So ist Greta, wenn die Kameras weg sind

Aktualisiert

Im Zug mit dem Klima-StarSo ist Greta, wenn die Kameras weg sind

20 Minuten hat die junge Klima-Aktivistin auf dem letzten Abschnitt ihrer 33-stündigen Zugreise begleitet. Ein Treffen mit einer faszinierenden 16-Jährigen.

Zora Schaad
Stefan Strittmatter
von
Stefan Strittmatter
Die 16-jährige Klimaaktivistin Greta Thunberg aus Stockholm und ihr Vater kommen nach einer 30-Stunden-Zugfahrt am Zürcher Hauptbahnhof an.
«Schulstreik für das Klima»: Mit dieser Idee ist Thunberg international bekannt geworden. Auch Schweizer Schüler nehmen sich an ihr ein Vorbild.
Es sei erstaunlich, wie sich ihre Idee verbreitet habe, sagt die junge Aktvistin. Auf die Frage, ob ihr junges Alter bei ihrem Engagement für das Klima ein Vorteil sei, sagt die 16-Jährige: «Ja, definitiv. Wenn ein Kind etwas sagt, fühlen sich Erwachsene schuldiger.»
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Die 16-jährige Klimaaktivistin Greta Thunberg aus Stockholm und ihr Vater kommen nach einer 30-Stunden-Zugfahrt am Zürcher Hauptbahnhof an.

Oskar Moyano

Lange scheint es so, als seien Greta Thunberg und ihr Vater doch in einem anderen Zug in die Schweiz gereist: Der Nachtzug aus Hamburg steht seit zehn Minuten am Perron 9 des Zürcher Hauptbahnhofs, und vom schwedischen Klimastar fehlt jede Spur.

Die anwesenden Journalisten, Fotografen und Kamerateams werden unruhig, suchen in ihren Handys nach anderen Zügen, die in Frage kommen würden. Dann tritt sie aus dem Zug: in einer abgewetzten roten Jacke und einer weissen Mütze, den dicken Schal eng um den Hals geschnürt. Unter dem Arm trägt die 16-Jährige das handgeschriebene Schild, das sie seit August bei ihren freitäglichen Schulstreiks vor dem schwedischen Parlamentsgebäude dabeihat: «Skolstrejk för Klimatet».

33 Stunden im Zug

Rund 3o Stunden Zugfahrt stecken Greta zu diesem Zeitpunkt in den Knochen, bis zum WEF in Davos werden es 33 sein. Und auch auf dem Rückweg am kommenden Freitag oder Samstag wird sie wieder die beschwerliche, aber klimafreundliche Reise antreten.

Entsprechend war die Nachricht, die mich in der Nacht auf Mittwoch erreichte, keine Überraschung: Greta sei erschöpft, wir müssten das vereinbarte Interview im Zug leider absagen, informierte mich der Vater der Schwedin per SMS.

Auch jetzt wird klar: Svante Thunberg ist kein PR-Fachmann, sondern vor allem ein mit Taschen, Rucksäcken und Schlafsäcken vollbepackter Vater, der seine Tochter zu ihren Auftritten begleitet. So verpasst er in Zürich auch fast den Anschlusszug nach Davos. Während seine Tochter in die hingehaltenen Mikrofone und Kameras spricht, weise ich ihn darauf hin, dass er und seine Tochter sich beeilen müssten, um den Zug nach Landquart zu erwischen.

Reiseführer für die Thunbergs

So eilt Svante voraus, Greta folgt mit fünf Metern Abstand. Ab und zu dreht sich der Vater um und fragt: «Greta, gehts?»; und meist schweigt diese und blickt ernst, wie sie es auf fast allen Aufnahmen zu tun scheint.

Plötzlich bin ich eine Art lokaler Reiseführer für die Thunbergs, nenne ihnen das Gleis, frage den Schaffner am Perron, wie weit hinten Wagen 5 ist. Als ich Greta auf dem Weg erkläre, «Schweizer Züge sind lang», glaube ich, ein verschmitztes Schmunzeln zu erkennen.

