So üben Klima-Aktivisten in Trainings den zivilen Ungehorsam

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Vorbereitung für ProtestwocheSo üben Klima-Aktivisten in Trainings den zivilen Ungehorsam

Derzeit finden in der ganzen Schweiz Aktionstrainings von Klima-Aktivisten statt. Die Teilnehmenden bereiten sich auf eine Protestwoche vor, die vom 20. bis 25. September in Bern stattfindet.

Obwohl letztes Jahr bei über 170 Klimastreiks Zehntausende auf der Strasse protestierten, hat der Nationalrat im Juni ihrer Meinung nach ein «katastrophales» CO₂-Gesetz verabschiedet.
Und dass der im August vorgestellte Klimaplan der Grünen Partei vorsieht, dass die Schweiz erst ab 2040 – und nicht wie vor den Wahlen proklamiert ab 2030 – netto null Treibhausgase ausstossen soll, grenzt für die Aktivisten an Verrat.
Innerhalb der Klimastreik-Bewegung sei daher die Überzeugung gewachsen, dass es mehr brauche als «bloss» Demos, sagt Nino (16). Gemeinsam mit Klara (17) geben die Gymi-Schüler in Zürich sogenannte «Aktionstrainings».  Das Ziel: Die Teilnehmer auf Handlungen gewaltfreien zivilen Ungehorsams vorzubereiten. Also unbewilligte Aktionen, die auch die rechtliche Grenze der Legalität überschreiten.
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Obwohl letztes Jahr bei über 170 Klimastreiks Zehntausende auf der Strasse protestierten, hat der Nationalrat im Juni ihrer Meinung nach ein «katastrophales» CO₂-Gesetz verabschiedet.

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Darum gehts

  • Seit Anfang August finden in der ganzen Schweiz sogenannte Aktionstrainings statt.
  • Teilnehmende erhalten einen Crash-Kurs in zivilem Ungehorsam.
  • Ziel der Aktivisten ist die Vorbereitung auf die Protestwoche vom 20. bis 25. September in Bern.
  • FDP-Ständerat Thierry Burkart und der Polizeiverband mahnen die Klimastreikenden, sich an das Gesetz zu halten.
  • Grünen-Präsident Balthasar Glättli ist anderer Meinung: «Gewaltfreie Aktionen zivilen Ungehorsams sind in einem Rechtsstaat legitim, um auf offensichtliche Misstände aufmerksam zu machen.»
  • Aktivisten, die die Grenze der Legalität überschreiten, müssen mit einer Anzeige rechnen, kündigt die Kantonspolizei Bern an.

Die Klimastreik-Aktivisten sind sauer: Obwohl letztes Jahr bei über 170 Klimastreiks Zehntausende auf der Strasse protestierten, hat der Nationalrat im Juni ihrer Meinung nach ein «katastrophales» CO₂-Gesetz verabschiedet. Und dass der im August vorgestellte Klimaplan der Grünen Partei vorsieht, dass die Schweiz erst ab 2040 – und nicht wie vor den Wahlen proklamiert ab 2030 – netto null Treibhausgase ausstossen soll, grenzt für die Aktivisten an Verrat. Ihr Fazit ist drastisch: «Wir wurden im Stich gelassen. In der Politik wurden wir von rechts beschimpft und belächelt, von den linken Parteien benutzt und belogen.»

Innerhalb der Klimastreik-Bewegung sei daher die Überzeugung gewachsen, dass es mehr brauche als «bloss» Demos, sagt Nino (16). Gemeinsam mit Klara (17) geben die Gymi-Schüler in Zürich sogenannte «Aktionstrainings». Das Ziel: Die Teilnehmer auf Handlungen gewaltfreien zivilen Ungehorsams vorzubereiten. Also unbewilligte Aktionen, die auch die rechtliche Grenze der Legalität überschreiten: Sitzstreiks, Blockierung von Brücken und Strassen oder Aufhängen von Plakaten.

