Tierschutz: Finger weg von jungen Vögeln am Boden

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TierschutzNimm keine Vögeli mit, die auf dem Boden hocken

Tierfreunde sammeln jeden Frühling vermeintlich verwaiste Vögel ein. Doch diese «Hilfe» kann für die Tiere schlimme Folgen haben – bis hin zum Tod. Jungvögel brauchen oft keine Rettung.

Jedes Jahr zur Brutzeit häufen sich Fundmeldungen über angeblich verwaiste Vogelküken, die hilflos auf dem Boden gefunden werden.
Doch viele waren gar nicht in Not – sie geraten jedoch in Not, wenn sie von den Menschen aufgesammelt werden.
Ästlinge, die das Nest verlassen haben, lernen ausserhalb des Nests von ihren Eltern das Überleben. Verhalten sie sich ruhig, sind die Eltern vermutlich auf Futtersuche.
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Jedes Jahr zur Brutzeit häufen sich Fundmeldungen über angeblich verwaiste Vogelküken, die hilflos auf dem Boden gefunden werden.

Network for Animal Protection (NetAP)

Darum gehts

  • Jedes Jahr werden in der Schweiz viele Jungvögel fälschlicherweise als verwaist eingesammelt.

  • Ästlinge, die das Nest verlassen haben, lernen von ihren Eltern das Überleben ausserhalb des Nests.

  • Das Einsammeln dieser Vögel unterbricht ihren Lernprozess und kann ihnen schaden.

  • Nestlinge, die aus dem Nest gefallen sind, sollten zurückgesetzt werden.

  • Hilfe benötigen wirklich nur verletzte Tiere oder Vögel, die nicht zurückgesetzt werden können.

Wer hätte kein Mitleid mit einem hilflosen Vogelküken am Boden? Menschlich ist der Impuls, es aufzuheben und zu helfen.

Jeden Frühling häufen sich in der Schweiz Fälle vermeintlich verwaister Jungvögel, die von Tierfreunden eingesammelt und in Auffangstationen oder – schlimmer – mit nach Hause genommen werden. Was gut gemeint ist, kann tödlich enden. «Die Leute haben sehr schnell Mitleid, wenn sie ein Vögeli alleine in der Wiese sitzen sehen», sagt Esther Geisser, Präsidentin der Tierschutzorganisation NetAP. «Aber das ist ein Problem.»

Esther Geisser ist Gründerin und Präsidentin der Tierschutzorganisation NetAP.

Esther Geisser ist Gründerin und Präsidentin der Tierschutzorganisation NetAP.

Privat

Hälfte der Vögelchen hätten keine «Hilfe» benötigt

Die Gründerin der Zürcher Oberländer Tierschutzorganisation erzählt, dass in den Monaten Mai und Juni in manchen Auffangstationen bis zur Hälfte der abgegebenen Vögelchen hätten in Ruhe gelassen werden sollen. «Manchmal wird ein gesundes Vogelkind durch menschliche Hilfe zum Pflegefall.»

Oft handelt es sich um Ästlinge: junge Vögel mit vollständigem Federkleid, die das Nest verlassen haben und unter Aufsicht der Eltern das Fliegen, die Nahrungssuche und das Überleben lernen. «Wenn das Vögeli ein fertiges Federkleid hat und ruhig am Boden sitzt, sind die Eltern meist in der Nähe – nur auf Futtersuche», erklärt Geisser.

Genau diese Zeit, in der das Vögelchen am Boden herumhüpfe, sei eine entscheidende Lernphase: «Er muss ausserhalb des Nestes das Leben lernen – flattern, Gefahren einschätzen, Nahrung erkennen. Das gehört zum Erwachsenwerden.»

Aus Versehen werden die Vögel ertränkt

Wer hier eingreift, schadet. «Wenn man das Vogelküken mitnimmt, wird der Lernprozess unterbrochen, die Eltern verzweifeln, finden es nicht mehr – und die Auffangstationen sind überfüllt. Aber selbst mit guter Pflege kann das Tier diese Lernphase nie nachholen.»

Hast du schon einmal ein verwaistes Tier gefunden?

Noch schlimmer: wenn Tiere nicht zu Fachleuten, sondern nach Hause gebracht werden. «Das bedeutet oft der Tod für so ein Tier!» Viele Menschen flössen Wasser ein – und töten den Vogel ungewollt. «Wasser geben ist ein Reflex», sagt Geisser, «aber das Wasser gerät schnell in die Luftröhre. Vögel haben am Zungengrund die Öffnung zur Luftröhre  – deshalb ertränkt man so unbeabsichtigt den Vogel.»

Wird einem Vogel Wasser eingeflösst, kann er ertrinken. Denn die Luftröhre befindet sich unter der Zunge.

Wird einem Vogel Wasser eingeflösst, kann er ertrinken. Denn die Luftröhre befindet sich unter der Zunge.

NetAP

Vögelchen bitte wieder zurückbringen

Wichtig ist, Nestlinge und Ästlinge zu unterscheiden. «Ein Ästling kann sich auf Ästen festhalten, ein Nestling nicht. Der Ästling hat ein fertiges Federkleid und ist bereit, das Nest zu verlassen.» Nestlinge ohne Federn, die aus dem Nest fallen, gehören zurück – Berührung durch Menschen ist kein Problem. Eltern stossen sie wegen dem Geruch nicht ab.

Wurde ein Ästling eingesammelt, soll man ihn möglichst rasch zurückbringen – an den Fundort oder in einem Umkreis von maximal 20 Metern. «So finden sich Eltern und Jungvogel wieder.» Auch hier: «Berührungen durch Menschen sind kein Problem.»

Katzen sollten drinnen bleiben

Auch Katzenhalter können helfen: Wenn junge Vögeli im Garten flügge sind, sollten Katzen drinnen bleiben. «Nach wenigen Tagen ist die Sache vorbei. Mit etwas Beschäftigung überstehen Katzen das – für die Vögel geht es dagegen um Leben und Tod.»

Nur Nestlinge oder verletzte Tiere brauchen Hilfe, betont Geisser. «Zuhause versorgen ist gesetzlich verboten!» Verletzte Vögel gehören in eine kleine, mit Haushaltspapier ausgepolsterte Schachtel mit Luftlöchern, auf eine Wärmflasche – und dann zum Tierarzt oder in die nächste Auffangstation.

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