Tibeter landeten im Hooligan-Knast

Aktualisiert

China-Premier in der SchweizTibeter landeten im Hooligan-Knast

Eine «chinesische Mauer» aus Armeefahrzeugen, Tibet-Demonstranten werden in den Hooligan-Knast gesteckt. Selbst der Polizeikommandant zweifelt an der Verhältnismässigkeit des Einsatzes. Die Bündner schrecken nicht einmal vor der Beschlagnahmung tibetischer Symbole in Geschäften zurück.

von
Adrian Müller

Die Gruppe von etwa 50 Tibetern, darunter Frauen und Kinder, setzte gerade zum Gebet am Rande des Bundesplatzes an, als eine Heerschar von Polizisten den Protesten gegen den chinesischen Premier Wen ein Ende setzte. Die Beamten verhafteten 20 tibetische Staatsangehörige und einen US-Amerikaner. «Ich bin schockiert über das harte Vorgehen der Polizei», erklärte ein Aktivist via Handy, als er gerade in einen Kastenwagen verfrachtet wurde (siehe Diashow).

Knast-Schokolade als Entschädigung

Die verhafteten Tibeter landeten schliesslich im mobilen «Hooligan-Knast», welcher extra für die Euro 2008 konzipiert wurde. «In den Zellen flossen Tränen – einige fühlten sich durch die Verhaftung erniedrigt», schildert der festgenommene Tibeter die Situation hinter Gittern. Die Polizisten hätten sie allerdings sehr professionell und zuvorkommend behandelt: «Sie gaben uns sogar Schoggistängeli.»

Der äusserst harte Polizeieinsatz, welcher in einer «chinesischen Mauer», einer Sichtsperre durch Armeefahrzeuge, auf dem Bundesplatz gipfelte, zieht einen schalen Nachgeschmack nach sich. Selbst der Kommandant der Kantonspolizei Bern macht sich Gedanken: «Die Frage nach der Verhältnismässigkeit des Einsatzes ist gerechtfertigt», räumte Stefan Blättler gegenüber dem «Bund» ein.

«Beim Premierminister der Volksrepublik China handelt es sich um eine der meist gefährdeten Persönlichkeiten der Welt. Vertreter anderer Länder, so will es das Völkerrecht, haben im Gastland Anrecht auf Schutz», rechtfertigt Kapo-Sprecher Jürg Mosimann den Einsatz.

Die Polizei-Repression empörte auch die 20-Minuten-Online-User: In über 300 Kommentaren verschafften sie ihrem Ärger Luft. «Die Hoffnung auf ein Freihandelsabkommen ist dem Bundesrat wichtiger als Meinungsfreiheit», kritisierte etwa User S.

Bundessicherheitsdienst verantwortlich

Auch der Berner Gemeinderat Reto Nause, Direktor für Sicherheit, Umwelt und Energie, kann die Anliegen der Tibeter nachvollziehen. Die Stadt sei aber lediglich Bewilligungsbehörde für Kundgebungen; ein entsprechendes Gesuch sei bis Dienstag nicht eingegangen. Die Kantonspolizei habe jedoch in Absprache mit der Stadt den Tibetern den Waisenhausplatz für eine Platzkundgebung angeboten. Diesen Ort lehnten die Tibet-Aktivisten ab - und liessen drei Ultimaten verstreichen, den Bundesplatz zu verlassen.

Die Vorgaben zum Polizeieinsatz kamen laut Nause direkt vom Bundessicherheitsdienst, die Kantonspolizei habe diese lediglich umgesetzt. «Ich habe Verständnis für beide Seiten», erklärt er auf Anfrage von 20 Minuten Online. Für Nause ist es jedoch wichtig, dass in Bern zukünftig «die freie Meinungsäusserung stattfinden kann».

«In einer freien Demokratie sind Proteste eine Selbstverständlichkeit, sie gehören zur politischen Kultur der Schweiz.» Dies sollte auch der chinesische Premier zur Kenntnis nehmen können, sagt Mario Fehr, SP-Nationalrat und Vorsitzender der parlamentarischen Gruppe für Tibet.

Für die tibetischen Aktivisten ist der unfreiwillige Ausflug in den Hooligan-Knast glimpflich ausgegangen. Nur eine der 21 verhafteten Personen erhält eine Anzeige. Am frühen Abend konnten sie das Gefängnis bereits wieder verlassen. Einige nahmen die Sache mit Humor: «Ich habe den Knast das erste mal von innen gesehen - und nicht einmal einen Schuh geworfen», schrieb ein Aktivist als Status-Meldung auf seinem Facebook-Profil.

Polizisten hängten Tibet-Fahne in Davoser-Laden ab

Der chinesische Premierminister Wen Jiabao soll sich auch in Davos keinesfalls an Tibet erinnern müssen: Die Kantonspolizei Graubünden hat in einem Geschäft für Geschenke an der Promenade ein tibetische Flagge beschlagnahmt.

Geschäftsführerin Margrit Merz sagte im Regionaljournal Ostschweiz von Schweizer Radio DRS vom Donnerstag, sie sei am Mittwochmorgen vor Öffnung ihres Geschäfts von der Polizei aufgefordert worden, Schriften des Dalai Lama, tibetische Gebetsbücher und die Flagge aus dem Schaufenster zu entfernen. Auch die «Rundschau» des Schweizer Fernsehens hatte über den Vorfall berichtet.

Merz tat wie geheissen, zumal die Polizei erklärte, sie werde die Gegenstände beschlagnahmen, komme Merz der Aufforderung nicht nach. Später intervenierte sie jedoch bei der Polizei und erreichte nach längerem Hin und Her, dass sie die Bücher wieder ins Schaufenster stellen durfte. Die Flagge hingegen musste verborgen bleiben.

Der Sprecher des WEF-Ausschusses der Bündner Regierung, André Kraske, erklärte dazu, die Davoser Regierung habe für Mittwoch eine Demonstration von Tibetern bewilligt mit der klaren Auflage, die Kundgebung müsse am Bahnhof Davos-Platz stattfinden. «Dann kann es natürlich nicht sein, dass Leute an einem anderen Ort so etwas wie eine Demonstration machen», begründete Kraske das Vorgehen der Ordnungshüter. (SDA)

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