«Teamgeist war unser grosses Manko»

Aktualisiert

«Teamgeist war unser grosses Manko»

Eklat in der Schweizer Fussball-Nati. Köbi Kuhn verzichtet ab sofort auf seinen Captain Johann Vogel. Kuhn will nach eigenen Aussagen mit der spektakulären Massnahme den Teamgeist stärken, der in den letzten Monaten nach der WM in Deutschland gelitten hatte.

Der Schweizer Nationalcoach hat den 94-fachen Internationalen von Betis Sevilla für die beiden Testländerspiele im März gegen Jamaika und Kolumbien in den USA nicht aufgeboten. Kuhn begründete die Ausbootung Vogels damit, «dass die Chemie - nicht nur ausserhalb des Spielfeldes - sondern auch auf dem Platz seit längerem nicht mehr stimmt.» Kuhn: «Ich musste jetzt einen Schnitt machen, denn die Einheit war nicht mehr da. Und nur mit einer starken Einheit können wir gegen grosse Gegner bestehen. Wir haben uns in den letzten Spielen damit selber geschwächt.»

Kuhn hat seinen Captain am Mittwochabend telefonisch über seinen Entscheid - den er ganz alleine und ohne Kontakt mit anderen Teamspielern getroffen habe - informiert. Vogel hätte sehr emotional reagiert und aufgrund dieser Reaktion sieht Kuhn kaum noch eine Möglichkeit, dass der Betis-Söldner nochmals in die Nationalmannschaft zurückkehren wird. Ausgerechnet gestern, an seinem 30. Geburtstag, erhielt die schillernde Karriere des amtsältesten Schweizer Internationalen damit einen jähen Einschnitt. Und noch ein Zufall: Am 8. März 1995, also gestern vor zwölf Jahren, bestritt Vogel in Athen gegen Griechenland (1:1) auch sein erstes von 94 Länderspielen.

Der Nationalcoach wirft seinem Captain vor, dass er auf dem Spielfeld zu wenig Einfluss genommen habe. Nicht nur im spielerischen Bereich, sondern auch bei der Verständigung untereinander und bei der Stärkung des Teamgeistes. «Ich sah in den letzten Partien Defizite beim Verhalten der Gruppe auf dem Platz. Deshalb war ein solches Zeichen für mich jetzt dringend notwendig», sagte Kuhn gestern bei einer Pressekonferenz in Bern, wo er seine unpopuläre Entscheidung begründete.

«Ich habe die Aufgabe, ein möglichst kompetitives Team an die EM zu führen. Leider war der Teamgeist in den letzten Spielen gegen Österreich, Brasilien und Deutschland unser grosses Manko. Und dabei müsste eben gerade der Teamgeist unsere grosse Stärke sein. Zwistigkeiten unter den Spielern kann ich nur eine kurze Weile akzeptieren», sagte Kuhn und stritt nicht ab, dass der Druck auch auf ihn grösser geworden ist, «das Zeitfenster bis zur EM wird immer kleiner.»

Kuhn schloss gestern nicht aus, dass aufgrund der Ausbootung Vogels noch weitere Spieler von sich aus das Team verlassen könnten. «Es ist jedem selber überlassen, wie er darauf reagiert. Ich würde natürlich bedauern, wenn beispielsweise Patrick Müller, der ein enger Kollege von Johann Vogel ist, einen solchen Schritt tun würde. Ich erwarte aber von jedem Spieler, dass er sich bei mir meldet, wenn er sich nicht mehr hundertprozentig ins Team einbringen kann.»

Erinnerungen an Jorge

Der Entscheid von Kuhn rund 15 Monate vor dem Beginn der EM- Endrunde in der Schweiz und Österreich erinnert an frühere Vorfälle. Unmittelbar nach seiner Amtsübernahme hatte Kuhn die drei Stammspieler Stéphane Henchoz, Stéphane Chapuisat und Ciriaco Sforza auf die Ersatzbank gesetzt. Henchoz und Chapuisat kehrten bald wieder zurück, auf Sforza hatte der Coach danach verzichtet. Noch einschneidender war der Entscheid von Nationalcoach Arthur Jorge unmittelbar vor der EM-Endrunde 1996 in England, als der Portugiese Spielmacher Alain Sutter und Topskorer Adrian Knup aus dem EM-Aufgebot kippte.

