Impf-WiderstandPflegende verweigern reihenweise Impfung
Teils will sich nur jede zehnte Pflegerin und jeder zehnte Pfleger gegen Corona impfen lassen. Experten hoffen auf Besserung.
Darum gehts
Die Schweiz hat am Montag ihre Impfkampagne gestartet.
Beim Pflegepersonal ist die Zurückhaltung aber noch gross.
Sie fürchten etwa um die Fruchtbarkeit oder Langzeitschäden.
Impf-Chef Christoph Berger betont nochmals die Sicherheit des Vakzins.
Die Impfung als wirksames Mittel, um die Anzahl der schweren Krankheitsverläufe und Todesfälle zu reduzieren: So bewirbt der Bund die nationale Impfkampagne gegen das Coronavirus, die am Montag angelaufen ist.
Zuerst impfen die Kantone Risikopatienten, dann das Pflegepersonal. Doch genau bei den Pflegerinnen und Pflegern an der Front gibt es Widerstand.
Im Altersheim Rotmonten in St. Gallen haben sich bisher nur rund 10 Prozent der Mitarbeitenden zur Impfung angemeldet. «Bei den Mitarbeiterinnen kursieren verschiedene Studien, wonach zum Beispiel die Impfung die Fruchtbarkeit beeinträchtigen könnte», sagt Heimleiter Kurt Ryser zu 20 Minuten. Beim Grossteil der Mitarbeiterinnen handle es sich um junge Frauen, weshalb diese Thematik aktuell der Skepsis besonders Vorschub leiste.
Arbeitest du in der Pflege? Wie gehst du mit dem Thema impfen um? Schreibe uns via Formular unten.
«Skepsis ist gross»
Ryser will deshalb in den nächsten Wochen nochmals sachlich informieren und die Sicherheit des Corona-Impfstoffs betonen. Bei den Bewohnerinnen und Bewohnern betrage der Anteil jener, die sich impfen lassen wollten, rund 80 Prozent.
Beim Personal stehe man vor einem Dilemma: «Das Pflegepersonal arbeitet nicht in einem Lohnhochsegment und hat in letzter Zeit extrem viel geleistet. Und jetzt sollen sie sich auch noch als erste impfen lassen», sagt Ryser. Das sei viel verlangt. Auf der anderen Seite gebe es viele krankheitsbedingte Ausfälle, die das Pflegeteam belastet, was durch die Impfung entschärft werden könnte.
«Die Skepsis ist gross», erzählt auch Sonja Bühler, Leiterin des Alterswohn- und Pflegeheims Magda in Hilterfingen BE. Viele wollten nicht als «Versuchskaninchen» herhalten, sagt sie. «Vom gesamten Personal lassen sich 26 Prozent impfen.» Sie selbst geht mit gutem Beispiel voran. Denn: «Dieses Jahr war die wohl traurigste Weihnacht, die ich in meiner langjährigen Tätigkeit erleben musste.»
Weitere Beispiele für die verbreitete Impfskepsis beim Pflegepersonal gibt es zuhauf. Im Altersheim Möösli in Gams SG beträgt die Quote wie in Rotmonten zehn Prozent, wie das «Tagblatt» berichtete. Auch die Heimleiter im Alterszentrum Lindenhof in Oftringen AG sind ernüchtert: Dort betrug die Quote laut «SRF» 20 Prozent. Eine Befragung zeigte im Herbst, dass sich nur ein Drittel des Gesundheitspersonals so rasch wie möglich pieksen lassen will.
Furcht um langfristige Nebenwirkungen
Schweizweite Zahlen dazu, wie viele Pflegerinnen und Pfleger sich den Impfstoff tatsächlich verabreichen lassen, liegen nicht vor. Einzelne Kantone haben Schätzungen vorgenommen. Beim Kanton Bern heisst es, man rechne mit einer Impfquote beim Pflegepersonal von über 30 Prozent.