Dann, beim Einsteigen, kann ich mir die erste Frage nicht verkneifen – nicht als Journalist, sondern als besorgter Mitreisender der Gruppe, der ich angehöre, spätestens seit mir Vater Svante den Proviantsack zum Tragen überlassen hat.

Greta, vergisst du manchmal neben all deinem Einsatz fürs Klima, auf dich selber aufzupassen?

Du meinst, wenn alles zu viel wird? Ja.

Dann gibt mir Svante trotz gecanceltem Interview sein Okay zum Mitfahren. Als wir ein freies Viererabteil finden, fragt er seine Tochter etwas auf Schwedisch und sagt zu mir: «Du kannst jetzt doch mit ihr reden.» Das Gespräch beginnt, während wir uns aus den Winterkleidern schälen.

Greta, du bist jetzt ein Star. Wie fühlt sich der Medienrummel an?

Ich finde gut, dass der Klimawandel nun mehr Aufmerksamkeit bekommt. Aber ich persönlich mag es überhaupt nicht, im Mittelpunkt zu stehen.

Es ist ein Opfer, das du auf dich nimmst?

Nein, ich würde es nicht Opfer nennen. Es ist einfach etwas, das ich tun muss.

Aber du hast sicher auf einen gewissen Rummel gehofft, als du im August deinen Schulstreik vor dem schwedischen Parlament begonnen hast?

Nein. Ich hatte keinerlei Erwartungen.

Nun ist aber klar, dass du für viele ein Vorbild bist. Wie gehts nun weiter?

Es werden mehr und mehr Menschen aufwachen und erkennen, dass wir handeln müssen. Jetzt.

Ich meinte die Frage eher in Bezug auf dich.

Ich werde weitermachen wie bisher. Ich werde weiterhin jeden Freitag fürs Klima streiken, statt zur Schule zu gehen. Vor dem schwedischen Parlament – bis Schweden endlich das Pariser Klimaabkommen erfüllt. Oder ich streike auch an anderen Orten: Wie diesen Freitag am WEF.

Du planst im kalten Davos einen Sitzstreik?

Ja, man muss viele Schichten Kleider anziehen, dann geht das.

Greta trägt ein graues Shirt und passende Stoffhosen, die auch als Pyjama durchgehen würden. Hauptsache bequem – zu diesem Zeitpunkt sitzt Greta über 30 Stunden im Zug. Ihre Füsse stecken in warmen Stiefeln, die sie nun mit einer Hand öffnet. An den Füssen trägt sie schwarz-weiss gestreifte Zebrasocken. Die vegane Schweizer Schokolade, die wir ihr mitgebracht haben, nimmt sie mit einem freundlichen «Thank you» entgegen, rührt sie aber auf dem Weg nach Landquart nicht an.

Greta, ich weiss, dass du Fakten und Zahlen magst. Hier ist eine imposante Zahl: 22'000. So viele Schüler haben letzten Freitag allein in der Schweiz gestreikt.

Ja, ich weiss. Das hat mich gefreut.

Ist aus der einsamen Klimaaktivistin eine Revolutionsanführerin geworden?

Nein. Ich habe bloss den richtigen Zeitpunkt erwischt.

Welchen meinst du?

Wir leben in einer Zeit, in der mehr und mehr Menschen erwachen. Und merken, dass sich die Klimapolitik nicht ändert, wenn sie sich nicht wehren. Ich habe der jungen Generation einen Weg gezeigt, wie sie bewirken können, dass ihre Stimme gehört wird. Ihnen fehlt ja noch das Recht, abstimmen zu dürfen.

Also wird sich in ein paar Jahren die Situation ändern, wenn die Jugendlichen von heute an die Urne dürfen?

Ich fürchte nein. Denn es gibt ja nichts, wofür sie stimmen könnten.

Wie meinst du das?

Es werden ja keine konsequenten Gesetze zur Abstimmung vorgelegt, die den Klimawandel aufhalten könnten. Auch hier müssen wir Druck machen.

Hast du eine Botschaft an deine Schweizer Fans?

Ja. Wir dürfen jetzt nicht aufgeben. Wir haben jetzt ein erstes Zeichen gesetzt, nun müssen wir dranbleiben. Sonst entsteht der Eindruck, dass das ein einmaliges Aufbäumen war. Wir müssen aber klar zeigen: Das ist erst der Anfang!

