Umstrittene MotionSVP-ler will öffentlich nach Chaoten fahnden
Der Berner Stadtrat Henri Beuchat (SVP) fordert mehr und schnellere Öffentlichkeitsfahndungen. Eine linke Politikerin und der Datenschützer sehen das kritisch.
«Hooligans, Halunken, sonstige Gewalttäter und Schweineigel vermiesen Familien und allen anderen den Aufenthalt in der Stadt Bern. Gut, sind diese nun am Internetpranger. Bravo!»: Stadtrat Henri Beuchat (SVP) bringt auf Twitter unmissverständlich seine Sympathie für die intensivierte Öffentlichkeitsfahndung zur Meisterfeier 2018 zum Ausdruck. Die Berner Kapo veröffentlichte am Mittwoch die unverpixelten Gesichter von acht YB-Anhängern, die im Verdacht stehen, Pyros in unmittelbarer Nähe von Personen gezündet zu haben. Während der Feier im Stade de Suisse war eine Frau durch einen Feuerwerkskörper schwer am Auge verletzt worden.
«Mehr und schneller öffentlich fahnden»
Beuchat möchte künftig vermehrt auf Fahndungen im Internet setzen. Öffentliche Aufmerksamkeit trage oft zur Verhaftung von Tätern bei, argumentiert er in einer Motion, die er nächste Woche im Parlament einreichen will: «Wenn jeder Bürger das Gesicht eines Verbrechers kennt, wird es eng für den Täter. Und selbst wenn der Hinweis nicht erfolgt, manövriert sich der Gesuchte vielleicht selbst ins Netz der Fahnder, weil er nervös wird.»
Der SVP-Mann fordert daher, die Öffentlichkeitsfahndung «in allen Bereichen der Gewalt» zu intensivieren. Die Berner Strafverfolgungsbehörden seien zu zögerlich, was die Fahndung nach Kriminellen per Internet angehe. «Sie müssen mehr und schneller zu diesem effizienten Instrument greifen», sagt er zu 20 Minuten. Dem Politiker geht es bei seinem Vorstoss insbesondere um die Ausschreitungen rund um die Reitschule. Ob dabei Personen zu Schaden kommen, ist für Beuchat nicht entscheidend. Er verweist auf die Ereignisse vom letzten Wochenende, als Polizisten erfolglos einen Sprayer verfolgten. «Auch bei solchen Typen wäre eine Öffentlichkeitsfahndung angebracht», sagt er.
«Rückschritt ins Mittelalter»
Beuchats Vorstoss kann SP-Stadträtin Katharina Altas nichts abgewinnen. Sie spricht sich grundsätzlich gegen die Fahndung über das Web aus. «Der Internetpranger ist ein Rückschritt ins Mittelalter», sagt Altas. Mit Persönlichkeitsschutz und Unschuldsvermutung sei ein solches Vorgehen nur schwer vereinbar. «Indem man eine Person öffentlich an den Pranger stellt, bezichtigt man sie eines Delikts, das sie womöglich gar nicht begangen hat. So wird sie von vorn herein schuldig gesprochen, obschon noch gar keine Verurteilung durch ein Gericht erfolgt ist.»
Weiter führt Altas ins Feld, dass Foto- und Videoaufnahmen, die den Öffentlichkeitsfahndungen zugrunde liegen, manipuliert werden könnten und je nach gezeigtem Ausschnitt unterschiedliche Schlüsse zuliessen. «Bilder können lügen», so die linke Politikerin. Umso wichtiger sei daher, dass die Polizei Gesichter von Personen – wenn überhaupt – erst veröffentliche, wenn sich der Verdacht auf eine Straftat erhärtet habe.
Die Idee, öffentlich per Internetpranger nach Sprayern zu fahnden, hält Altas zudem für unverhältnismässig: «Klar handelt es sich bei Sprayereien um ein Delikt, aber die Polizei hat sicher Dringenderes zu tun.»
«Erheblicher Eingriff in Grundrechte»
Auch Ueli Buri, Datenschutzbeauftragter des Kantons Bern, äussert sich kritisch zur Öffentlichkeitsfahndung. Bereits die Publikation verpixelter Fahndungsfotos und erst recht die unverpixelter Bilder sei ein «erheblicher Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Person», die dadurch mit dem Verdacht einer Straftat in Verbindung gebracht werde. Der Eingriff müsse selbst bei gegebener gesetzlicher Grundlage stets durch ein «überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt und verhältnismässig» sein.
Bei der Publikation von Fotos im Internet komme hinzu, dass diese weltweit – auch in Staaten ohne genügenden Persönlichkeitsschutz – und vermutlich für immer zugänglich seien, was den Eingriff weiter verschärfe. Laut Buri braucht es deshalb hohe Anforderungen an eine Veröffentlichung: «Es muss sich um ein gravierendes Delikt handeln, an dessen Aufklärung ein grosses öffentliches Interesse besteht, es muss ein dringender Tatverdacht bestehen und alle anderen Massnahmen zur Ermittlung der Täterschaft müssen ausgeschöpft sein.»