Sind dynamische Preise fürs Skiabo eine Abzockerei? Der Live-Talk

Livetickeraktualisiert am Donnerstag, 2. Februar, 2023

Schnee-Talk«Ein Kilometer beschneite Piste kostet rund eine Million Franken»

Was heisst der Klimawandel fürs Skifahren? Wird der Skipass immer teurer? Zwei Skiferien-Profis haben sich den Fragen der 20-Minuten-Community gestellt.

Deine Meinung zählt

Donnerstag, 02.02.2023

Ende

Damit ist der Talk vorbei. Schön warst du dabei.

  • Die Skigebiete brauchen laut Tourismus-Professor Urs Wagenseil viel Geld für Investitionen, um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu sein.

  • Sie hätten auch hohe Kosten für die Instandhaltung der Pisten, die Sicherheit und mehr.

  • Die Instandhaltung und Beschneiung eines Kilometers Piste kostet laut Jungfraubahn-CEO Urs Kessler eine Million Franken.

  • Kessler ist gegen dynamische Preise bei den Jungfraubahnen. Laut Wagenseil dienen diese aber dazu, die Spitzen an den Wochenenden zu brechen, wenns unter der Woche günstiger ist.

  • Gegen eine Personenlimite spricht sich der Tourismus-Professor klar aus. Dann hätten die Skigebiete weniger Einkommen als möglich und müssten wohl bald die Preise erhöhen.

Morgen findest du eine Zusammenfassung des Talks in der Zeitung. Hast du Kritik, Fragen oder eine Idee für einen nächsten Talk? Dann schreib uns per Mail an die 20-Minuten-Wirtschafts-Redaktion.

Showevents auf dem Jungfraujoch

Sie haben immer wieder mit Showevents auf dem Jungfraujoch von sich reden gemacht. So gab es auf 3800 m schon ein Tennismatch zwischen Roger Federer und Lindsey Vonn. Welches Event und welchen Star hätten Sie gerne bei sich im Schnee?

Urs Kessler: Wir hatten auch die Klitschkos und viele mehr. So im Eishockey, the great one Wayne Gretzky wäre eine tolle Sache.

Preis für Tagespass

Wo liegt die Schmerzgrenze, was ist ein Tagespass wert?

Urs Wagenseil: Bei mir sind es 75 Franken, ich bin ein ordentlicher Skifahrer.

Urs Kessler: Ganz wichtig sind auch die Kapazität und der Zustand der Anlagen. Man muss das Gesamtpaket ansehen.

VIP-Abos

Salome fragt: Sie haben 2020 ein VIP-Abo mit Lounge, Luxusgondel und Parkplatz eingeführt, das 12'000 Franken kostet. Haben Sie solche Abos verkauft oder war das einfach eine gute Marketingidee?

Urs Kessler: Das ist natürlich eine Marketingidee, aber wir haben das auch verkauft an Chalet-Besitzer. Wir wollten etwas Exklusives anbieten, das kann man auch auf Tagesbasis buchen. Aber im Skigebiet sind alle gleich.

Der Eiger-Express.

Der Eiger-Express.

Günstigere Preise für Touristen?

Silvan fragt: Warum bezahlen chinesische Gruppen für die Fahrt aufs Jungfraujoch nur 40 Franken, ich hingegen bezahle ohne Halbtax ab Interlaken über 210 Franken. Ist das fair?

Urs Kessler: Wir haben Gruppenreisende-Tarife, da gibt es Rabatte. Unser Durchschnittsertrag ist rund 120 Franken. Das ist rund 3,5-mal höher als sonst in der Schweiz. Das könnte gar nicht aufgehen, wenn wir den Internationalen zu tiefe Preise anbieten würden. Es ist nicht der Gruppenreisende, sondern die Ermässigungen, die den Durchschnittsertrag drücken, beispielsweise das Halbtax.

Jungfraujoch.

Jungfraujoch.

Getty Images

Preisreduktion bei Schneemangel?

Willi fragt: Wenn wegen Schneemangels etliche Anlagen nicht in Betrieb und Pisten geschlossen sind, wäre da nicht eine Reduktion der Preise für Tageskarten angesagt?

Urs Kessler: Wir hatten nicht alle Anlagen offen. Aber der Aufwand war viel grösser, als wenn es normal geschneit hätte, unsere Mitarbeitenden haben unglaubliche Arbeit geleistet, dass wir trotzdem ein tolles Angebot machen konnten, deshalb entschieden wir uns gegen eine Preisreduzierung.

