«Stephan B. schimpfte während Tat über Juden»

Aktualisiert

Antisemitischer Angriff in Halle (D)«Stephan B. schimpfte während Tat über Juden»

Der Schütze von Halle, Stephan B., soll in seinem 35-minütigen Video mehrfach über «Juden» und «Kanaken», hergezogen haben.

von
vro
Stephan Balliet steigt aus dem Helikopter.
Er ist gerade in Karlsruhe angekommen.
Nun wird er zum Gericht gebracht.
1 / 37

Stephan Balliet steigt aus dem Helikopter.

epa/Ronald Wittek

In Deutschland hat ein schwer bewaffneter Täter am Mittwoch versucht, in einer Synagoge in Halle/Saale ein Blutbad unter rund 80 Gläubigen anzurichten. Der Täter wollte nach Angaben des Zentralrats der Juden mit Waffengewalt in die Synagoge eindringen.

Danach soll der Mann vor der Synagoge und in einem nahen Döner-Imbiss zwei Menschen erschossen haben. Er floh vom Tatort und wurde am Nachmittag festgenommen. Gemäss «Spiegel Online» handelt es sich beim Täter um den 27-jährigen Stephan B. Auf Social Media kursiert ein Video, das B. mit einer Helmkamera aufgenommen haben soll. Darin ist laut dem Onlineportal zu sehen, wie er eine Passantin beim Friedhof und dann einen Gast in einem Döner-Bistro in der Nähe der Synagoge erschiesst. Zuvor hatte er versucht, in das Gotteshaus einzudringen. Als dies nicht klappt, ruft er: «Scheisse, Mann!»

Rund 70 bis 80 Menschen sollen sich zur Tatzeit in der Synagoge befunden haben. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Halle, Max Privorozki, sagt gegenüber der «Stuttgarter Zeitung»: «Wir haben über die Kamera unserer Synagoge gesehen, dass ein schwer bewaffneter Täter mit Stahlhelm und Gewehr versucht hat, unsere Türen aufzuschiessen. Der Mann sah aus wie von einer Spezialeinheit. Aber unsere Türen haben gehalten.»

Stephan B. hätte dann versucht, das Tor des naheliegenden Friedhofs aufzuschiessen. Die Menschen seien sehr geschockt gewesen.

Ein Gläubiger, der während des Anschlags in der Synagoge war, beobachtete über die Überwachungskamera, was draussen geschah. «Wir beteten gerade. Plötzlich gab es einen Knall. Ich ging zum Gang und sah, dass Rauch ins Gebäude kommt. Wie nach einer Explosion», sagt er gegenüber der «Bild».

Der Grossteil der Gläubigen, darunter Senioren und Frauen, soll sich daraufhin in einem hinteren Raum der Synagoge versteckt haben. Der 31-Jährige soll mit fünf anderen Männern vorne geblieben sein: «Wir haben die Tür zum Gebetsraum mit Stühlen verbarrikadiert. Wir waren bereit, zu kämpfen», so der Mann.

Auf einem Bildschirm mussten sie mit ansehen, wie Stephan B. auf die Tür eintritt und schiesst. Sie alle hätten gedacht, dass er «in zwei, drei Minuten reinkommt und zu schiessen beginnt». Die Polizei sei längst informiert gewesen: «Wir fragten uns, wann endlich Hilfe kommt.»

Als seine Versuche, durch den Haupteingang ins Gebäude zu gelangen scheitern, lässt B. von der Tür ab, erschiesst eine Passantin und daraufhin den Gast im Döner-Bistro.

B. forderte in einer Werkstatt ein Auto

Nachdem er die beiden Opfer getötet hat, wird B. bei einem kurzen Schusswechsel mit der Polizei angeschossen, schreibt die «Bild». Dann fährt er nach Wiedersdorf in Landsberg. Dort verlangt er in einer Werkstatt ein Auto. Als die Mitarbeiter erklären, dass sie keines hätten, zeigt B. auf ein Taxi und sagt: «Da steht doch eines.»

Schliesslich kommt ein weiterer Mann hinzu und sagt zu B., er könne das Auto nicht haben. B. eröffnet daraufhin das Feuer, der Mann wird verletzt. Mit dem Taxi flüchtet B. anschliessend. Auf einer Landstrasse kollidiert er schliesslich mit einem LKW. Kurz darauf wird B. festgenommen.

Stephan B. schimpfte über Juden

B. soll in seinem 35-minütigen Video mehrfach über «Juden» und «Kanaken», hergezogen haben. Der Täter erklärt darin mit Akzent auf Englisch, dass es den Holocaust nie gegeben habe und Juden an allem schuld seien, etwa Feminismus, Klimawandel und Massenmigration.

B. war laut «Spiegel Online» zuvor nicht polizeibekannt. Er stammt aus Sachsen-Anhalt. Laut der Nachrichtenagentur dpa lebt er in Halle, wie ein Nachbar seines Vaters erklärt. Vor rund 10 Jahren sei er bei seinem Vater in Helbra, westlich von Halle, ausgezogen. Die Mutter lebe in Brenndorf, das neben Helbra liegt. B. soll ausserdem eine ältere Schwester haben. Er sei ein ruhiger Mensch und sei viel zu Hause gewesen, sagt der Nachbar des Vaters.

Internetdienste wollen Video stoppen

Grosse Unternehmen haben nur Stunden nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle das Live-Video der Tat von ihren Plattformen gelöscht. «Wir stehen in engem Kontakt miteinander und bleiben entschlossen, die Online-Verbreitung von gewalttätigen und extremistischen Inhalten zu stören», erklärte die Gruppe «Global Internet Forum to Counter Terrorism» in den USA am Mittwoch. Zu den Mitgliedern gehören Facebook, Google, Microsoft und Twitter. Um die Videos automatisch zu entfernen, wird die sogenannte «Hashing»-Technologie angewendet. Diese wurde nach dem Anschlag in Christchurch in Neuseeland im März diesen Jahres entwickelt.

Der Attentäter von Halle hatte sein Live-Video von der Tat in Echtzeit im Internet verbreitet. Er nutzte dafür die Streaming-Plattform Twitch, die zu Amazon gehört. Twitch ist eine Abspielstätte für die Übertragung von Videospielen. Dabei werden die Spiele, oft Ego-Shooter, von anderen Spielern betrachtet und verfolgt. Das Video von Halle ist zum Teil ebenfalls wie ein Ego-Shooter gefilmt. Es ähnelt dem Filmmaterial aus Christchurch, in dem der Schütze mit einer Helmkamera aus der Ich-Perspektive die Tötung von 51 Menschen in zwei Moscheen filmte und live im Internet übertrug. Wie bei Christchurch verbreiteten sich Kopien und Teile der Aufnahmen aus Deutschland schnell im Internet - sowohl durch Anhänger der antisemitischen Ideologie des Attentäters als auch durch Menschen, die die Tat verurteilen.

Auf seinem offiziellen Twitter-Account gab Twitch bekannt, dass das Video von 5 Personen live gesehen wurden und es nach der Tat noch von 2200 Nutzern abgerufen wurde. Nach 30 Minuten habe das Unternehmen das Video von der Internetplattform gelöscht.

Deine Meinung zählt