Kommunistischer MachtkampfTrotzkis Weg ins Exil
Vor 80 Jahren schickte Stalin seinen Widersacher Trotzki in die Verbannung. Es war die endgültige Entmachtung des Gründers der Roten Armee.
Ende 1922, Anfang 1923 erlitt Wladimir Iljitsch Lenin, der bis dahin unbestrittene Führer der sowjetischen Kommunistischen Partei, mehrere schwere Schlaganfälle. Der innerste Zirkel der bolschewistischen Machtträger stand vor der Frage, wer den Genossen Lenin beerben solle. Zwei Gestalten überragten dabei alle anderen: Iossif Wissarionowitsch Dschugaschwili, genannt Stalin, und Lew Dawidowitsch Bronstein, genannt Trotzki.
«Übermass von Selbstbewusstsein»
Beide waren Revolutionäre der ersten Stunde, die im Zarenreich Gefängnis und Exil kennen gelernt hatten und zusammen mit Lenin in der Oktoberrevolution 1917 an die Macht gelangt waren. Zu Beginn war Trotzki mächtiger; er hatte massgeblich an der Organisation der Oktoberrevolution mitgewirkt und war später zum Volkskommissar für das Kriegswesen ernannt worden. In dieser Funktion schuf er die Rote Armee.
Stalin hingegen hatte die Revolution nur am Rande mitgemacht, war danach aber ins Zentralkomitee gewählt worden. Ab 1922 nutzte dieser begnadete Techniker der Macht das neugeschaffene Amt als Generalsekretär der Partei, um Schlüsselstellen in der Partei mit Gefolgsleuten zu besetzen.
Entscheidend bei der Konfrontation mit Trotzki wurde das so genannte «Triumvirat», Stalins Bündnis mit Sinowjew und Kamenew. Da half es Trotzki nicht mehr, dass Lenin ihn in seinem politischen Testament von 1922/23 — in dem er ihm allerdings zugleich «ein Übermass von Selbstbewusstsein und eine übermässige Leidenschaft für rein administrative Massnahmen» bescheinigte — als «fähigsten Mann im gegenwärtigen ZK» bezeichnete und überdies die Genossen vor Stalins Machtstreben und Intoleranz warnte.
«Hundekadaver im Politbüro»
Nach Lenins Tod im Januar 1924 verhinderte das Triumvirat die Verbreitung des Testaments. Nun brach der offene Machtkampf aus. So sagte Sinowjew vor dem ZK über Trotzki: «Warum duldet ihr diesen Hundekadaver im Politbüro?»
Der bereits isolierte Trotzki verlor in der Partei zusehends an Boden. 1925 musste er schliesslich das Kriegskommissariat abgeben. Damit war er faktisch entmachtet. Von nun an ging es schnell: 1926 folgte der Ausschluss aus dem Politbüro; 1927 der Ausschluss als «Linksabweichler» aus der Partei und — am 31. Januar 1929 — die Verbannung nach Alma Ata in Kasachstan. Von dort wurde Trotzki in die Türkei ausgewiesen.
Stalins langer Arm
Aber auch im Exil verfolgte der paranoide Hass Stalins den einstigen Rivalen: Am 20. August 1940 fügte ein eingeschleuster sowjetischer Agent Trotzki in dessen Haus in Mexiko City mit einem Eispickel so schwere Kopfverletzungen zu, dass er am nächsten Tag starb.
Sinowjew und Kamenew, die Stalin bei der Entmachtung Trotzkis assistiert hatten, waren damals schon längst tot. Stalin hatte die beiden «Linksabweichler» schon 1925 an den Rand gedrängt; im Sommer 1936 entledigte er sich der beiden Kampfgefährten im Zuge der «Grossen Säuberung»: Sie wurden in öffentlichen Schauprozessen zum Tode verurteilt und dann erschossen.
Trotzkismus
Trotzki legte im Gegensatz zu Stalin, der den Weg des «Sozialismus in einem Land» durchsetzte, den Akzent auf die Weltrevolution. Die revolutionäre Sowjetunion konnte in seinen Augen längerfristig nicht überleben, wenn die Revolution nicht auf bereits stärker industrialisierte Länder übergriff. Zudem betonte er stärker als Stalin die Führungsrolle der Arbeiterschaft, die sich in einer «permanenten Revolution» manifestieren sollte.
Trotzki wandte sich auch gegen die Bürokratie, den bolschewistischen Totalitarismus und den russischen Nationalismus, die in der jungen Sowjetunion um sich griffen.
1938, bereits im Exil, gründete er die Vierte Internationale, die die unter Stalins Dominanz stehende Dritte Internationale konkurrenzieren sollte.