Urs Wagenseil: Man muss unterscheiden, wenn temporär etwas nicht fahren kann, weil eine Bahn ausfällt, wird es schwierig. Aber wenn nicht mehr alle Anlagen im Betrieb sind, weil der Schnee fehlt? Dann wäre es fair, den Preis zu senken, dann muss der Betreiber auch nicht mehr alle Pisten mehr instand halten. Wenn die Bergbahnen finanziell nicht überleben, haben wir das Angebot gar nicht mehr.

Personenlimite im Skigebiet?

Reto fragt: Mir hat es immer zu viele Leute auf der Piste. Wäre nicht eine Personenlimite im Skigebiet sinnvoll? Was denken Sie darüber?

Urs Kessler: Das ist natürlich denkbar. Wenn man so etwas einführt, muss es aber einwandfrei umsetzbar sein. Das ist nicht so einfach. Wenn ein Hotelgast noch keinen Pass hat, dürfen wir ihm nicht verbieten, noch auf die Piste zu gehen.

Urs Wagenseil: Das ist extrem komplex. Wir müssen die Perspektive der Unternehmung sehen. Wenn die Nachfrage höher ist als die Obergrenze, müssten die Preise irgendwann steigen. Für die Skifahrer wäre es natürlich eine Sicherheit für eine gewisse Qualität, keine langen Wartezeiten, keine Enge auf der Piste. Das ist super. Aber was ist, wenn ich nächste Woche Ski fahren will und es ausgebucht ist? Dann ist es auch nicht toll, wenn ich nur wenige Skigebiete in der Nähe habe. Deshalb bin ich nicht für eine Einführung einer solchen Personenlimite.

Getty Images/iStockphoto

Fragen

Es folgen Leserfragen. Hast du noch eine Frage? Dann reiche sie über diesen Link ein.

Sind dynamische Preise Abzocke?

Der Konsumentenschutz spricht in Zusammenhang mit dynamischen Preisen von einer Abzockermethode, weil der Durchschnittspreis steigt. Ist diese Kritik gerechtfertigt?

Urs Wagenseil: In dieser Heftigkeit nicht. Es sind unternehmerische Businessmodelle, es ist legitim auszuloten. Eine Bremse kommt von selbst, wenn man es überreizt, dann zieht sich der Gast zurück. Der Skipass ist ein sehr emotionales Thema, aber im Hotelgeschäft gibt es keine Transparenz. Das kommt wohl davon, dass jeder Ski fährt, der Tagespass ist so vergleichbar, das hat sich eingebrannt. Bei zwei 4-Sterne-Hotels, die gleich nebeneinander stehen, kennen wir die Preise nicht. Das ist vermutlich etwas, das noch Zeit braucht.

Neuschnee im Kinderland Grüsch-Danusa im Bündnerland.

Neuschnee im Kinderland Grüsch-Danusa im Bündnerland.

20min/Community

Preisgestaltung

Warum setzen Sie nicht auf solche dynamischen Preise?

Urs Kessler: Wir diskutieren das schon seit vielen Jahren, haben aber entschieden, dass es eine einheitliche, klare Preispolitik geben soll. Das Feedback der Kunden dazu ist sehr gut. Wir haben auch die Überlegung gemacht, saisonale Preise zu machen. Aber bis jetzt sind wir davon abgekommen. Gerade wenn Familien Ferien haben, wenn die Nachfrage gross ist, würden wir sie bestrafen. Aber in der Hotellerie ist das selbstverständlich.

Dynamische Preise

Viele grosse Destinationen setzen auf dynamische Preise. Im Oberengadin kostet eine Tageskarte teils über 100 Franken. Wer früh bucht, zahlt aber nur 73 Franken. Ist das die Zukunft? Müssen sich die Leute an diese Modelle gewöhnen?

Urs Wagenseil: In den letzten Jahren hat das tatsächlich zugenommen, da hat es sicher ökonomische Überlegungen, um maximieren zu können. Es ist aber nicht nur ein ökonomischer Aspekt, es geht auch darum, die Nachfrage zu dirigieren. Günstige Preise unter der Woche können die Nachfrage steigern und so vielleicht die Spitze an den Wochenenden brechen. Der Konsument profitiert dann auch, wenn nicht mehr alle am Wochenende auf der Piste sind und er lange warten muss.

250 Franken pro Tag?

Mark schreibt, in zehn Jahren fahre sicher niemand mehr Ski unter 250 Franken pro Tag.

Urs Kessler: Der Markt spielt, wir vergleichen die Preise, ich kann mir nicht vorstellen, dass die Tageskarte in den nächsten zehn Jahren 100 Franken kostet. Wir haben einen gemeinsamen Skipass mit verschiedenen Skigebieten, da mag es nicht grosse Differenzen geben, sonst wechselt man das Skigebiet. Langfristig entscheidend wird die Qualität sein. Man muss hingehen können und möglichst schnell Ski fahren, ohne lange zu warten, dann wird er auch bereit sein, etwas mehr zu zahlen.