Vater Svante steht die ganze Zeit über neben dem Viererabteil, in dem Greta und ich uns unterhalten. Er, der sich in der Vergangenheit gern in die Interviews seiner Tochter einmischte, hält sich nun bewusst zurück. Ab und zu blickt er stolz auf seine junge Tochter, die das Leben der ganzen Familie umgekrempelt hat. Die Thunbergs ernähren sich vegan (der Vater macht Ausnahmen, wenn er auf Reisen Geschenke bekommt, die Milchprodukte enthalten), fliegen nicht mehr und schränken auch sonst ihren Konsum drastisch ein.

«Sie hat damit angefangen», sagt er später auf der Fahrt und zeigt grinsend auf Greta. «Als meine Frau noch auf der ganzen Welt Opern sang, machte Greta ein gutes Jahr lang Druck, bis auch sie das Fliegen aufgab.» Nun trete die Mutter nur noch an Musicals in Stockholm auf.

Greta, andere Mädchen deines Alters haben Hobbys. Du verbringst deine Freizeit mit Sitzstreiks und Zugfahrten.

Ja, aber so habe ich Zeit zum Lesen.

Das macht dich glücklich?

Darum geht es nicht. Mein Einsatz ist nicht primär etwas, das ich tun will, sondern etwas, das ich tun muss.

Was würdest du denn gern tun, wenn du mehr Zeit hättest?

Früher habe ich gern geschauspielert, getanzt, gesungen und Pferde geritten.

Und jetzt legst du dich unter anderem mit der Schulleitung deiner Schule an.

Die dürfen ja nicht gutheissen, dass ich einen Tag in der Woche schwänze. Aber sie geben mir zu verstehen, dass sie zumindest vom Inhaltlichen her hinter mir stehen.

Sie können auch stolz sein: Nicht viele Schulen haben eine Schülerin, die ans WEF eingeladen wird.

Ja, ich bin ja vorerst nur im Arctic Basecamp. Aber ich werde versuchen, ein Zeichen zu setzen, das auch an anderen Stellen des WEF wahrgenommen wird.

Was möchtest du in Davos konkret erreichen?

Ich erwarte nichts und hoffe viel.

Wo seid ihr eigentlich untergebracht?

Wir schlafen im Zelt.

Im Zelt? Bei diesen Temperaturen? Macht man das so in Schweden?

Nein, aber wir haben ja warme Schlafsäcke dabei.

Auch diesen Satz formuliert Greta so frei von lesbarer Mimik, dass man nicht weiss, ob sie sich der Wirkung ihrer Aussage bewusst ist. Nur die Müdigkeit ist ihr jetzt anzumerken: Ihr Augen sind enger als sonst, die Körperhaltung weniger stramm als sonst bei ihren Auftritten. Doch das Gespräch, das merke ich, würde sie endlos weiterführen. Wenn sie in der Thematik steckt, dann reibt sie sich auf.

Also mache ich, was Journalisten sonst selten tun, und beende das Interview von meiner Seite aus, um meinen Platz Gretas Vater zu überlassen. Mit einem vollgekritzelten Notizblock setze mich in das Viererabteil daneben, um mit der Transkription zu beginnen.

Vater Svante springt immer wieder auf, um das Panorama zu bewundern, die Seen und die schneebedeckten Berge. «Magnifique,» schwärmt er auf Französisch. Greta jedoch würdigt die Aussicht nur mit einem kurzen Blick. Sie sitzt da, mit dem Rücken in Fahrtrichtung, um nicht von der Sonne geblendet zu werden, und bürstet in sich gekehrt ihre bis zum Nabel reichenden Haare.

Während sie die Zöpfe neu flicht, zieht die Schweizer Landschaft unbeachtet am Fenster vorbei. Greta will die Welt retten, aber nicht wegen der Schönheit der Natur, die viele Klimaaktivisten gern beschwören. Sondern weil alles andere für sie keinen Sinn ergibt: Sie will nicht kämpfen, sie muss.

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