Plan der Klimastreikenden noch geheim

Am 4. September finden erneut schweizweite Klimastreiks statt, vom 20. bis 25. September eine Protestwoche in Bern – gemeinsam mit den Organisationen Extinction Rebellion, Collective Climate Justice und Collectif Breakfree. Was genau geplant ist, ist noch geheim. «Es ist aber eine Massenveranstaltung – unter Einhaltung der Corona-Regeln», bestätigt Klara. Die Aktionstrainings sollen die Teilnehmenden darauf vorbereiten.

Denkbar ist, dass in Bern verkehrstechnisch neuralgische Punkte lahmgelegt werden – analog den Sitzstreiks in London, wo Klimaschützer um die Gruppe Extinction Rebellion im April 2019 Teile des Verkehrs zum Stillstand brachten. Oder wie im Juni 2020, als Aktivisten die Quaibrücke in Zürich blockierten und so den Verkehr zwischen Bürkliplatz und Bellevue lahmlegten.

«Verweigert gegenüber der Polizei die Aussage»

Die Trainings finden seit Anfang August in der ganzen Schweiz statt. Im Freien, in Quartierzentren, Kirchgemeindehäusern – oder wie an diesem Montagabend im fünften Stock eines schmucklosen Gebäudes mitten in Zürich. Die heutigen Teilnehmenden heissen Olivia, Fiona oder Lazar, sind 15 bis 19 Jahre alt. «Altersmässig haben wir aber die ganze Bandbreite – vom Schüler bis zum Pensionierten», sagt Organisator Nino. Die Masken sind bereitgestellt, die Megaphone säuberlich nebeneinander aufgereiht.

Die Teilnehmenden werden in einer Lektion über die Geschichte des zivilen Ungehorsams informiert, über ihre Rechte aufgeklärt und informiert, was bei einer illegalen Aktion passieren könnte. Verhaftung, Verhör, Eintrag ins Strafregister. Ihnen wird eingebläut: «Nehmt eine ID mit, wenn ihr euch nicht ausweist, kann euch die Polizei in Untersuchungshaft stecken.» Und: «Verweigert gegenüber der Polizei immer die Aussage, das schadet nur.» Zum Programm gehört auch ein physisches Blockadetraining, bei dem den Teilnehmenden beigebracht wird, wie ein Sitzstreik funktioniert und welche Techniken es gibt, um das Wegtragen durch Polizisten möglichst zu erschweren.

Zum Schluss wird den Teilnehmern eine Packliste vorgegeben: Feste Schuhe, Wasser, Kleider, die dreckig werden dürfen. Und keine Kontaktlinsen – im Fall von Tränengas. «Obwohl das nicht vorkommen sollte», betonen Klara und Nino. Oberstes Gebot sei es, die Protestaktionen friedlich durchzuführen. Das heisst: «Keine Gewalt gegen andere Demo-Teilnehmer, Polizeibeamte oder Unbeteiligte – auch keine Beleidigungen.»

Polizeiverband: Keine Garantie für gewaltfreie Demo

Dass die Aktivisten gewaltfreie Demonstrationen tatsächlich garantieren können, wird vom Verband Schweizerischer Polizei-Beamter (VSPB) jedoch angezweifelt. «Bereits bei Kundgebungen anderer Organisatoren hat man gesehen, dass sich andere Gruppierungen dazu gesellt haben und die Demonstration dadurch nicht mehr gewaltfrei verlief», sagt Generalsekretär Max Hofmann.

Dass Teilnehmer der Trainings ausgebildet werden, das Gesetz zu umgehen, sei heikel. «Jemand muss zwingend die Klimajugend besser aufklären», sagt Hofmann. «Nicht nur über die Illegalität ihrer geplanten Aktionen, sondern auch über die Folgen einer eventuellen Verhaftung auf das Privat- oder Berufsleben.» Die Justiz mache für die Klimastreikenden keine Ausnahmen. «Die Regeln sind für alle gleich.»