Für den Kanton Luzern sagt David Dürr, Leiter der Dienststelle Gesundheit und Sport: «Bei den Heimbewohnenden lassen sich 80 bis 90 Prozent der Personen impfen, bei den Mitarbeitenden sind es knapp die Hälfte.»
Erst Risikogruppen, dann Pflegepersonal
Laut Thomas Steffen, Kantonsarzt von Basel-Stadt und Vorstand der Vereinigung der Kantonsärzte, steht im Moment primär der Eigenschutz des Pflegepersonals und der Heimbewohner im Vordergrund. «Es geht nicht primär um das Erreichen einer möglichst hohen Impfrate.»
Zu der teils hohen Zahl an Pflegefachleuten, die sich nicht impfen lassen wollen, sagt er, man müsse unterscheiden. «Zwischen Personen, welche noch offene Fragen haben und einer kleineren Gruppe, welche Impfungen generell ablehnen.» Er gehe aber davon aus, «dass die Impfbereitschaft noch weiter ansteigen wird, weil mit der Zulassung der Impfstoffe die häufig nachgefragten Informationen vorliegen und sich auch der Nutzen der Impfung im Alltag klar zeigt».
Alle seien gefordert, nicht nur die Pflege
Es gibt auch Verständnis für die Situation des Personals aus der Branche. «Es gilt, die individuellen Entscheide des Personals zu respektieren», sagt Daniel Höchli, Direktor des Verbands Curaviva. Er betont: «Es reicht nicht aus, dass sich einzelne Bevölkerungsgruppen impfen lassen, um die Fallzahlen zu reduzieren. Gefordert ist die gesamte Gesellschaft, wenn es darum geht, die Pandemie einzudämmen.»
Das sagt der Impf-Chef

Christoph Berger, Leiter der Eidgenössischen Kommission für Impffragen (EKIF), erklärt: «Das Wichtigste ist jetzt, dass sich Risikopersonen, die bei einer Covid-Erkrankung sterben oder ins Spital müssen, sich impfen lassen.» Erst an zweiter Stelle biete man die Impfung auch dem Pflegepersonal an. Insgesamt waren bisher 72 Prozent der Covid-Toten über 80 Jahre alt.
Die EKIF hat für das Pflegepersonal kein Impf-Ziel mit einer Quote definiert. Berger ist bekannt, dass bei den Pflegerinnen und Pflegern teils noch Skepsis herrsche. Bei der Grippe-Impfung wäre es laut Berger sinnvoll, wenn sich 70 Prozent des Personals impfen lassen würde. Tatsächlich sind es jeweils nur 30 Prozent.
Berger betont deshalb die positiven Effekte der Corona-Impfung: «Pflegefachpersonen bekommen die Impfung, wenn sie wollen, zum Selbstschutz. Sie müssen nicht mehr in Isolation, stellen so die Gesundheitsversorgung sicher und haben möglicherweise ein kleineres Risiko, andere anzustecken.» Dazu werde man auch bald mehr Daten erhalten.
Zur Sicherheit sagt Berger: «Die Impfung zeigt in den Studien bisher keine schweren Nebenwirkungen, schwangeren Frauen wird sie mangels Daten nicht empfohlen. Es erfolgt eine Überwachung für seltenere oder spätere Nebenwirkungen. Vorerst gilt es, die täglichen Hospitalisationen und Todesfälle wegen Covid-19 zu reduzieren.»
Hast du oder jemand, den du kennst, Mühe mit der Coronazeit?
Hier findest du Hilfe:
BAG-Infoline Coronavirus, Tel. 058 463 00 00
Dureschnufe.ch, Plattform für psychische Gesundheit rund um Corona
Branchenhilfe.ch, Ratgeber für betroffene Wirtschaftszweige
Hotline bei Angststörungen und Panik, 0848 801 109
Pro Juventute, Tel. 147
Dargebotene Hand, Tel. 143