Temu: So befeuert die Shopping-App die Kauf- und Spielsucht

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Shopping-AppMit diesen Tricks befeuert Temu die Kauf- und Spielsucht

Die chinesische Shopping-App Temu verleitet mit aggressivem Marketing und Gamification dazu, Produkte zu kaufen, die man eigentlich gar nicht braucht.

Seit Juni liefert die chinesische App Temu in die Schweiz.
Überall auf der Website und in der App sind Countdowns, Rabatt-Angebote oder limitierte Angebote zu sehen: «Hier wird ganz klar auf FOMO (Fear of Missing out) gesetzt. Und versucht, die Konsumenten so zum Kaufen zu drängen, um keine – vermeintlich vorteilhafte – Aktion zu verpassen», so der E-Commerce Experte Matthias Schu.
In anderen Ländern sind zusätzliche Spiele in der App implementiert. So kann man beispielsweise Fische füttern, um Rabatte freizuspielen. Um Futter für die Fische zu bekommen, muss man weitere Bestellungen tätigen oder Freunde zum Spielen einladen.
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Seit Juni liefert die chinesische App Temu in die Schweiz.

20min/Anna Bila

Temu: darum gehts

  • Die chinesische Shopping-App Temu ist in der Schweiz angekommen.

  • Glücksspiel-Elemente und zeitlich limitierte Rabatte verleiten die Kundschaft dazu, Produkte zu kaufen, die man eigentlich nicht braucht.                              

  • Für Personen mit Spiel- oder Kaufsucht (oder Tendenzen in diese Richtung) können solche Apps laut Experten verheerend sein.

Nach Shein oder Ali Express hält der nächste chinesische Billiganbieter Einzug in der Schweiz. Die App, allein im Google Play Store schon über 50 Millionen mal heruntergeladen, liefert seit Juni auch Produkte in die Schweiz. Dabei setzt sie auf extrem tiefe Produkt- und Lieferpreise: Eine Smartwatch gibts für zwölf Franken, einen USB-C-Kartenleser für 1.50 Franken.

Auf der Benutzeroberfläche der App ticken an mehreren Stellen Rabatt-Countdowns. Mit jedem Klick werden neue Produkte vorgeschlagen. Die App funktioniert mit einem Algorithmus, der sich merkt, welche Produkte sich die Kundschaft ansieht und schlägt darauf basierend neue Produkte vor, so wie Tiktok neue Videos vorschlägt.

Gamification soll Lust aufs Einkaufen bei Temu fördern

Zusätzlich sind Spiele in der App integriert, wie auch bei anderen chinesischen Apps wie Ali Express. So kann man gleich beim ersten Öffnen der App an einem Glücksrad drehen. (Anmerkung der Redaktion: Der Autor dieses Artikels und ein Redaktionskollege haben beim ersten Versuch den Jackpot getroffen. Wohl kein Zufall).

Hinter diesem Ansatz steckt laut E-Commerce-Spezialist Matthias Schu eine klare Strategie: «Beim hier angewandten Gamification-Ansatz geht es primär darum, Konsumenten noch länger in der App zu halten und so noch mehr Kaufgelegenheiten zu schaffen.»

Die bei Temu integrierten Glücksspiel-Elemente funktionieren vor allem bei jungen, spielaffinen Zielgruppen: «Gamification und künstliche Verknappungseffekte verleiten zu Spontan- und Impulskäufen. Sie wecken die Neugier und aktivieren das Belohnungszentrum im Hirn», so Darius Zumstein, Dozent und Leiter des E-Commerce Lab der ZHAW.

Benutzt du Apps wie Temu, Wish oder Shein?

Keine rationalen Kaufentscheide

Genau darin liege aber auch die Gefahr solcher Apps, meint Domenic Schnoz, Gesamtleiter vom Zentrum für Spielsucht und andere Verhaltenssüchte bei Radix: «Die Konstruktion von Apps wie Temu ist darauf ausgerichtet, dass Benützende keine rationalen Kaufentscheide treffen.»

Für von Kaufsucht betroffene Personen sei schon ein Ausverkauf-Schild oder eine Aktions-Lautsprecherdurchsage ein Trigger: «Wenn diese Personen eine App wie Temu öffnen, ist das so, als würden sie in einem Einkaufszentrum stehen, welches mit solchen Triggern überfüllt ist.» Man werde zu einer Einkaufsentscheidung gedrängt, was in Impulskäufen resultiere. So kaufe man sich Produkte, die man eigentlich gar nicht braucht. 

Spiele-Elemente bei Temu vergrössern Suchtgefahr

Mit Glücksspiel können Kunden zusätzliche Rabatte freischalten. Das sei ein verstärkender Faktor, die App so zu nutzen, dass man über den eigenen Bedarf Geld ausgibt. «Gerade für Spiel- oder Kaufsüchtige können solche Funktionen ein starker Trigger sein.»

Temu vereint laut Schnoz mehrere dieser Sucht-Faktoren: «Es ist davon auszugehen, dass die Vermischung von Glücksspiel-Elementen, Gamification und Rabatten ein noch viel grösseres Suchtpotenzial birgt.» Auch in Therapie-Gruppen hätten Betroffene schon Shopping-Apps als Ursache ihrer Probleme angegeben.

Hast du oder hat jemand, den du kennst, eine Spiel-, Kauf-, Online- oder eine andere Verhaltenssucht?

Hier findest du Hilfe:

Spielen ohne Sucht, Tel. 0800 040 080

UPK Basel Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen

Safezone.ch, anonyme Onlineberatung bei Suchtfragen

Feel-ok, Informationen für Jugendliche

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