Gewalt in OstukraineSlowjansk ist die Stadt der Angst
Ein selbsternannter Bürgermeister, der Journalisten festhält. Schiessereien, Folter – und jetzt wieder fünf Tote. Slowjansk ist derzeit die gefährlichste Stadt der Ukraine.
Die Provinzstadt Slowjansk ist zu einem Brennpunkt des Ukraine-Konflikts geworden. So gefährlich und chaotisch wie hier ist es in keiner der ostukrainischen Städte, deren Verwaltungsgebäude und Polizeiwachen von prorussischen Milizen besetzt wurden. Bis jetzt war Slowjansk fest in den Händen der Separatisten. Am Donnerstag hat die ukrainische Armee deswegen offenbar einen Einsatz gegen die prorussischen Aktivisten gestartet. Ein AFP-Journalist berichtete von Schüssen sowie von einer brennenden Strassensperre an einer Zufahrt zu Slowjansk. Später teilte das Innenministerium mit, dass «bis zu fünf» prorussische Kämpfer getötet worden seien. Mindestens ein ukrainischer Soldat sei verletzt worden. Drei am Eingang der Stadt errichtete Barrikaden seien «zerstört» worden.
Schon zuvor war die Situation in Slowjansk Schritt für Schritt eskaliert. Die Einwohner der Stadt wurden von Separatisten unter eine nächtliche Ausgangssperre gestellt. Bewaffnete Männer in Autos ohne Kennzeichen patrouillieren durch die von Strassensperren voneinander abgetrennten Viertel. Geheimdienstzentrale, Polizei und Stadtverwaltung sind fest in den Händen der prorussischen Kräfte. Diese stürmten zuletzt auch den Fernsehturm und schalteten alle ukrainischen Sender ab.
Ein Überblick darüber, was in den letzten Tagen in Slowjansk geschehen ist:
Der selbsternannte Bürgermeister
Die Bürgermeisterin von Slowjansk wurde entmachtet, jetzt gibt «Volksbürgermeister» Wjatscheslaw Ponomarjow hier die Befehle. Von den Genfer Verhandlungen hält der vierschrötige Mann nicht viel, er habe «keine Zeit», sich damit zu beschäftigen. Ponomarjow fährt eine eigene Hauruck-Diplomatie: Er werde die Besetzung der Stadt erst aufgeben, wenn «die rechtsradikalen ukrainischen Kräfte» ihre Waffen niederlegten, sagte er. In den letzten Tagen wurde immer klarer, dass Ponomarjow die Stadt regelrecht terrorisiert. Er hielt zeitweise mehrere ausländische Journalisten fest – darunter auch der amerikanische Reporter Simon Ostrovsky, der noch immer in seiner Gewalt ist. Auch die ukrainische Journalistin und Majdan-Aktivistin Irma Krat wird von Ponomarjow festgehalten. Die Frau wurde mit verbundenen Augen mehreren Journalisten vorgeführt. Ponomarjow macht geltend, dass sie für Verbrechen gegen Angehörige der Berkut-Spezialeinheit mitverantwortlich sein soll und man sie deswegen festhalten dürfe.
Schiesserei mit drei Toten an Ostern
Am Osterwochenende wurden in Slowjansk mindestens drei Menschen bei einer Schiesserei getötet. Die Umstände sind noch immer unklar. Die Separatisten behaupteten, Angreifer des rechtsradikalen «Rechten Sektors» hätten das Feuer auf prorussische Milizen eröffnet. Der selbsternannte Bürgermeister Ponomarjow legte als «Beweis» eine Visitenkarte des Führers des «Rechten Sektors» vor, die am Tatort gefunden worden sein soll. Der «Rechte Sektor» will im Osten der Ukraine jedoch gar nicht aktiv sein. Russland hingegen sieht seit Ausbruch der Krise die Schuld ukrainischer Rechtsradikaler als erwiesen an. Nach dem tödlichen Osterwochenende forderte das russische Aussenministerium die Regierung in Kiew auf, den «Rechten Sektor» zu entwaffnen.
Zu Tode gefolterter Politiker
Am Dienstag schliesslich wurden zwei Leichen gefunden, die Spuren von schwerer Folter aufwiesen. Eines der Opfer war der kurz zuvor entführte Wolodymyr Rybak, ein Abgeordneter der Vaterlandspartei. Nach Angaben des ukrainischen Innenministeriums sollen die beiden Opfer lebendig ertränkt worden sein. Der ukrainische Übergangspräsident Turtschinow beschuldigte die prorussischen Milizen des Verbrechens. Auch Russland trage hierfür Mitverantwortung. Konkret beschuldigte die ukrainische Regierung einen Oberstleutnant des russischen Militärnachrichtendienstes, an der Tötung beteiligt gewesen zu sein. Moskau wies jede Schuld von sich und insistiert, mit der Gewalteskalation in der Ostukraine nichts zu tun zu haben.
«Ich bat Putin, Truppen zu schicken»
Volksbürgermeister Ponomarjow ist an einer Beruhigung der Lage nicht interessiert. Eben erst forderte er Russland dazu auf, «Friedenstruppen zum Schutz der Bevölkerung vor Faschisten» zu schicken. Slowjansk stehe unter der Kontrolle des «Rechten Sektors». Am Mittwoch schliesslich legte Ponomarjow nach: «Ich habe Putin zweimal gebeten, Friedenstruppen zu schicken. Wenn er es nicht tut, werde ich Russland um Waffen bitten.»