Hochdeutsch-Debatte«Sobald sie zu gut Hochdeutsch können, gefällt es dem Publikum nicht mehr»
Die SRF-Moderatorin Anna-Lisa Achtermann durfte nicht wie eine Deutsche klingen. Experten bestätigen: Ein zu geschliffenes Hochdeutsch wird von Schweizern oft abgelehnt.
«Ich finde es etwas cringe»: Das sagen Schweizerinnen und Schweizer zu akzentfreiem Hochdeutsch.
20min/thsDarum gehts
SRF-Newsmoderatorin Anna-Lisa Achtermann musste sich zuerst antrainieren schweizerisches Hochdeutsch zu sprechen.
Moderationslegende Beni Thurnheer kennt das Problem: Wenn jemand ein perfektes Hochdeutsch spreche, stosse das auf grosse Kritik.
Martin Ebel, langjähriger Literaturredaktor und Kritiker in der SRF-Literaturrunde, hat wenig Verständnis, wieso sich Moderierende auf nationalen Sendern sprachlich verbiegen müssen.
Sprachwissenschaftlerin Triantafyllia Konstantinidou fordert generell mehr sprachliche Toleranz.
Die SRF-Radiomoderatorin Anna-Lisa Achtermann (29) könnte eigentlich akzentfrei Hochdeutsch sprechen, denn bis zu ihrem zehnten Lebensjahr lebte sie in Deutschland. Doch wie sie kürzlich auf Tiktok verriet, sei das bei SRF nicht erwünscht. Sie musste sich «Schweizer Hochdeutsch» anlernen.
Einen Grund dafür liefert der ehemalige Sport- und «Benissimo»-Moderator Beni Thurnheer: «Schweizer Moderatorinnen und Moderatoren streben an, möglichst akzentfrei Hochdeutsch zu sprechen. Sobald sie es aber zu gut können, gefällt es dem Publikum nicht mehr.» Sie würden kritisiert und teils aufgefordert, ihre Sendung abzugeben, so Thurnheer.
Es herrsche seitens Schweizerinnen und Schweizern eine deutliche Ablehnung gegenüber Deutschen im Schweizer Radio und Fernsehen: «Wenn jemand akzentfrei Hochdeutsch spricht, glauben die Zuschauenden, die Moderatorin oder der Moderator käme aus Deutschland. Das will das Publikum nicht.» Das zeige sich besonders im Sport. «Für die Zuschauenden wäre es undenkbar, dass ihnen eine vermeintlich deutsche Person erklärt, wie toll die Schweizer Nati ist.»
Schweizer Prominente zeigen ihre Hochdeutschkenntnisse. Nur wenige bleiben akzentfrei.
20min/jdPublikum würde gerne «die Heimat» hören
Martin Ebel stammt ursprünglich aus Deutschland und ist als Kritiker in der SRF-Literaturrunde aktiv – wo er sein akzentfreies Deutsch spricht. «Auch die Moderatorin Nicola Steiner spricht ihr deutsches Hochdeutsch. Es leben und arbeiten so viele Deutsche in der Schweiz, ich finde nicht, dass sie sich sprachlich verbiegen müssen», so Ebel.
Die Ablehnung könne er sich jedoch erklären: «Spricht man deutsches Hochdeutsch, ist man als Deutscher oder Fremder erkennbar. Viele Schweizer wünschen sich jedoch im Fernseher oder im Radio das Schweizer Standarddeutsch», sagt Ebel. Sie hätten das Bedürfnis nach Nähe und würden «unter sich» sein wollen, da es in der Schweiz sonst schon sehr viele Expats aus etwa Deutschland oder den USA gebe, sagt der Literaturkritiker. Schweizerinnen und Schweizer würden eben gerne «die Heimat» hören. Ebel kenne das vom SRF-«Literaturclub»: «Es gibt manchmal Reklamationen darüber, dass es ‹zu viele Deutsche› in der Sendung gibt und dass sich Zuschauer nicht zu Hause fühlen.»
«Müssen lernen, sprachliche Vielfalt als selbstverständlich zu betrachten»
«Die Sprache ist stark mit unserer Identität verbunden. Eine gewisse Art zu sprechen löst bei Zuhörenden Emotionen wie etwa Vertrautheit aus – und kommt somit besser an als eine andere Varietät», sagt Liana Konstantinidou, Sprachwissenschaftlerin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW. Medienschaffende seien sich dessen wahrscheinlich bewusst. Deshalb versuchten sie, die Sprache zu verwenden, welche der Mehrheit ihres Publikums entspreche.
Dennoch: «Wir müssen lernen, sprachliche Vielfalt als etwas Selbstverständliches zu betrachten und sie sogar als Ressource zu nutzen», so die Sprachwissenschaftlerin. «Die Medien können dazu beitragen, indem sie die sprachliche Vielfalt der Gesellschaft auch in ihrem Kontext abbilden», sagt Konstantinidou.
SRF will kein «ausgesprochenes Norddeutsch»
Ein zu geschliffenes Hochdeutsch führe bei SRF gelegentlich zu Kritik aus dem Publikum. «Wir achten deshalb darauf, ein eher ‹neutrales› Hochdeutsch zu verwenden und nicht ein ausgesprochenes Norddeutsch», sagt Sprecherin Nadine Gliesche-Pollmann. Gleichzeitig wird von den Journalistinnen und Journalisten gemäss den publizistischen Leitlinien aber kein «Bühnendeutsch» verlangt. Die Aussprache dürfe eine leichte Dialekt-Färbung haben, zum Beispiel das rollende «R».
Für das SRF stehe stets im Vordergrund, dass die Form der Übermittlung nicht vom Inhalt ablenke. SRF-Radio- und Fernsehjournalistinnen und -journalisten müssten, wenn sie neu eintreten, in die Sprechausbildung. Auch später gebe es Auffrischungslektionen, in denen die eigene Arbeit sprachlich und sprecherisch kritisch begutachtet werde, so die Mediensprecherin.
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