RückenschmerzenTragen wir im Büro bald alle ein Stützkorsett?
Kleider und Geschirre für eine bessere Körperhaltung boomen. Damit wollen sich Berufstätige gegen eine schlechte Haltung wappnen.
5 bis 15 Stunden verbringen die Schweizer pro Wochentag mit Sitzen, wie die Schweizerische Gesundheitsbefragung 2012 zeigt. Zahlreiche sitzen aber nicht nur zu viel, sondern auch krumm. «Wir behandeln sehr viele Geschäftsleute, die Nackenprobleme haben, weil sie acht bis zehn Stunden in einer schlechten Haltung vor dem Computer sitzen», sagt Stefanie Hafner, Physiotherapeutin im Physiozentrum Zürich. Auch der stündliche Aufsteh-Alarm einer Schweizer Versicherung nützte nichts. Hafner: «Die Angestellten klickten diesen einfach weg und klebten weiterhin am Pult.»
Unter den Patienten seien selbst 17- Jährige und Studenten. «Sie haben Schmerzen im Nacken und eine verkürzte Schultermuskulatur, weil sie neben der Schule und den Vorlesungen oft auch mit einer schlechten Haltung am Handy sitzen.»
Vibration bei Zusammensinken
Shops, die mit Stützkorsetts krumme Rücken zurechtbiegen wollen, schiessen wie Pilze aus dem Boden. Der Onlineshop Anodyne bietet für 100 bis 400 Franken entsprechende Kleider in Form von Shirts, Jacken und BHs an. Die Haltungskorrekturen, eingespannt mit Neurobändern, ziehen die Schultern leicht nach hinten und sollen eine gesunde Haltung bewirken. Fabian Hofmann, Geschäftsführer der Anodyne GmbH Schweiz, registriert täglich hundert Bestellungen. Für einen optimalen Effekt sei es empfehlenswert, die Kleidung regelmässig und während mehrerer Stunden zu tragen.
Auch der Versandhändler Pro Idee hat für knapp 90 Franken ein Geschirr im Angebot, das je nach Einstellung entweder vibriert oder einen Alarmton abgibt, sobald der Körper zusammensinkt. Schon mit dreimal 20 Minuten täglich soll es die Haltung nachhaltig verbessern. Laut Pressesprecher Ludwig Felten verkauft sich der Haltungstrainer sehr gut.
«Kleidung ersetzt kein Training»
Träger schwärmen von den Korsetts. Jemand schreibt über ein Anodyne-Produkt: «Mir hilft dieses Teil sehr für meine verspannte Schulter. Ich trage es immer ca. 1 Stunde pro Tag und bin dadurch weniger verspannt. Man kann es gut unter den Kleidern tragen und arbeiten.» Eine Bloggerin berichtet im «Forbes»-Magazin nach einem vierwöchigen Selbsttest von gesteigerter Energie und Produktivität.
Doch Physiotherapeuten warnen vor Selbsttäuschungen. «Haltungskorrigierende Kleidung ersetzt bestimmt kein Training», sagt Stefanie Hafner. Die Gefahr, sich mit der Zeit in das Gewicht «reinzuhängen», statt dem Druck Widerstand zu leisten, sei gross. «Um Haltungsschwächen zu korrigieren, sind Yoga und Pilates oder gut instruierte Rücken- und Schultertrainings am wirksamsten.» Während der Arbeit empfiehlt sie, im Zweistundentakt vom Sitz- zum Stehpult zu wechseln und die Position auf dem Bürostuhl regelmässig zu ändern.
«Kollegen sollen nicht meinen, man gehe tauchen»
«Wichtig ist zudem, dass man sich auch im grössten Stress die Zeit nimmt, ab und zu aufzustehen, um den Rücken zu strecken und die Beine zu vertreten», so Hafner. Wer konstant verkrümmt sitze, leide an Kopfschmerzen und könne Mühe bekommen, sich aufzurichten. «Im schlimmsten Fall ist ein Bandscheibenvorfall die Folge.»
Stilexpertin Jasmin Medweth rät, die Stützen unter den anderen Kleidern zu kaschieren. Schmunzelnd fügt sie an: «Ansonsten könnten Kollegen meinen, man breche gleich zum Tauchen auf, trage eine schusssichere Weste oder wolle wie ein Hund zum Gassigehen ausgeführt werden.» Im Angebot vermisse sie hautfarbene Stücke. «Gerade Frauen, die gern auch weisse Blusen tragen, könnten die Haltungskleidung so elegant kaschieren.»
In den Videos sehen Sie, wie die haltungskorrigierenden Produkte funktionieren: