BefreiungsaktionStreit unter Bundesräten spitzt sich zu
Die Anfeindungen unter den Bundesräten wegen der Planung einer Befreiungsaktion in Libyen schwelen weiter. FDP-Politiker fordert den Rücktritt Calmy-Reys.

Hat Calmy-Rey Merz während seines Libyen-Besuchs einem Risiko ausgesetzt oder hat ihr Departement nur alle Optionen geprüft? (Archivbild vom März 2010)
Sollte sich der Vorwurf von Finanzminister Hans-Rudolf Merz an Aussenministerin Micheline Calmy-Rey erhärten, müsse diese «als Bundesrätin zurücktreten». Das sagt FDP-Nationalrat Walter Müller gegenüber der «SonntagsZeitung».
Merz hatte seiner Kollegin an der Bundesratssitzung vom Freitag vorgeworfen, sie habe Befreiungsaktionen für die Geiseln in Libyen geplant, ohne ihn vor seiner Tripolis-Reise darüber zu informieren. Bundespräsidentin Doris Leuthard soll sich am Freitag auf die Seite von Merz geschlagen und Calmy-Rey eigenmächtiges Vorgehen vorgeworfen haben.
Merz einem Risiko ausgesetzt
FDP-Nationalrätin Marianne Kleiner spricht von einer «Staatsaffäre», wenn sich die Sache erhärten sollte. Stimmten die Vorwürfe, dann habe Calmy-Rey Merz in Tripolis einem massiven Sicherheitsrisiko ausgesetzt, sagt ihr Parteikollege Walter Müller.
Und Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf sorgt sich um den Ruf des Bundesrats. Bundesrat und GPK müssten nun «sehr schnell» die Fakten auf den Tisch legen, sagte sie gegenüber Radio DRS.
Calmy-Rey «gelassen»
Calmy-Rey weist in der «SonntagsZeitung» die Vorwürfe zurück und sagt, sie sehe der Untersuchung durch die Geschäftsprüfungskommission (GPK) «mit Gelassenheit» entgegen.
Auch im Interview mit dem «Sonntag» versucht die Aussenministerin die Angriffe ihres Bundesratskollegen Hans-Rudolf Merz zu kontern: «Die Zusammenarbeit in Merz' Präsidialjahr war intensiv, das EDA hat das Finanzdepartement nach Kräften unterstützt», sagte sie. «Rücktrittsforderungen sind derzeit Mode», meinte Calmy-Rey gegenüber der Zeitung in Anspielung auf entsprechende Forderungen.
«Alle Optionen geprüft»
Im Interview mit den Zeitungen «Tages-Anzeiger» und «Bund» hatte Calmy-Rey erklärt, dass alle Optionen sorgfältig geprüft worden seien. «Wir sprechen hier über eine einzigartige Krise. Dazu gehört auch das Nachdenken über unkonventionelle Möglichkeiten. Wir müssen immer sämtliche Optionen prüfen.» «Wenn wir das nicht tun, würde man uns das vorwerfen», gab die Aussenministerin weiter zu bedenken.
In den Medien wird seit Freitag über einen militärischen Einsatz zur Befreiung der beiden Schweizer Geiseln spekuliert. Dabei wurde über diverse Szenarien berichtet. Eine Bestätigung, dass eine solche Aktion auch konkret hätte umgesetzt werden sollen, gab es nicht.
Ghadhafi-Regime sieht bereits wieder rot
Kaum ist der Aktionsplan Schweiz-Libyen unterzeichnet, verschärft sich der Ton
zwischen den Ländern wieder, berichtet die «NZZ am Sonntag». Die Schweiz prüfe, wegen möglicher Menschenrechtsverletzungen gegen Libyen vorzugehen. - Diese Aussage von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey gegenüber 20 Minuten Online hat in Libyen zu heftigen Reaktionen geführt.
Gegenüber der als seriös geltenden saudischen Zeitung Ash-Sharq al-Awsat sagte ein hochrangiger libyscher Regierungsvertreter, die Schweiz habe gar nicht das Recht, gegen Libyen zu klagen. Mit ihren Äusserungen bringe die Bundesrätin die beiden Länder wieder «an den Rand einer Krise».
Die Schweiz und Libyen versuchen derzeit, die Beziehungen wieder zu normalisieren. Dafür wird ein Schiedsgericht eingesetzt. Das Schiedsgericht soll die Bedingungen der Verhaftung von Hannibal Gaddafi, Sohn des libyschen Staatsführers Muammar Gaddafi, im Juli 2008 in Genf untersuchen.
Bei den Verhandlungen müssen sich die Schweiz und Libyen zudem in der Frage einer allfälligen Entschädigung für die Libyer einig werden. Diese würde fällig, falls die Schweiz die Person nicht findet, die der Westschweizer Zeitung «Tribune de Genève» verbotenerweise Polizeifotos von Hannibal Gaddafi hat zukommen lassen.
Weiter steht die Frage im Raum, warum Schweizer Bürger auch nach Unterzeichnung des Aktionsplans immer noch nicht nach Libyen einreisen dürfen.