Ohne Lustrinelli und Gygax

Kuhn hat für die beiden Länderspiele in Florida am 22. März gegen Jamaika und am 25. März gegen Kolumbien vorerst 20 Spieler aufgeboten und sechs weitere auf Pikett gesetzt. «Ich werde sicherlich mit 22 bis 23 Spielern in die USA reisen. Es gilt nun vorerst aber, die nächsten Meisterschaftsspiele abzuwarten und zu hoffen, dass sich niemand mehr verletzt.»

Aus Verletzungsgründen nicht mit dabei ist bereits Daniel Gygax, der sich bei Metz eine Muskelverletzung zugezogen hat. Nicht mehr dabei ist neben Vogel auch Mauro Lustrinelli, für den Kuhn «momentan kaum eine Chance» sieht, sich in die Mannschaft zu spielen. «Angesichts seines Alters werde ich in Zukunft eher jüngere Kandidaten berücksichtigen. Esteban hat es ja bei Rennes bereits auf die Ersatzbank und zu ersten Einsatzminuten geschafft.» Im Prinzip stehe die Türe aber weiterhin für jeden offen, sich für die EM zu empfehlen.

Schweizer Aufgebot für Testspiele in Florida

Das Schweizer Aufgebot für die beiden EM-Testspiele gegen Jamaika am 22. März in Fort Lauderdale und gegen Kolumbien am 25. März in Miami:

Tor:

Pascal Zuberbühler (Neuchâtel Xamax/36-jährig/47 Spiele/0 Tore), Diego Benaglio (Nacional Funchal/23/5/0), Fabio Coltorti (GC/26/5/0).

Verteidigung:

Valon Behrami (Lazio Rom/21/8/1), Philipp Degen (Borussia Dortmund/24/24/0), Johan Djourou (Arsenal/20/8/0), Stéphane Grichting (Auxerre/27/12/0), Ludovic Magnin (VfB Stuttgart/27/39/2), Patrick Müller (Lyon/30/73/3), Philippe Senderos (Arsenal/22/17/3), Christoph Spycher (Eintracht Frankfurt/28/27/0).

Mittelfeld/Sturm:

Tranquillo Barnetta (Bayer Leverkusen/21/21/3), Ricardo Cabanas (1. FC Köln/28/45/4), Blerim Dzemaili (FC Zürich/20/6/0), Alex Frei (Borussia Dortmund/27/54/31), Gökhan Inler (FC Zürich/22/4/0), Xavier Margairaz (FC Zürich/23/8/1), Marco Streller (VfB Stuttgart/25/19/6), Johan Vonlanthen (Salzburg/21/19/5), Hakan Yakin (Young Boys/30/53/14).

Auf Pikett:

David Degen (Borussia Mönchengladbach/24/5/0), Raphaël Wicky (Hamburger SV/29/74/1), Benjamin Huggel (Eintracht Frankfurt/29/18/0), Stephan Lichtsteiner (Lille/23/1/0), Alberto Regazzoni , Boris Smiljanic (Basel/30/3/0).

Länderspiele in Basel, Genf und Zürich

Um im Hinblick auf die EURO 2008 die Austragungsstätten zu testen, entsprach der Schweizerische Fussballverband (SFV) dem Wunsch der UEFA und vergab die nächsten drei Heim-Länderspiele an EM-Orte.

Am Samstag, 2. Juni 2007, gastiert der zweifache Weltmeister Argentinien in Basel. Am Mittwoch, 22. August, testet die Schweizer Nationalmannschaft in Genf gegen Holland, und am Samstag, 13. Oktober, findet gegen den EURO-Partner Österreich das erste Länderspiel im neuen Zürcher Letzigrund statt.

Am Mittwoch, 6. Juni, wird die Schweiz kein Länderspiel austragen. Für die weiteren Nationalmannschafts-Daten (Mittwoch, 17. Oktober und ein Termin im November) sind die Verhandlungen mit mehreren möglichen Gegnern im Gange.

Deine Meinung zählt