Urs Wagenseil: Der Konkurrenzkampf spielt, das stimmt. Es gibt auch eine beschränkte Anzahl an Konsumenten, da kann man nicht einfach machen, was man will. Die Retourkutsche einer zu aggressiven Preispolitik käme schon.

Skifahren als Luxus

Wird Skifahren auch wegen der klimatischen Bedingungen eher für die Luxusklasse etwas sein?

Urs Wagenseil: Den Bergbahnen sind natürlich Limiten gesetzt, sie können nicht einfach die Preise erhöhen, sonst bricht die Nachfrage ab.

Teure Skiabos

Aktuell kostet die Tageskarte 75 Franken. Was sagen Sie jemandem, dem Skifahren zu teuer ist?

Urs Kessler: Wir haben Promotionen, Kinder fahren am Samstag gratis um den Nachwuchs zu fördern. Wir probieren, die Jungen für den Wintersport zu begeistern. So kommen sie vielleicht auch am Sonntag noch Skifahren. Ein Skitag in der Schweiz kostet im Schnitt 35 Franken bei den Bergbahnen. Das ist ein sehr vernünftiger Preis.

Urs Wagenseil: Als doppelt verdienendes Paar kann man das vielleicht locker zahlen. Ich muss als Familienvater für fünf aufkommen, das schenkt schon ein. Aber man muss auch relativieren. Man bekommt für 75 oder 80 Franken einen Tag Zugang zu einem tollen Skigebiet wo alles stimmt. Eine Tennisplatzmiete kostet in einer beheizten Halle schnell auch 60 Franken die Stunde. Das Konzert kostet auch schnell 100 Franken oder mehr. Der Vergleich wäre fair. Bergbahnen sind keine Abzocker. Aber es geht um Bedürfnisbefriedigung die per se nicht gratis ist. Wir erwarten hohe Transportfrequenzen um nicht lange anstehen zu müssen und noch viel mehr. Die Preise gingen hoch, aber auch die Leistungen. Versteckte Leistungen wie die Sicherheit, dass die Bergcrew da ist, um zu retten, die Sicherheit der Piste, da gehört alles dazu. Darum müssen wir es umfassend betrachten.

Steigende Preise

Sind die Schweizer besser und die Österreicher teurer geworden?

Urs Wagenseil: Die zwei Länder waren im Skibereich immer schon top. Innerhalb der einzelnen Länder hat es sicher bessere und schlechtere. Aber Österreich konnte viel mehr in Wasseranlagen und Wellness investieren, da waren sie viel früher, unsere Hotellerie hat aber nachgerüstet.

Urs Kessler: Wir waren nicht immer ebenbürtig bei den Skifahrern, aber dank Odermatt fahren wir nicht mehr hinterher.

Die Therme Längenfeld in Tirol, Österreich.

Die Therme Längenfeld in Tirol, Österreich.

Schweiz vs. Österreich

Der Konkurrenzkampf mit Österreich hat meiner Meinung nach abgenommen. Sehen Sie das auch so?

Urs Kessler: Man muss es heute sicher global sehen. Während der Corona-Zeit waren nicht immer alle top ausgerüstet, aber all die Schweizer, die hier waren, machen jetzt auch wieder Fernreisen. Nicht jeder hat gerne kalt und geht darum nach Asien oder anderswo. Im Moment sind die Preise höher, die Flüge doppelt so teuer wie vor Corona, das hilft uns sicher.

Getty Images

Harter Konkurrenzkampf

Früher war Österreich der grosse Gegner der Schweizer Skigebiete. Ist heute der Klimawandel der Feind?

Urs Kessler: Wir sind in einem sehr kompetitiven Umfeld im gesamten Alpenraum mit Österreich, Frankreich, Südtirol. Da müssen wir Schneegarantie sicherstellen. Die will der Schweizer Gast und auch der internationale. Deshalb ist die technische Beschneiung eine Voraussetzung. Der Wintersport ist heute auch viel breiter geworden. Heute ist Schlitteln sehr beliebt. 50 Prozent der Gäste fahren nicht mehr Ski, sie wollen einfach ein Wintererlebnis.

Urs Wagenseil: Jeder hat seine eigenen Vorstellungen, wenn man mit der Familie reist, kommen noch mehr Bedürfnisse dazu, deshalb braucht das Skigebiet die Gesamtpalette. Wir Schweizer bleiben nicht mehr wie in den 70er-Jahren im Winter in der Schweiz, sondern gehen auch nach Dubai, Thailand oder Mexiko. Die Bedürfnisse haben sich verändert. Der Konkurrenzkampf ist global.

