Sprachregeln«Swiss Re zeigt allen, dass wir auch dazugehören»
Angestellte der Swiss Re sollen Wörter wie «Mann» oder «Frau» vermeiden, um niemanden auszuschliessen. Dafür erntet Swiss Re Lob – und Kritik.
Die Begriffe «Heirat», «Frau», «Mann», «Bruder» und «Schwester» sind für die Angestellten der Swiss Re ab jetzt tabu: Der Verhaltenskodex des Rückversicherers appelliert an die rund 10'000 Mitarbeitenden weltweit, keine «diskriminierenden» oder «ausschliessenden» Wörter zu verwenden (20 Minuten berichtete). Mit dem gendergerechten Sprachgebrauch will Swiss Re «die besten Talente anziehen und halten, unabhängig von sexueller Orientierung, Gender-Identität, Gender-Ausdruck oder anderen Aspekten von Diversität».
Praktische Übungsbeispiele liefert der Versicherungsmulti gleich dazu. Etwa werden ab jetzt zu einem Swiss-Re-Event nicht mehr «alle Frauen und Männer» eingeladen, sondern «alle Geschlechter». Als Begleitung soll nicht mehr «der Ehemann» oder «die Ehefrau» eingeladen werden, sondern nur noch der (Ehe-)Partner oder die (Ehe-)Partnerin (Originaltext: «You may bring your spouse/partner along!)».
Ein Swiss Re-Sprecher betont aber, dass es beim internen Dokument nicht um ein Verbot von Begriffen geht. Bei Verstössen werde niemand abgestraft. Daher könne man nicht von einem Index sprechen, sondern von einer Sprachempfehlung für die interne schriftliche Kommunikation, so der Sprecher. «Wir wollen unsere Mitarbeiter sensibilisieren.»
Sprachliche Ignoranz
Stefanie Hetjens von Transgender Network Switzerland zeigt sich zufrieden. Der Leitfaden der Swiss Re, über den «Inside Paradeplatz» berichtete, sei ein Schritt in die richtige Richtung: «Die Komplexität der Belegschaft nicht anzuerkennen und zu nutzen, wäre ein gravierender strategischer Fehler.» Sie betont, dass es bei der Sprachregelung nicht um individuelle Befindlichkeiten geht, sondern um konsequentes Handeln.
«Wer Frauen nicht nennt und anspricht, fördert sie nicht. Wer nonbinäre Personen (Menschen, die sich nicht als Mann oder Frau sehen, Anm. der Redaktion) nicht erwähnt, kennt deren Bedürfnisse nicht und kann daher nicht in ihrem Interesse handeln.» Dasselbe gelte für Menschen mit Behinderungen, sagt Hetjens. «Was nicht sprachlich fassbar wird, wird meistens ignoriert.»
Diskriminierung im Alltag
Anna Rosenwasser, Geschäftsleiterin der Lesbenorganisation LOS, ist erfreut: «Swiss Re zeigt allen, dass wir auch dazugehören.» Die Message von Swiss Re bilde einen Gegenpol zu den subtilen Diskriminierungen im Alltag – etwa durch eine Sprache, die nicht alle Personen berücksichtige.
Auch das Model Tamy Glauser jubelt: «Ich finde das ziemlich geil. Es erleichtert Leuten wie mir das Leben.» Das Geschlecht soll schliesslich keine Rolle spielen – sei es in der Arbeitswelt oder im normalen Leben, sagt Glauser. Der Leitfaden könne helfen, Menschen für die Thematik zu sensibilisieren. «Manchmal merkt man gar nicht, dass man Vorurteile hat. Die Sprache macht da schon etwas aus.»
Nur Symbolpolitik?
Ob die Sprachregelung zu einer grundsätzlichen Kulturveränderung innerhalb des Unternehmens führt, bezweifelt der Headhunter Frank Zwicky: «Anstatt sich individuell für jene Personen innerhalb des Unternehmens zu interessieren, die das Thema tatsächlich betrifft, bestimmt das Management von oben, was man als Mitarbeiter zu tun und zu lassen hat.»
Der «Profilierungsversuch» der Geschäftsleitung habe kurzfristig zwar den Vorteil, dass das Unternehmen als innovativ und fortschrittlich wahrgenommen wird. Das Vorgehen könne aber als Rohrkrepierer enden: «Angestellte, die die neuen Regeln nicht unbedingt toll finden, werden sich wohl davor hüten, dies dem Management mitzuteilen. Einer offenen Gesprächskultur wird so der Garaus gemacht.»
«Frau» als positiver Begriff
Welche Konsequenzen die Anpassung des Verhaltenskodexes auf das tägliche Leben im Büro haben wird, kann nur schwer abgeschätzt werden, sagt Brigitte Liebig, Professorin für Angewandte Psychologie an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Für sie schiesst Swiss Re mit ihrem Vorhaben übers Ziel hinaus: «Die Vermeidung der Begriffe könnte sowohl in der verbalen als auch in der schriftlichen Kommunikation zu Schwierigkeiten führen.» Bestimmte Begriffe seien schliesslich zutiefst Bestandteil unseres Zusammenlebens, wie etwa «Mann» oder «Frau».
Die Begriffe selbst seien nicht Teil des Problems, sondern die damit verknüpften gesellschaftlichen Vorstellungen von Ungleichwertigkeit zwischen Mann und Frau. Die genderneutrale Sprache rüttle an diesen Vorstellungen, sagt Liebig. «Werden diese Begriffe aber aus unserer Sprache verbannt, werden auch zentrale positive Aspekte der Realität ausgeblendet, also etwa die Tatsache, dass ich eine Frau bin.»