Nahost-KonfliktSo wollen verfeindete Gruppen die Berichterstattung von 20 Minuten beeinflussen
Derselbe Artikel wird von Anhängern Israels als «antisemitisch» und von pro-palästinensischen Lesern als «zionistisch» kritisiert. Ein Experte über den Versuch, neutrale Berichterstattung zu verunmöglichen.
Darum gehts
In den letzten Tagen kam es im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern zur Eskalation.
Auch 20 Minuten berichtet über die gegenseitigen Raketenangriffe.
Sowohl pro-palästinensische als auch pro-israelische Leser werfen 20 Minuten einseitige Berichterstattung vor.
Ein Medienwissenschaftler erklärt, wie «Pressure Groups» mit Propaganda-Material und auf Social Media den Konflikt anheizen.
Der Konflikt zwischen Israel und der Hamas ist in den letzten Tagen eskaliert. Auf beiden Seiten starben nach Raketenangriffen Menschen, Medien weltweit berichten laufend, und in den sozialen Medien gehen entsprechende Hashtags viral. Auch 20 Minuten berichtet über die Eskalation – neutral, gestützt auf verlässliche Presseagenturen und ohne Position zu ergreifen.
Trotzdem werfen sowohl pro-palästinensische als auch pro-israelische Leser 20 Minuten vor, die Wahrheit zu verschweigen und einseitig zu berichten. «Für 20min & um die israelische zionistische Lobby in der Schweiz zu erfreuen, sind die Palästinenser kein Opfer», schreibt ein pro-palästinensicher Twitter-User.
Im selben Artikel sieht die andere Seite Antisemitismus: «Hamas feuerte Hunderte Raketen auf Israel ab, Palästinenser skandierten ‘Bomb Tel Aviv’, Hamas-Minister Fathi Hammad rief zum Judenmord auf und ihr betreibt Opfer-Täter-Umkehr. So fördert 20min Antisemitismus.» Sachliche, nüchterne Kommentare und Lob für die neutrale Berichterstattung bilden die Ausnahme (siehe Bildstrecke oben).
«Kriegsparteien funktionieren ähnlich wie Lobbys»
Sowohl Anhänger von Israel als auch des besetzten Gebiets Palästina (siehe unten) üben Druck auf die Medien aus. Diese «Pressure Groups» funktionieren ähnlich wie Lobbys und versuchen, die Öffentlichkeit auf ihre Seite zu ziehen. Medienwissenschaftler Matthias Zehnder sagt, über einen so hoch emotionalen Konflikt wie jenen zwischen Israel und dem besetzten Gebiet Palästina zu berichten, ohne auf jemanden parteiisch zu wirken, sei praktisch unmöglich: «Sobald man es den Anhängern der Palästinenser recht macht, erzürnt man damit die pro-israelische Seite.»
Das Problem beginne bereits im Konfliktgebiet selber: «Man muss sich bewusst sein, dass hinter vielen scheinbar neutralen Informationen aus dem Krisengebiet die zwei Kriegsparteien Israel und Palästina stehen», so Zehnder. «Wie in jedem Konflikt legen es die beiden Interessengruppen darauf an, die Berichterstattungen zu ihren Gunsten zu beeinflussen.»
«Man kann beiden Seiten nicht trauen»
Faktenchecks seien äusserst schwierig. «Die eigenen Opfer werden in den Vordergrund gestellt oder die Wirksamkeit der eigenen Waffen beim Feind überzeichnet. Wenn man Informationen von einer beteiligten Seite erhält, muss man davon ausgehen, dass es sich um Kriegspropaganda handelt. Blind trauen kann man also beiden Seiten nicht», sagt Zehnder.
Sowohl für die Hamas als auch für Israel sei es in diesem Konflikt sehr einfach, mehr Öl ins Feuer zu giessen. «Bei beiden Seiten schwingt die eigene Geschichte mit, jede Berichterstattung wird sofort hochemotional.» Den Konflikt als aussenstehender Beobachter neutral zu beurteilen, sei extrem schwierig.
«Viel vermurkste Geschichte dahinter»
«Palästina ist ursprünglich britisches Kolonialgebiet. Die Engländer haben den Juden Land auf Kosten der Palästinenser versprochen und danach Abmachungen nicht eingehalten. Es steckt also viel vermurkste Geschichte hinter diesem Konflikt, in den wir als Kolonial-Europa zudem immer irgendwie involviert sind.»
Die Schweizer Berichterstattung bemühe sich um Neutralität, so Zehnder. Trotzdem werde sie von den Lesern sehr kontrovers beurteilt. «Das liegt daran, dass beide Seiten schon über die Fakten streiten und deshalb völlig unterschiedliche Perspektiven haben», sagt der Medienwissenschaftler. «Eine fruchtbare Diskussion ist nur möglich, wenn man eine gemeinsame Faktenbasis hat – auch wenn die Meinungen darüber auseinandergehen.» Die Einflussnahme der Kriegsparteien habe im Nahost-Konflikt dazu geführt, dass Anhänger beider Parteien sich in ihre Filterblase zurückgezogen hätten. «Somit wird sämtliche Berichterstattung von beiden Parteien als einseitig verurteilt.»
Für die Medien heisse das: «Wenn einem von beiden Seiten Einseitigkeit vorgeworfen wird, liegt man mit der Berichterstattung wahrscheinlich etwa in der Mitte und hat vieles richtig gemacht.» Entscheidend sei, dass man beide Seiten zu Wort kommen lasse.
Besetztes Palästinensisches Gebiet
Obwohl Palästina international mehrheitlich als Staat anerkannt wird, ist seine Staatlichkeit in Bezug auf völkerrechtliche Fragen umstritten. So spricht die Schweiz offiziell von «Besetztem Palästinensischem Gebiet». Sie anerkennt Palästina nicht als Staat auf bilateraler Ebene, unterhält aber seit 1993 Beziehungen zur Palästinensischen Autonomiebehörde. Die Gründer beanspruchen das von Israel seit 1967 besetzte Westjordanland sowie den Gazastreifen. 138 Staaten anerkennen Palästina als Staat.
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