Getty Images

Natur als Geschenk

Haben die Jungfraubahnen Glück mit dem Top of Europe, der höchsten Bahnstation Europas?

Urs Wagenseil: Ja, das ist ein Geschenk, das macht es einfacher. Aber es braucht auch jahrzehntelanges gutes Management in der ganzen Region. Es braucht Strategien und permanente Investitionen, um das Geschäft auch in den Sommer verlagern zu können. Nicht jede Bergbahn kann das, nicht jede kann investieren. Die neuen Angebote im Sommer sind aber auch nicht überall möglich, etwa wegen Naturschutzes oder wegen der Nachfrage, 100 Rodelbahnen machen keinen Sinn. Was auf dem First klappt, kann man nicht einfach kopieren.

Jungfraujoch

Einige Skigebiete stehen vor dem Aus

Wie viele Skigebiete werden verschwinden?

Urs Wagenseil: Ich hoffe keines, ich kann keine Zahl nennen. Das sind regionalpolitische Entscheide, die gefällt werden müssen, um einer Region zu helfen. Es braucht Unterkünfte, Schneeschulen und noch viel mehr für das Gesamterlebnis, sonst gibt es nur Tagesausflüge, das reicht nicht zum Überleben.

20min/Anna Bila

Kleine Skigebietet

Werden die tiefer gelegenen und kleinen Gebiete da noch mithalten können?

Urs Wagenseil: Es ist denkbar, dass das nicht mehr möglich ist, das tut natürlich weh. Im Winter machen die Regionen natürlich den Hauptertrag. Der Sommer ist bei weitem nicht so rentabel. Da kann man auch nicht die gleichen Kosten verlangen. Wenn ich so eine starke Winterabhängigkeit habe und dann noch keinen Schnee, dann bin ich natürlich gefährdet. Es braucht nicht nur Bergbahnen, sondern viele Angebote an Produkten, die das Erlebnis auch im Sommer gewähren können, dass man bereit ist, Geld auszugeben.

So teuer ist Kunstschnee

Was kostet es, eine Skipiste auszurüsten mit technischer Beschneiung?

Urs Kessler: Es gibt den Erfahrungswert, wonach die Installation eines Kilometers beschneite Piste rund eine Million Franken kostet. Ein anderer Erfahrungswert ist auch, dass bei uns bei Grindelwald-First ein Tag Wintersport rund 250'000 Franken kostet. Wintersport ist natürlich mit dem Unterhalt mit Pistenfahrzeugen, der Rettung und der Präparation sehr aufwändig im Vergleich zum Sommertourismus.

Universität Basel

Umsatzeinbusse im Januar

Ist es realistisch, das im Februar noch aufzuholen?

Urs Wagenseil: Wenn die angesagte Schneewalze jetzt nicht kommt, wird es ein kritischer Moment für die tiefgelegenen Regionen. Das was jetzt nicht kommt, fehlt auch im März und an Ostern. Das wäre nicht mehr aufholbar.

Technische Beschneiung

Wie viel Geld haben die Jungfraubahnen in dieser Saison für Kunstschnee ausgegeben?

Urs Kessler: Die technische Beschneiung ist eine wichtige Grundlage. Wir brauchen heutzutage aber auch viel weniger Schnee für die Skigebiete. Wir haben enorme technische Fortschritte gemacht bei der Beschneiung. Im Vergleich zu vor zehn Jahren ist der Energieverbrauch noch halb so gross. Wenn ich sehe, was das Team geleistet hat, zum Teil auch mit Handarbeit, war es eine enorme Leistung, dass man bei uns gut skifahren konnte in der Jungfrau-Region. Es war ein herausfordernder Start, aber immer noch der viertbeste überhaupt für uns. Entscheidend wird jetzt aber der Februar und die Wochenenden mit guten Schneeverhältnissen.

Getty Images

Kunstschnee-Streifen in grünbrauner Landschaft

Sind die Bilder von Kunstschnee-Streifen in grünbrauner Landschaft schlecht fürs Geschäft?

Urs Wagenseil: Es ist sicher nicht gut fürs Gesamtpaket. Wenn wir in den Badeferien sind, sind wir auch nicht zufrieden, wenn das Wetter düster ist. Die Klimaberechnungsmodelle gehen in die Richtung, dass die Schneefallgrenze steigen wird. Im Talbereich wird es kritisch. Aber schneearme Winter gab es auch schon vor 20 Jahren. Man muss es ernst nehmen, aber darf nicht überdramatisieren.


20min/Luca La Rocca
92 Kommentare
Kommentarfunktion geschlossen