«Sie zahlen den Kriminal-Touristen das Hotel»

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Rumänische Banden«Sie zahlen den Kriminal-Touristen das Hotel»

Laienrichter Michael Derrer will junge Rumänen davon abhalten, in der Schweiz kriminell zu werden. Im Interview sagt er, wie das funktionieren soll.

J. Büchi
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J. Büchi
Michael Derrer begleitet Schweizer Unternehmen in ihrer Expansion nach Osteuropa. Daneben unterrichtet er Wirtschaft an der Hochschule Luzern. Als Laienrichter ist er an rund zwei Tagen pro Monat am Bezirksgericht Rheinfelden tätig. Daneben dolmetscht er für die Justiz.
Derrer kennt Rumänien bereits seit über 25 Jahren. Er hat ein Jahr im Land studiert und dort auch die Sprache gelernt.
Seine Kampagne findet in Rumänien offenbar Anklang. Bereits haben diverse Medien darüber berichtet.
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Michael Derrer begleitet Schweizer Unternehmen in ihrer Expansion nach Osteuropa. Daneben unterrichtet er Wirtschaft an der Hochschule Luzern. Als Laienrichter ist er an rund zwei Tagen pro Monat am Bezirksgericht Rheinfelden tätig. Daneben dolmetscht er für die Justiz.

ZVG

Herr Derrer, Sie sind gerade in Bukarest, um dort junge Rumänen davon abzuhalten, als Kriminaltouristen in die Schweiz zu kommen. Wie soll das funktionieren?

Meine Botschaft ist: Es lohnt sich nicht, für Diebestouren in die Schweiz zu kommen. Wer erwischt wird, kassiert happige Strafen. Leider vermitteln rumänische Banden das Bild, es sei ein Spaziergang, bei uns kriminell zu werden – man lande sowieso nicht im Gefängnis. Um die Illusion zu zerstören, gebe ich Interviews in rumänischen Zeitungen, treffe mich mit den Behörden und NGOs.

Letztes Jahr wurden in der Schweiz 2756 Delikte von Rumänen verübt. Sie sind die Ausländergruppe, die in der Schweiz am vierthäufigsten straffällig wird – nach Italienern, Portugiesen und Deutschen – obwohl in der Schweiz sehr wenig Rumänen wohnen. Warum ist das so?

Bei den Kriminaltouristen stehen Rumänen an erster Stelle. Doch die meisten Rumänen sind anständige Leute, die mit kriminellen Aktivitäten nichts am Hut haben. Sie leiden unter dem Image, welches ihr Land aufgrund der Kriminaltouristen hat. Bei den Kriminellen unterscheide ich zwischen drei Kategorien: Es gibt Kleinkriminelle, die sich so ihren Lebensunterhalt sichern wollen. Schwerkriminelle, die sich professionell organisieren. Und dann gibt es viele Naivlinge, die sich von Banden anheuern lassen. Um diese Gruppe geht es mir.

Was wissen Sie über diese «Naivlinge»?

Das sind meist jüngere Leute aus armen Verhältnissen. Meist stammen sie aus ländlichen Gebieten, sind arbeitslos und brauchen etwa nach der Geburt des ersten Kindes Geld. Banden suchen sich in diesem Umfeld ihre Helfer. Sie zahlen den Leuten die Reise über Frankreich in die Schweiz und den Hotelaufenthalt in Mulhouse. Die Bosse erzählen diesen Menschen immer die gleichen Märchen von der zahnlosen Schweizer Justiz.

Handelt es sich oft um Roma?

Nein, in dieser Kategorie eher nicht. Ich möchte hier aber auch keine ethnische Diskussion anzetteln.

Sie haben die Aufklärungskampagne auf eigene Faust organisiert. Wie kamen Sie dazu?

Ich kenne Rumänien seit über 25 Jahren: Zwei Wochen nach dem Sturz von Diktator Ceausescu war ich mit einer Studentengruppe dort. Ich habe ein Jahr lang im Land studiert und die Sprache gelernt. Später durfte ich auch ein Wirtschaftsprogramm im Land leiten, und heute betätige ich mich als Unternehmensberater in Osteuropa. In meiner Funktion als Laienrichter in Rheinfelden AG und als Justizdolmetscher hatte ich nun immer wieder mit rumänischen Kriminaltouristen zu tun. Ich habe mir gesagt: Dagegen musst du etwas unternehmen.

Wissen die Behörden von Ihrem Engagement?

Nachdem ich mit der erfolgreich angelaufenen Medienkampagne in Bukarest zeigen kann, dass man in der Bekämpfung von Kriminaltourismus auch neue Wege gehen kann, werde ich mich an die Behörden wenden, um längerfristige Strategien zu suchen.

In einem Beitrag von TeleM1 äusserte sich auch Lucian Popescu vom Rumänischen Verein Baden grundsätzlich wohlwollend. Er befürchtet jedoch, dass die Kampagne auch Vorurteile gegenüber Rumänen schüren könnte.

Das Gegenteil ist mein Ziel! Ich will ja gerade versuchen, das schlechte Image der Rumänen zu korrigieren. Ich möchte zeigen, dass der Grossteil der Bevölkerung nichts gemein hat mit den Kriminaltouristen mit rumänischem Pass. Von Pauschalisierungen grenze ich mich entschieden ab. Ich habe aus der Studienzeit noch viele Freunde in Rumänien. Sie finden mein Engagement super.

Was gefällt Ihnen persönlich an Rumänien?

Die Herzlichkeit der Menschen, die traditionelle rumänische Musik und das Essen. Ich habe auch eine gewisse Faszination für die Architektur von Bukarest, auch wenn ich mir vorstellen kann, dass viele Schweizer diese Vorliebe nicht teilen.

Nach der Tat wieder ins Ausland

In der Schweiz sind letztes Jahr 77'062 Straftaten verzeichnet worden. Davon wurden 36'746 von Schweizern verübt. Am nächst häufigsten machten sich Italiener, Portugiesen oder Deutsche strafbar, die auch zu den grössten Ausländergruppen im Land zählen. Anders sieht dies bei den Rumänen aus, die in der Liste direkt dahinter folgen: Nur 128 von den 2756 Personen, die erwischt wurden, zählen zur ständigen Wohnbevölkerung. Das heisst: Sie kommen in der Regel für die Tat in die Schweiz und verschwinden danach wieder über die Grenze.

Bei der Schweizerischen Kriminalprävention (SKP) heisst es, eine Privatinitiative gegen den Kriminaltourismus sei «einen Versuch wert». Es werde sich weisen, ob die Kampagne Wirkung zeigt oder nicht, so die stellvertretende Geschäftsleiterin Chantal Billaud. Die SKP selber betreibt im Bereich Kriminaltourismus keine Prävention vor Ort, sondern konzentriert sich auf Massnahmen zum Einbruchsschutz bei Bewohnern in der Schweiz. (jbu)

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