«Rechtsstaat darf illegale Aktionen nicht tolerieren»

Auch FDP-Ständerat Thierry Burkart warnt die Aktivisten, das Gesetz zu brechen: «Auch die Klimastreiker müssen sich bei einer Demonstration zwingend an den rechtlichen Rahmen halten.» Illegale Aktionen durchzuführen, sei inakzeptabel, sich an die gesundheitspolizeilichen Vorgaben im Zusammenhang mit Corona zu halten, eine Pflicht. «Ich gehe davon aus, dass die Polizei einschreitet, wenn es darum geht, illegale Aktionen zu verhindern oder aufzulösen», sagt Burkart. «In einem Rechtsstaat dürfen illegale Aktionen nicht toleriert werden.»

Balthasar Glättli, Parteichef der Grünen, betont seinerseits: «Gewaltfreie Aktionen zivilen Ungehorsams waren schon immer ein Mittel von Bürgerbewegungen, auch im Umweltbereich – und sind in einem Rechtsstaat noch immer legitim, um auf offensichtliche Misstände aufmerksam zu machen.»

Er selbst sei früher bei der Anti-AKW-Bewegung oder bei ‹Züri autofrei!› aktiv an ähnlichen Aktionen beteiligt gewesen, sagt Glättli. «Am 4. September werde ich auch friedlich mitmarschieren.» Beim gewaltfreien zivilen Ungehorsam liege die Stärke darin, dass die Teilnehmenden ihr Anliegen derart wichtig finden, dass sie es in Kauf nehmen, die Konsequenzen für ihr Handeln zu tragen. «Sprich: Sie riskieren bewusst, verhaftet zu werden, eine Anzeige zu kassieren und eine Busse zu bezahlen.»

Aktivisten müssen mit Anzeige rechnen

Dass die Klima-Aktivisten ein solches Risiko eingehen, bestätigt auch die Kantonspolizei Bern. Wo die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet sei, werde man handeln, sagt Sprecherin Jolanda Egger: «Personen, die strafbare Handlungen begehen, müssen mit einer Anzeige rechnen.» Die Polizei sei darüber informiert, dass vom 20. bis 25. September 2020 verschiedene Aktionen im Raum Plan geplant sind und dass jetzt im Vorfeld Aktionstrainings stattfinden. Dass Teilnehmende im Vorfeld von Kundgebungen über ihre Rechte oder ein bestimmtes Verhalten im Falle einer Anhaltung informiert werden, sei nichts Neues – und auch nicht strafbar. Konkrete Aussagen über allfällige Massnahmen könne sie aus taktischen Gründen jedoch nicht machen, sagt Egger.

Dem stimmt Jonas Weber, Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Bern, zu. «Allein darüber zu reden, wie man einen Platz oder eine Brücke besetzen kann oder wie man sich am besten gegen einen Abtransport durch Beamte wehrt, ist nicht strafbar.» Anders sähe es aus, wenn ein Richter die Trainings als Anstiftung zum Hausfriedensbruch werten würde. «Etwa, wenn jemand beim Besuch eines Trainings überzeugt wird, dass es richtig und wichtig ist, bei einer Aktion bestimmte Häuser zu besetzen. Oder wenn die Kursleiter im Hinblick auf eine anstehende Besetzungsaktion Tipps und Tricks geben, wie man am besten ein Türe aufbricht», sagt Weber.

Neues Klimastreik-Hauptquartier

Wie die reformierte Kirchgemeinde Zürich am Donnerstag mitteilte, gewährt sie der Klimabewegung in den nächsten Jahren ein Gastrecht. So wird die Kirche Wipkingen den Klimastreikenden zur Zwischennutzung zur Verfügung gestellt. «Die Kirche will damit jungen Menschen die Chance bieten, an einem Ort eigenverantwortlich an ihrer Zukunft und ihren Zielen zu arbeiten», heisst es in der Medienmitteilung. Die Eröffnungsfeier des Hauptquartiers ist am 11. September geplant.

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