Thurgau schafft Iraker aus – im Fall Osamah geht das nicht

Publiziert

Fall OsamahThurgau schafft Islamist in den Irak aus – warum Schaffhausen nicht?

Ein Islamist wurde nach Absitzen der Gefängnisstrafe in den Irak ausgeschafft. Im ähnlich gelagerten Fall Osamah klappt das nicht. Das Fedpol erklärt, wieso.

In der mittlerweile geschlossenen Winterthurer An’Nur-Moschee war Azad M. Vorbeter. Hier hat er Leute für den IS angeworben und hier wurde er 2017 verhaftet (Aufnahme von 2015).
Osamah predigt und unterrichtet in der 2021 eröffneten Moschee in Neuhausen SH.
Patrick Jean, Sprecher des Fedpol, erklärt, warum ähnlich gelagerte Fälle beim Vollzug der Ausweisung unterschiedlich beurteilt werden können. Die Gesamtumstände jedes Einzelfalls werden separat abgeklärt. Dabei fliessen zahlreiche Faktoren mit ein.
1 / 5

In der mittlerweile geschlossenen Winterthurer An’Nur-Moschee war Azad M. Vorbeter. Hier hat er Leute für den IS angeworben und hier wurde er 2017 verhaftet (Aufnahme von 2015).

Tamedia

Darum gehts

  • Azad M. wurde nach Verbüssen seiner 5,5-jährigen Gefängnisstrafe diesen Herbst in den Irak ausgeschafft. 

  • Der 54-Jährige gehörte zum mittleren Kader des IS, befand das Gericht 2020.

  • M. ist also trotz IS-Mitgliedschaft im Irak nicht gefährdet. Anders Osamah, dessen Ausweisung wegen des Non-Refoulement-Prinzips nicht vollzogen werden kann.

  • Das Fedpol erklärt, wie solche Entscheide zustandekommen.

Die Medien nennen ihn Azad M. Der 54-jährige Kurde wurde diesen Herbst aus dem Gefängnis entlassen und umgehend in sein Herkunftsland Irak ausgeschafft. Das zeigen Recherchen von 20 Minuten.

Azad M. hat wegen Mitarbeit beim IS (Islamischer Staat), wo er laut Gericht eine mittlere Kaderposition hatte, knapp fünfeinhalb Jahre im Gefängnis verbracht. Diesen Herbst wurde er entlassen und dann ausgeschafft. Zuständig war der Kanton Thurgau, wo M. gewohnt hatte. Seine Ausschaffung stehe unmittelbar bevor, berichtete CH-Media Anfang Oktober. Der Kanton Thurgau sowie die Bundespolizei (Fedpol) bestätigen auf Anfrage von 20 Minuten, dass im entsprechenden Zeitraum eine Person in den Irak ausgeschafft wurde.

Ausschaffungen von IS-Mitgliedern in Irak nicht per se unmöglich

Das wirft die Frage auf: Ist die Rückkehr in den Irak für ein ehemaliges oder amtierendes IS-Mitglied nicht lebensgefährlich? Im Fall von Osamah, dem 35-jährigen Iraker, der in der Moschee Neuhausen SH predigt und unterrichtet, konnte die vom Fedpol verfügte Ausweisung nicht vollzogen werden. In diesem Fall greift das Non-Refoulement-Prinzip. Als früheres IS-Mitglied wäre er in seinem Heimatstaat gefährdet.

Doch warum griff dieses Prinzip bei Azad M. nicht? Oder anders gefragt: Warum wird Osamah geschützt?

Fedpol-Sprecher Patrick Jean erklärt: «Solche Unterschiede sind darauf zurückzuführen, dass die Behörden jeden Fall einzeln prüfen.» Dabei würden sämtliche Faktoren miteinbezogen: heutige Situation, Vorgeschichte in der Schweiz und im Herkunftsland, Länderinformationen, wissenschaftliche Befunde, Auskünfte von Personen im Herkunftsland, Einschätzungen von NGO, von den Betroffenen selber. Deshalb greife es zu kurz, zu sagen, dass ein ehemaliges IS-Mitglied per se gefährdet wäre im Irak, sagt Patrick Jean. Es seien die Gesamtumstände im Einzelfall entscheidend.

Zu den Gesamtumständen gehört bei Osamah beispielsweise, dass er im Rollstuhl sitzt und auf Hilfe angewiesen ist. Möglich, dass dies bei der Beurteilung, ob er ausgeschafft werden soll, mit eine Rolle spielte, oder dass er selber seine körperliche Behinderung in die Waagschale warf. Ein weiterer Faktor ist, ob sich der Betroffene gegen die Ausweisung wehrt und wenn Ja, ob er recht bekommt.

Mordauftrag aus dem Gefängnis heraus

Ebenso könnte die Schwere der in der Schweiz begangenen Taten für die Behörden eine Rolle spielen. Azad M. hat gemäss Urteil des Bundesstrafgerichts von 2020 schwere Straftaten verübt: Er habe zum mittleren Kader des IS gehört und die Organisation mitfinanziert, befand das Gericht. Zudem habe er in der mittlerweile geschlossenen Winterthurer An’nur-Moschee IS-Parolen verbreitet. Selbst im Gefängnis versuchte er gemäss Urteil, Mitinsassen für den IS anzuwerben, andere habe er bedroht. Aus dem Gefängnis heraus habe M. via Telefon mit seiner Mutter einen Mordauftrag in den Irak gegeben, wo M.s Neffe getötet worden war. Der Clan wartete auf seine Anweisungen. Auch gegenüber seiner früheren Ehefrau sei M. gewalttätig gewesen, laut Medienberichten habe er versucht, sie töten zu lassen.

Demgegenüber hat sich der in Schaffhausen lebende Iraker Osamah weniger zuschulden kommen lassen. Er gilt zwar als gefährlich und es ist laut Gericht erwiesen, dass er mit dem IS kooperierte. Doch konkrete Taten im Bereich Terrorismus oder Gewalt konnten ihm nicht nachgewiesen werden.

Keine News mehr verpassen

Mit dem täglichen Update bleibst du über deine Lieblingsthemen informiert und verpasst keine News über das aktuelle Weltgeschehen mehr.
Erhalte das Wichtigste kurz und knapp täglich direkt in dein Postfach.

Deine Meinung zählt

52 Kommentare
Kommentarfunktion geschlossen