.

Die Behörden haben entschieden, Ihre Rodelbahn als Folge des Unfalls vorläufig zu schliessen. Wissen Sie, für wie lange?

Nein, aber ich hoffe, nicht für lange. An der Bahn ist alles in Ordnung.

An der Bahn wollen Sie also weiterhin nichts ändern?

Nein. Trotzdem haben wir entschieden, die risikorelevanten Teile und Funktionen von einem externen Experten überprüfen zu lassen. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Gurte.

Es gibt Experten, die empfehlen für eine solche Bahn Drei-Punkt-Gurte. Bei Ihnen gibt es nur einen Beckengurt.

Das stimmt. Um Drei-Punkt-Gurte zu installieren, müssten wir mangels Fixiermöglichkeit aber alle unsere Rodel auswechseln. Wichtiger als die Diskussion, ob Zwei- oder Drei-Punkt-Gurte besser wären, scheint mir jedoch die Frage, ob man nicht Gurte einsetzen könnte, die die Rodler nicht selber öffnen können.

Weiterer schwerer Unfall auf Sommerrodelbahn

Nur zwei Tage nach dem tödlichen Unglück auf der Heimwehfluh ist in der Schweiz eine weitere Person Opfer eines Unfalls auf einer Rodelbahn geworden. Ein 10-jähriger Knabe zog sich am Mittwochabend auf der Sommer-Bobbahn Rischli in Sörenberg schwere Beinverletzungen zu, wie die Kantonspolizei Luzern am Donnerstag mitteilte. Der junge Portugiese aus Emmen (LU) bemerkte zu spät, dass ein vor ihm fahrender Knabe stoppte und seinen Rodel aus der Bahn heben wollte. Bei der Kollision mit dem angehobenen Schlitten verletzte sich der Junge an den Kufen. Er musste mit der Rettungsflugwacht ins Spital gebracht werden.

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