«Storytime»Justiz sucht Cadi (26) – auf Tiktok erzählt er von seiner Flucht
Der Tiktoker Cadi lebt seit Ende 2022 auf der Flucht vor der Schweizer Justiz. Auf Tiktok teilt er seine Geschichte.
Darum gehts
Cadi ist seit Ende 2022 auf der Flucht vor der Schweizer Justiz und teilt seine Geschichte auf Tiktok.
Er wurde wegen schwerer Straftaten verurteilt, bestreitet aber die jüngsten Anschuldigungen und will sich bis 2035 verstecken.
Er verdient sein Geld auf Tiktok und führt ein zurückgezogenes Leben auf der Flucht.
Cadi (26) ist auf der Flucht. Wo er sich während des Telefonats mit 20 Minuten gerade aufhält, möchte er nicht sagen. Auf Tiktok spricht Cadi, wie er genannt werden möchte, in dem Format «Storytime» über sein Leben. So postete er ein Tiktok mit dem Titel: «Die schlimmsten Dinge auf der Flucht» – und zählt auf: «Schlafen, Winter, Sirenen, kein fester Wohnsitz, das Geld geht wie Wasser, kein Vertrauen.»
Heim, Kriminalität, Gefängnis – und Flucht
Der heute 26-Jährige wuchs in der Schweiz auf und lebte mit seiner Mutter in der Nähe von Zürich. «Sie war krank – psychisch und physisch», erzählt er. Schon als Jugendlicher begann Cadi, «Scheiss zu machen», wie er es nennt. Drogen. Er habe vermehrt die Schule geschwänzt, der Mutter sei es immer schwerer gefallen, sich um ihn zu kümmern – die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Kesb habe sich der Familie angenommen. Danach sei Cadi bei verschiedenen Pflegefamilien untergekommen. Schlussendlich ins Jugendheim. «Diese Zeit hat mich traumatisiert», sagt er heute. Mit den Psychologen und Sozialarbeitern sei er immer wieder aneinandergeraten.
«Mehrfach bewaffneter Raub, schwerer Betrug, Hehlerei und Körperverletzung – ich habe vieles gemacht.»
Es dauerte nicht lange, bis er in die Kriminalität abrutschte: «Mehrfach bewaffneter Raub, schwerer Betrug, Hehlerei und Körperverletzung – ich habe vieles gemacht.» Cadi erzählt, er habe Menschen psychisch schwer verletzt: «Wir haben sie entführt und ausgeraubt – es handelte sich dabei ausschliesslich um Dealer. Wir handelten auch nicht ohne Grund.» Die Dealer hätten Schulden bei ihm gehabt. Cadi habe schlussendlich fünf Jahre im Gefängnis verbracht. 2018 bis 2022.
Kurz nach seiner Freilassung sei er erneut angeklagt worden wegen eines Delikts aus dem Jahr 2020, welches er nicht begangen habe. Die Staatsanwaltschaft habe erneut sechs Jahre Haft verlangt. «Ich wusste, wenn ich jetzt nochmals ins Gefängnis muss, werden sie aus mir einen 59er machen.» Art. 59 des schweizerischen Strafgesetzbuches bedeutet stationäre Massnahmen zur Behandlung von psychischen Störungen. Cadi glaubt, man wolle ihm etwas anhängen. Zu oft habe ihn «das System verarscht» und Menschen hintergangen. Das Vertrauen in die Justiz habe er schon in jungen Jahren verloren.
Erneut im Gefängnis – diesmal in Paris
Seither lebt Cadi im Ausland auf der Flucht, wie er sagt. Er habe sich intensiv über die Rechtslage informiert. «Zurzeit bin ich sicher», sagt er. Scheinbar war das nicht immer so: Die letzten Wochen habe er in einem Gefängnis in der Nähe von Paris verbracht. Weshalb, möchte er nicht genau sagen. Nur so viel: «Ein Wohnungsvermieter hat mich betrogen.» Die Polizei sei maskiert und mit Pumpguns in der Hand in seine Wohnung gestürmt. «Etwa drei Monate war ich im Gefängnis – genau weiss ich es nicht, ich hatte dort kein Zeitgefühl.» Nun sei er aber wieder auf freiem Fuss. Ein Auslieferungsantrag der Schweiz sei von den französischen Behörden abgelehnt worden. Zurzeit sei er in einem anderen Land.
«Es ist ein einsames und schwieriges Leben, aber ich bin gerne alleine.»
Unter einem anderen Namen habe er nun eine Wohnung gemietet. «Mein Geld verdiene ich mit Tiktok: 4000 Franken in einem guten Monat, 2000 in einem schlechten.» Er versuche, ein möglichst normales Leben zu führen. «Aufstehen, essen, Gym und Tiktok.» Manchmal telefoniere er mit seinen Grosseltern, die in Kanada leben.
«Es ist ein einsames und schwieriges Leben, aber ich bin gerne alleine.» Freunde habe er keine, die brauche er auch nicht. Der 26-Jährige ist Vater eines Kindes, zur Mutter habe er kaum noch Kontakt.
Cadi will bis 2035 auf der Flucht ausharren
Doch nebst dem realen Leben finden Konflikte auch auf Social Media statt: Über Wochen stritten sich Cadi und Brian, der bekannteste Häftling der Schweiz, in Tiktok-Livestreams. In einzelnen Videos beleidigten und bedrohten sich die beiden. «Brian und ich kennen uns schon lange – aus dem Gefängnis und aus der Zeit bei einer Pflegefamilie.» Angefangen habe es wegen eines «Beefs», den Cadi mit einem anderen Tiktoker hatte. «Brian hat sich eingemischt, obwohl er nichts damit zu tun hatte, und das hat nur für noch mehr Stress gesorgt.» Konkret habe Brian auf der Plattform öffentlich seine Familie beleidigt. «Natürlich muss ich meine Familie verteidigen», sagt Cadi.
«Jedes Geräusch im Gang sorgt dafür, dass Paranoia aufkommt.»
Bis im Jahr 2035 werde er seine Flucht weiterführen – dann sei seine Anklage verjährt. Bis dahin werde er versuchen, sich ruhig zu verhalten und nicht aufzufallen. «Ich wünsche mir, dass das alles vorbei ist – ohne Stress, ohne die ständige Angst, dass ich verhaftet werde. Obwohl ich weit weg bin, sorgt jedes Geräusch im Gang dafür, dass Paranoia aufkommt. Wo ist die Polizei? Werden sie gleich hereinstürmen?»
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